OIB – Oberflächentechnisches Institut Bodensee

Oberflächen 10. 06. 2014
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Ralf Altheimer und Alexander Gramm stellen das Entwicklungszentrum der Gramm Technik im Bodenseeraum vor

Die 1930 gegründete Gramm Technik GmbH erarbeitet innovative Lösungen im Bereich Applikationsentwicklung, Lohnbeschichtung und Anlagenbau mit Fertigungsstandorten in Deutschland (3 Standorte), Polen, China, USA und Mexiko. Im Raum Tuttlingen wird nun das Entwicklungszentrum Gramm OIB GmbH eröffnet, in dem sämtliche Entwicklungsaktivitäten gebündelt werden.

Experten in Beschichtungstechnologie

Das umfangreiche Beschichtungsportfolio umfasst funktionelle, galvanisch erzeugte Oberflächen vorrangig auf Aluminium, Nanolacke für tribologische Anwendungen, Edelmetallschichten für die Aufbau- und Verbindungstechnik in der Elektronik, Hochgeschwindigkeitsbeschichtungen für die Automobilindustrie, ECM für die Mikrosystemtechnik oder Werkstofflösungen für die Medizintechnik, um nur die wichtigsten zu nennen.

Zu den zentralen Themen des Unternehmens zählt eine patentierte Beschichtungstechnologie. Im geschlossenem System wird im Unterdruck (insbesondere selektiv) beschichtet. Dabei wird die Prozesschemie zum Bauteil gebracht, wodurch sich hervorragende Eigenschaften, wie höchste Abscheidegenauigkeit, kurze Prozesszeiten, minimale Emissionen und Integrationsfähigkeit der Technologie in bestehende Fertigungsprozesse, eröffnen.

Gramm OIB – Entwicklung an einem Ort

Um die Innovationskraft des Unternehmens weiter zu steigern werden zukünftig alle Entwicklungsaktivitäten der Gramm Gruppe konzentriert. Die Gründung des Unternehmensbereichs Gramm OIB ermöglicht es, noch kundenorientierter und schlagkräftiger Innovationen zu verfolgen. Idealerweise werden sich im Umfeld des Entwicklungszentrums (weitere Gebäude geplant) andere technologiegetriebene
Unternehmen ansiedeln, um Synergiepotenzial zu erschließen.

Umfangreiches Schichtportfolio – Applikationen

Die Vielfalt der Technologien für ausgewählte Beispiele soll das Innovationspotenzial der Gramm Gruppe aufzeigen und eine Anregung für Projekte am OIB darstellen.

Selektive High-Speed-Maßverchromung

Es werden maßgeschneiderte Fertigungsverfahren/Chromschichten (Multilayer) entwickelt um unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden. Die geschlossene GST-Anlagentechnik, mit Emissions- und Abwasserfreiheit stellt den modernsten Stand der Technik hinsichtlich Umweltaspekten und Wirtschaftlichkeit dar.

Es ist zu berücksichtigen, dass Prozesse mit sechswertigen Chrom durch die REACH-Verordnung und die Seveso-Richtlinie ab 2017 einer Autorisierungspflicht unterliegen. Im Ergebnis der Zulassung ist zu erwarten, dass die Anforderungen im Umgang mit chrom(VI)haltigen Stoffen hinsichtlich der Kontrolle von Emission und Exposition deutlich steigen werden. Die geschlossene Anlagentechnik, die Unterdrucktechnologie, das innovative Spülsystem und die Emissionsfreiheit bieten die Voraussetzung, Chrom(VI)elektrolyte unter zukünftigen europäischen Rahmenbedingungen sicher und nachhaltig einsetzen zu können.

Als Anwendungsbeispiele sind Motorventile, Motorkolbenringe, Stoßdämpfer-Kolbenstangen, Kolben Bremshydraulik, Teile für Textilindustrie zu nennen (Abb. 1).

Abb. 1: Anlage zur Maßverchromung mit hoher ­Geschwindigkeit (li.) und verchromte Kolbenstange (re.) 

Für höchste Ansprüche (minimale Schichtdickenschwankungen) zum Beispiel bei komplizierten Kleinteilen für Automobileinspritzsysteme, Zylinderlaufbahnen und Kolbenstangen findet die Verchromung in Strömungs-Einzelbauteil-Zellen mit Einzelgleichrichtern statt.

