Abblasen und Trocknen aus einem Guss

Werkstoffe 10. 06. 2013
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Innovativer Einsatz – Feintool AG und Harter GmbH zeigen Vielfältigkeit der Kondensationstrocknung

Die Feinschneidtechnik schneidet Metallteile präzisionsgenau in die gewünschte Form. Prozessbedingt sind die Metallteile nach dem Schneiden mit einer Ölschicht überzogen. Zwangsläufig müssen die Waren deshalb gewaschen, gereinigt und anschließend getrocknet werden, um für den nächsten Prozessabschnitt der Beschichtung vorbereitet zu werden. Im vorliegenden Fall war der Waschvorgang unzureichend und eine Reinigung umweltunverträglich. Der Betreiber machte sich auf die Suche nach einer grundlegend neuen Lösung: eine Anlage, die gleichzeitig das Öl entfernen und trocknen kann.

Die Herausforderung

Das Schweizer Unternehmen Feintool mit Sitz in Lyss ist ein Technologieunternehmen mit globaler Ausrichtung für Feinschneidanlagen, Feinschneid- und Umformkomponenten sowie Automatisierungstechnik. Es ist ein Teil von Feintools Unternehmensphilosophie, für ihre Kunden nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Nicht zuletzt aus diesem Grund strebt das weltweit operierende Unternehmen auch für sich selbst die besten Technologien beziehungsweise optimale Prozessabläufe an und hat sich deshalb mit einer alternativen Trocknungstechnologie auseinandergesetzt. Bei den geschnittenen Metallteilen von Feintool handelt es sich um Trägerplatten für Bremsbeläge. Der Bremsbelag wird nach dem Schneiden auf die Trägerplatte aufgebracht. Ist diese jedoch zu stark mit Öl überzogen, haftet der Belag nicht fest genug. Feintool war nicht länger bereit, diese unbefriedigende Situation hinzunehmen, und suchte nach einem anderen Weg aus dieser Problematik. Ein alternatives lösemittelhaltiges Reinigungsverfahren war keine ideale Lösung, da für das schweizerische Unternehmen ökologische Prinzipien eine wichtige Rolle spielen.

Die ersten Gespräche zwischen Feintool mit dem Unternehmen Harter aus Stiefenhofen im Allgäu zeigten die Möglichkeiten der Trocknungstechnologie, wodurch die Eckpfeiler für ein Pilotprojekt abgesteckt werden konnten. Das anvisierte Ziel war eine Anlage, die in Kombination abblasen und trocknen kann, so dass der nachfolgende Reinigungsvorgang überflüssig werden würde. Als erster Schritt sollte eine Testserie gestartet werden, um Parameter und Eigenschaften der Abblasung als auch der Trocknung näher definieren zu können. Dazu fertigte der Trocknungsanlagenbauer­ einen extra Versuchsaufbau an, da diese neue Situation im vorhandenen unternehmenseigenen Technikum so nicht simuliert werden konnte. Bei dem Großversuch wurden 150 Trägerplatten getestet, das heißt abgeblasen und getrocknet. Im Anschluss gingen die Platten zurück zu Feintool beziehungsweise zum eigentlichen Hersteller, der wiederum die getrockneten Platten einer Qualitätsprüfung unterzog. Es zeigte sich, dass die Voraussetzungen für das Aufbringen des Bremsbelags nun gegeben waren. Die Abblas- und Trocknungsversuche waren erfolgreich. Einer Investition stand nichts mehr im Wege.

Die richtige Luftführung

Harter realisierte bei Feintool eine vollautomatische kontinuierliche Abblas- und Trocknungsanlage. Die Trägerplatten verlassen wie bisher die Feinschneidanlage und werden über ein darunter liegendes Förderband in die Waschanlage transportiert. Nach dem abgeschlossenen Waschvorgang transportiert ein weiteres Förderband die Platten in die Trocknungsanlage. Die Trägerplatten werden dort von oben und unten abgeblasen und danach getrocknet.

Harter entwickelte zum einen ein spezielles Förderband, das durch seine individuelle Geometrie für eine ideale Durchlüftung sorgt. Das Förderband mit einer Breite von 420 Millimetern durchläuft einen Tunnel von 4000 Millimetern Länge. Die Einlaufhöhe ist bis maximal 100 Millimeter einstellbar. Der Tunnel selbst ist in eine Abblas- und eine Trockenzone aufgeteilt. In der Abblaszone wird mit stark entfeuchteter Luft und einer großen Luftmenge das Öl-Wasser-Gemisch mechanisch von den Platten geblasen. Hierzu entwickelte Harter eine individuelle Luftführung, um eine schnelle und ideale Abblasung zu erzielen.

In der nächsten Zone erfolgt der tatsächliche Trocknungsvorgang. Extrem trockene warme Luft und eine richtige Luftführung sorgen dafür, dass der bereits auf ein Minimum reduzierte feuchte Ölfilm auf den Trägerplatten tatsächlich getrocknet werden kann. Die Temperatur des Trocknungsvorgangs beträgt rund 70 °C.

