Bewertung und Entwicklung von Schmierstoffen

Werkstoffe 07. 04. 2024

Im Rahmen einer Fachtagung am NMI in Reutlingen werden Ergebnisse eines Forschungsprojekts vorgestellte, die zu einer deutlichen Beschleunigung und Kosteneinsparung bei der Entwicklung von optimierten Schmierstoffen, zum Beispiel zur Vermeidung von Verschleißschäden oder der Einsparung von Materialien für verschleißende Bauteile, führen werden.

Die von Dr. Dagmar Martin, NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen, organisierte Veranstaltung befasste sich mit der Entwicklung von Schmierstoffen unter den Aspekten Effizienz, Schonung von Ressourcen und dem Einsatz von digitalen Technologien. Die hierzu vorgestellten Technologien und Ansätze lassen sich nach Ansicht von Dr. Martin auch auf Beschichtungen übertragen. Einführend stellte sie kurz das NMI vor, bei dem aktuell mehr als 200 Mitarbeitende beschäftigt sind.

Zu den Aufgaben des NMI zählt der Wissens- und Techniktransfer sowie die F&E-Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Zu den Forschungsfeldern zählen neben verschiedenen Bereichen der Medizintechnik auch allgemeine Entwicklungen von Werkstoff- und Oberflächentechnik für unterschiedliche Anwendungen.

Die Fachtagung am NMI zu den Arbeiten auf dem Gebiet der Schmierstoffe wurden vom European Digital Innovation Hub Südwest (EDIH-Südwest) unterstützt, dessen Ziel die Bewältigung der digitalen Herausforderung zur ­Verbesserung des Wettbewerbs der Industrie ist. Der EDIH-Südwest legt seine aktuellen Schwerpunkte auf Medizintechnik und Automobiltechnologie.

Motivation zur ­Schmierstoffentwicklung

In der Tribologie ergeben sich neue Herausforderungen durch die Forderung nach Reduzierung der Reibungsverluste, speziell für die Elektromobilität, und nachhaltige Anwendungen. Die Lösung dieser Probleme mündet in der Suche nach neuen Schmierkonzepten, insbesondere nach neuen chemischen Addi­tivstrukturen. Die Fülle solcher Strukturen, die sich durch die Chemie ergeben, projiziert auf die in den Lebenszyklen benötigten Para­meter, führen zu einem übermäßigen Parameter-Prüffeld, das im Widerspruch zu der knappen Zeit steht, um eine Lösung zu erreichen. Die Reduktion der Parameter durch die Kombination von Daten aus schmierstoffchemischen Strukturen mit analytischen, Feld- und Prüfstandsdaten mittels Berechnungen stellen eine Lösung dar. Der Einsatz der operativen Mathematik ermöglicht die digitale Verknüpfung von chemischer Struktur, analytischen Daten, Lebenszyklusbewertung und Konstruktionsrichtlinien.

Digitals and Lubrication

Walter Holweger gab einen Einblick in die mathematischen, digitalen Grundlagen, welche die Basis für die Schmierstoffentwicklung darstellen können. Auslöser für die Entwicklungen war unter anderem das drohende Verbot von PFAS oder weiteren Additiven für Schmierstoffe. Er betonte, dass digitale Methoden die Entwicklung unterstützen, aber die technische Erprobung im Labormaßstab nicht vollständig ersetzen werden.

Untersuchungen zufolge hängt der Verschleiß von der Solvatation der Additive (Clusterbildung) ab (Bild: W. Holweger)

 

Vereinfacht wird bei tribologischen Systemen davon ausgegangen, dass sich zwischen zwei sich gegeneinander bewegende Festkörper ein Stoff befinden muss, der die Reibung erlaubt. Nach Bowden-Tabor (1940) hängt die Qualität der Reibung von der Interaktion der Moleküle des Schmierstoffs (chao­tisch oder geordnet) ab. Ursprünglich ging die Forschung davon aus, dass beim Gleiten von zwei gleichartigen Stoffen (Gitterstrukturen) ein höherer Verschleiß und bei solchen mit unterschiedlichen Gitterstrukturen ein geringer Verschleiß entsteht.

Eine Herausforderung bei der Klärung der Grundzustände liegt in der unterschiedlichen Herangehensweise von Physikern und Chemikern. Zu bewältigen sind hierfür die unterschiedlichen Sprachen der beiden Grundlagenfelder. Im ersten Ansatz wird hier auch die moderne Digitaltechnik nicht weiterhelfen. Eine Herangehensweise kann die rückblickende Analyse sein, mit der versucht wird zu verstehen, wodurch ein Effekt, zum Beispiel ein durch Tribologie zerstörtes Bauteil, zustande gekommen ist. Dazu muss aber unter anderem die Größenskala der Betrachtung gewählt werden. Je nach Effekt kann der Auslöser eines Schadensfalls auf unterschiedlichen Größenskalen liegen. Diese Betrachtungen können mit erheblichem Aufwand verbunden sein. Problematisch ist die Tatsache, dass solche Prozesse in der Regel nicht linear verlaufen, und nichtlineare Modelle lassen sich vom Menschen nur schwer nachvollziehen.

Lösungsansätze zur Verdeutlichung der Wirkungen beruhen darauf, dass zwischen zwei sich gegeneinander bewegende Körper ein Stoff als eine Ansammlung von Einzelpopulationen betrachtet wird. Deren Verhalten wird bei steigendem Druck zwischen den Körpern betrachtet. Erste Untersuchungen lassen beispielsweise erkennen, dass mit zunehmendem Druck Poren in den Oberflächen der beiden Festkörper auftreten können.