Die inline-Überwachung der relevanten Parameter (Strom, Spannung, Temperatur, Durchfluss) korreliert zu Schichthärte und Schichtdicke und ersetzt somit eine 100 %-Prüfung der Teile nach der Verchromung.

Technikumsanlagen und Laboranlagen am OIB

Flexible Anlagen ermöglichen anwendungsorientierte Entwicklungen in kurzen Zeiträumen durchzuführen. Der Fokus liegt dabei auf der Entwicklung der Strömungszelle beziehungsweise des Beschichtungswerkzeugs, die je nach Verfahren auf insgesamt acht Technikumsanlagen (Abb. 2) integriert werden.

Technikumsanlage am OiB 

Grundsätzlich besteht die Option, unter Praxisbedingungen Vorserien abzuwickeln und so beispielsweise Aussagen über Maschinen- und Prozessfähigkeit zu erhalten.

Nano-Legierungsschichten für motorische Anwendungen

Das vor 20 Jahren durch Gramm zur Serienreife entwickelte FERROSIL®-Eisenlegierungssystem wird auf GST-Anlagen für die Beschichtung von Motorkolben (Kolbenhemd) mit Schichtdicken von 10 μm bis 20 μm weltweit eingesetzt (Abb. 3). Es gilt als besondere Herausforderung, diese Schichten auch mit Schichtdicken von 100 μm bis 150 μm duktil und rissfrei abzuscheiden. Interkristalline Spannungen dieser Schichtsysteme gilt es zu überwinden, die durch elektrochemische Polarisation verschiedener Kristallisationstypen erzeugt werden. Die Strukturabhängigkeit der mechanischen Eigenschaften galvanischer Eisenschichten in Bezug auf E-Modul, Härte, Zugfestigkeit und Zähigkeit haben Auswirkungen auf Haftfestigkeit, Rissbildung und Dauerfestigkeit dieser Systeme, die durch optimale Strömungs- und Potenzialsteuerung serienreif appliziert werden konnten. Neue Legierungssysteme mit nanokristallinen und hochkorrosionsfesten Eigenschaften sind im Versuchsstadium, die dann als zähharte (300-600 HV) und verschleißreduzierende Partner in ölgelagerten oder Hochtemperatur-Gleitsystemen dienen. Weitere Schichtsysteme für Motoranwendungen (z.B. Zylinderlaufbahn, Komponenten) sind unter anderem galvanisch abgeschiedenes Nickel-SiC und duktile keramische Oberflächen.

Abb. 3: Motorblock mit Buchsen (oben) und Querschliff durch eine Ferrosilschicht 

Dispersionsgehärtete Nickel- und Eisen-Legierungen

Bei höchsten Anforderungen an Verschleiß-, Korrosions- und Kavitationsbeständigkeit haben sich zäh-harte (400-1100 HV) dispersionsgehärtete Legierungen mit und ohne Phosphor-Einlagerung mit Mikro- oder Nanopartikeln aus Siliziumcarbid (SiC), Borcarbid (B4C) oder Aluminiumoxid (Al2O3) als stabile Tribosysteme bewiesen. Bevorzug kommen solche Verbundwerkstoffe unter der Bezeichnung TRIBODUR® für Anwendungen in der Textilindustrie, für Motorenlaufflächen, Turbolader und als Schutz gegen Hochtemperaturverschleiß zum Einsatz.

Chemisch oder elektrolytisch abgeschiedene Nickel-Phosphorlegierungen

Seit 30 Jahren betreibt die Gramm Gruppe mehrere chemisch abscheidende Nickellinien und beschichtet hier selektiv sowie vollflächig die gängigen Nickel-Phosphor-Legierungen des Typ I-III mit 4 % bis 12 % Phosphor unter dem Markennamen NIGADUR®. In Zusammenarbeit mit Partnern aus der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und anderen Branchen liegt hier der Focus der Forschung am OIB auf Anwendung der GST-Technologie für Sandwich- und Kombinationsschichten mit anderen Werkstoffen.