Die Besonderheit dieses Projekts war die Kombination verschiedener Prozesse – Abblasen und Trocknen in einem – sowie die Entwicklung der speziellen Luftführungen. Natürlich möchte die Luft den Weg des geringsten Widerstands gehen. Hier muss sie nun in ihre richtigen Bahnen geleitet werden, so dass sie auch tatsächlich über oder – je nach Anwendung – durch die zu trocknende Ware strömt und nicht daran vorbei. In der Technik der richtigen Luftführung steckt sehr viel Know-how. In manch kniffligem Fall kommt die Erfahrung aus über 20 Jahren voll zum Tragen, erklärt Reinhold Specht, Geschäftsführer und Mitinhaber von Harter.

Extrem trockene Luft

An den Abblas- und Trocknungstunnel ist ein so genanntes Airgenex®-Entfeuchtungs-
modul angeschlossen. Dieses Aggregat sorgt für das richtige Klima sowohl in der Abblas- als auch in der Trockenzone. Es versorgt diese mit der extrem trockenen Luft, die für den Erfolg des Prozesses verantwortlich ist. Diese Kondensationstrocknung von Harter auf Basis einer Wärmepumpe ist ein Verfahren, das Feststoffe aller Art bei niedrigen Temperaturen zwischen 20 °C und 90 °C, je nach Anwendung, trocknen kann. Dabei strömt extrem trockene und damit ungesättigte Luft über das Trocknungsgut und nimmt die Feuchtigkeit auf. Der anschließende Entfeuchtungsprozess entzieht der Luft die gespeicherte Feuchte wieder. Die Feuchtigkeit wird auskondensiert und verlässt als Kondensat die Anlage. Anschließend wird die abgekühlte Luft wieder erwärmt und weitergeleitet. Der Kreislauf ist geschlossen. Der Trocknungszyklus ist dadurch nahezu emissionsfrei.

Es ist völlig unerheblich, ob es sich hierbei um eine Trocknung im Batchbetrieb oder um ein kontinuierliches Verfahren handelt. Das Trocknungssystem ist mit Schüttgut-, Trommel und Gestelltrocknern ebenso kombinierbar wie mit Band- oder Kammertrocknern. Auch das Material der zu trocknenden Produkte spielt keine Rolle.

Individuell regelbarer Betrieb

Bei Feintool wurde das Airgenex®-Aggregat aus Platzgründen auf dem Tunnel platziert. Seine Anschlussleistung beträgt sechs Kilowatt. Der Tunnel ist sowohl mit zwei Umluftventilatoren, die eine Anschlussleistung von je 1,2 Kilowatt haben, als auch mit zwei Blasventilatoren mit jeweils 7,5 Kilowatt ausgestattet. Die Fördergeschwindigkeit des Bandes lässt sich je nach aktuell bearbeiteter Plattengröße stufenlos einstellen. Ebenso sind die Abblasstärke, das heißt die Luftgeschwindigkeit sowie die Trocknungstemperatur stufenlos regelbar. Nach vollendeter Trocknung fallen die Waren vom Band direkt in einen Container. Die Waren werden im Anschluss zurück an den Hersteller zur Beschichtung geliefert. Der Prozess ist damit beendet.

Prozesssicherheit und Energieeinsparung

Die Kondensationstrocknung auf Wärmepumpenbasis weist eine Vielzahl an Vorteilen für den Betreiber auf, wie die Anwendung bei der Feintool AG erneut unter Beweis stellen konnte. Zeiteinsparungen erhöhen die Wirtschaftlichkeit einer Anlagentechnik. Die Wärmerückgewinnung im geschlossenen System senkt Betriebskosten. Die geringen Anschlusswerte der Entfeuchtungsaggregate führen zu weiteren Kosten-
einsparungen. Die variable Temperatureinstellung bei der Trocknung verhindert eine unerwünschte Produkterhitzung beziehungweise Produktschädigung. Flecken und Rückstände auf den Oberflächen sowie unnötiger Ausschuss werden vermieden.

Die Trocknung im geschlossenen System macht Prozesse von den Jahreszeiten und damit unterschiedlichen Klimaverhältnissen in den Fertigungshallen unabhängig.­ Wettereinflüsse werden somit nahezu ferngehalten. Der Energieeinsatz, der bei der Kondensationstrocknung an sich bereits niedrig ist, wird durch den energielosen Einsatz eines intelligent integrierten Wärmerohrs noch zusätzlich optimiert. Die Energieeinsparungen liegen in der Regel zwischen 50 und 75 Prozent. Verständlicherweise hängen die Werte stark davon ab, welche Technologie der Betreiber vorher im Einsatz hatte und mit welcher Energieart diese betrieben wurde. Die Einsparungen an CO2-Emissionen liegen durch den sparsamen elektrischen Betrieb im vergleich­baren Bereich.

Diese Entwicklung aus dem Hause Harter­ sorgt für höchste Effizienz beim Trocknungsvorgang. Mit der Wärmepumpentechnik wird ein ökonomisch sowie ökologisch sinnvoller Kreislauf geschlossen.

 

Text zum Titelbild: Airgenex®-Trocknungsanlage

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