Einfacher Weg zum ­Verständnis von Schmierstoffen

Der Einfluss der Strukturchemie auf Schmierung und Antriebsstrang ist über die Struktur-Wirkungs-Beziehungen bekannt. ­Diese Wechselwirkungen finden aufgrund von polarer Anziehung und induzierter dipolarer Anziehung statt. Zur Berechnung der individuellen dipolaren und induzierten dipolaren Aktivitäten werden die parametrische Modellrechnung (PM3) und diejenige mit Molekularmechanik (MM+) verwendet – Arbeiten, mit denen sich Dr. Bernd Görlach, ASC Görlach, befasst. Anhand dieser Werte lassen sich alle Wechselwirkungen zwischen Grundöl, Additiven und Oberfläche im Hinblick auf ihre Löslichkeit und Clusterbildungstendenz bestimmen. Die Fähigkeit zur Solvatisierung und Clusterbildung von Additiven in Lösung und an der Oberfläche erlauben es, tiefgreifende Informationen zur Risikobewertung von Lagerschmierungen im ­Lebensdauerzyklus zu gewinnen. Dazu gehören zum Beispiel Verschleiß (nach DIN EN 51819), Rissbildung, zum Beispiel WEC, oder Verschlammung.

Vorgehensweise für die Bestimmung der relevanten Parameter (Bild: B. Görlach)

 

Die Berechnungen stimmen mit den ermittelten Prüfstandsdaten aus den Versuchen sehr gut überein. Das entwickelte Programm SoLu42 wurde mit über 40 verschiedenen Schmierstoffen anhand des DIN FE8-Prüfstands kalibriert. ­Zusätzlich zur Rissbildung lassen sich auch ­klassische Verschleißraten bestimmen. Die erhaltenen a-Aktivitätswerte sind nicht nur mit Prüfständen abgeglichen worden, sondern korrelieren auch mit der Weibull-Verteilung, dem Lebensdauermodell (C/P) und DFT-Berechnungen. Die erzielten Ergebnisse lassen sich für zahlreiche praktische Anwendungen heran­ziehen:

  • Pre-Evaluation und Risikoabschätzung von neuen (Ersatz-)Additiven (REACh)
  • Studien zu Additivkonzentrationen in verschiedenen Anwendungen (Pressung, Temperatur, Oberflächen)
  • Entwicklung von neuen Schmierstoffen, Additiv(-Pakete), zum Beispiel E-Mobilität oder wasserbasierte Schmierstoffe
  • Bestimmung von Ausfallwahrscheinlich­keiten, wie Rissbildung und Verschleiß
  • Risikobewertung von aktuellen Schmierstoffen im Einsatz anhand von chemischen Analysedaten
  • Einfluss von Wasser auf die Filtration, Verschlammung und Clusterbildung
  • Einfluss von elektrischen Störungen, zum Beispiel Kriechströme
  • Mischbarkeit von Schmierstoffen
  • Rheologie von Schmierfetten in Abhängigkeit von der Herstellung sowie a-Aktivität

Durch die grundlegende Vorabeinschätzung des Schmierstoffverhaltens lassen sich mit Hilfe von SoLu42 eine große Zahl an Prüfstandsversuchen und somit kostbare Zeit einsparen.

Vergleich der a-Aktivität mit FE8-Prüfstandsversuchen (High Referenz und Low Referenz Öl) (Bild: B. Görlach)

 

Praxisbeispiele

Als Beispiel aus der Praxis wählte Jürgen Wranik, Zeller+Gmelin, durchgeführte Unter­suchungen zur Ursache eines Wälzlagerschadens. Bei dem untersuchten Schaden handelt es sich um Etching Cracks bei einem Lagerwerkstoff. Festzustellen ist, dass die Schäden unterhalb der Werkstoffoberfläche auftreten. Als Treiber werden Schlupf/Mischreibung und elektrische Feldströme angesehen, sowie eine bestimmte Schmierstoffchemie.

Um diesen Fehler für die Untersuchungen zugänglich zu machen, werden FE8-Prüfstände genutzt, wie sie in großem Umfang bei Schaeffler eingesetzt werden. Der Einfluss des Schmierstoffs tritt nach einer bestimmten Grenzdauer der Einwirkung auf. Bei den Untersuchungen wurde unter anderem auch ermittelt, dass Poren als Kennzeichen der Schäden in einer Tiefe von circa 145 µm auftreten. Diese Poren werden als Ausgangspunkt für Risse gewertet.
B. Görlach/H. Käszmann

Literatur zum Thema (zusammengestellt von Dr. Görlach)

W. Holweger, L. Bobbio, Z. Mo, J. Fliege, B. Goerlach, B. Simon: A Computational Study on the Role of Lubricants under Boundary Lubrication; Lubricants 2023, 11, 80, ­https://doi.org/10.3390/lubricants11020080

W. Holweger, L. Bobbio, Z. Mo, J. Fliege, B. Goerlach, B. Simon: A Validated Computational Study of Lubricants under White Etching Crack Conditions Exposed to Electrical Fields; Lubricants 2023, 11, 45, https://doi.org/10.3390/lubricants11020045

B. Goerlach, W. Holweger, L. Kitirach, J. Fliege: Predicting Wear under Boundary Lubrication: A Decisive Statistical Study; Lubricants 2023, 11, 514, https://doi.org/10.3390/lubricants11120514

 

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