Industrie 4.0 / digitale Galvanik – Vision durch modulare GST Anlagentechnik

Bei dem seit 30 Jahren weiterentwickelten GST-EinZellen-Verfahren lässt sich die verwendete modulare Anlagentechnik relativ einfach auf Produktionsmaßstab hochskalieren und somit die Zeit von der Entwicklung zur Produktionsreife verkürzen. Schon in der Entwicklungsphase werden durch die integrierte Messtechnik die Basisdaten für den späteren industriellen Serienprozess als digitaler Datensatz definiert.

Hierzu werden am OIB verkettete Anlagenmodule oder Fertigungsinseln für die Zukunft der Industriellen Galvanotechnik entwickelt. Dies kann als digitaler Prozess bezeichnet werden analog heutiger moderner CNC-Bearbeitungsmaschinen. Die Vision ist, dass die umweltfreundlichen, geschlossenen Anlagen den in Entwicklung befindlichen Richtlinien eines modernen Industrie 4.0 gesteuerten Prozess folgen und so nicht mehr als dampfende Galvanik sondern als physikalisch-chemische Fertigungsstraßen betrachtet werden. Diese moderne Galvanik ist die Grundlage für eine gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit im weltweiten Vergleich.

Beschichtungsverfahren für elektronische und elektrotechnische Anwendungen

Beispiele für Beschichtungen in der Elektrotechnik sind galvanische Abscheidungen von duktilem Nickel und Zinn auf Stromschienen, Silber auf Hochspannungskontakten sowie Aluminium mit Zinn oder Bronzelegierungen für Mittelspannungswerkstoffe in der 42 V Batterie und der elektro-mobilen Welt (Abb. 4). Anwendungen in der Elektronik auf Leiterplatten und Halbleiter- und MID-Bauteilen werden mit dem TBS- und GST-Verfahren mit galvanisch und chemisch abgeschiedenem Nickel und Gold gelöst.

Abb. 4: Untersuchungen an Leiterplatten, z.B. zum Abgleich von Simulationen zum Aufbau von Bumps

Weitere Beschichtungen können hier für die Brennstoffzelle und alle Formen von Batterie und Stromübertragungssystemen appliziert und weiter entwickelt werden. Die GST-Technologie ermöglicht auf einer Stromübertragungseinheit aktive Leitfähigkeit, passive Oxidschichten und Kühlflächen mit definierten Oberflächenspannungen nebeneinander selektiv aufzubringen.

Harteloxal, OXIDUR, Gleitoxal und Plasmaoxidbeschichtungen

Weltweit werden 120 bis 150 Millionen Bauteile auf insgesamt 75 bis 80 GST-Fertigungslinien von Gramm (Abb. 5) vollautomatisch harteloxiert. Dies sind vorwiegend Motorkolben und Bremshydraulikteile.

Abb. 5: Vollautomatische Anlage zum Harteloxieren (oben), oberflächenbehandelter Zylinder und Querschliff durch eine Oxidschicht (unten) 

Je nach Kundenspezifikation stehen eigenentwickelten Harteloxal-Elektrolytsysteme zur Auswahl. Die Chemie und Prozessbedingungen werden abgestimmt auf die Legierung (mit Kupfer, Nickel oder Silizium, Knetlegierung, übereutektisch/untereutektisch), Härteanforderung und Rauheitsspezifikation oder den Bedarf von Tefloneinlagerung. Die Forderung nach chromfreien Beschichtungen, gesteigerte tribologische Anforderungen oder höheren Korrosionsbeständigkeiten können durch plasmaoxidische Prozesse erfüllt
werden.

Abb. 6: Geschlossene Beschichtungsanlage (links), Bauteil mit Polymerschicht (Mitte) und Sol-Gel-Schicht in einer REM-Aufnahme (rechts) 

Korrosionsschutzschichten auf Basis Nanocoating, Plasmabeschichtung sowie funktionale Schichten für Gleiteigenschaft, Klebefunktion und Konversionsschutz werden durch die Anwendung von intelligenten Lacksystemen auf Basis von PTFE, Molybdänsulfid (MoS2) und Nanolack oder nur durch chemisch/organische Systeme erreicht (Abb. 6). Die eingesetzten Anlagen arbeiten im Unterdruck/Vakuum oder auch in Form von geschlossenen Nasslacksystemen mit Nachbehandlung. Mit dieser breiten Auswahl an Verfahren werden die vom Kunden definierten, vielfältigen Oberflächen- und Korrosionsschutzeigenschaften in feldfähige Systeme umgesetzt.

 
 
 

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