Atmosphärendruckplasma in der Medizintechnik Teil 4

Medizintechnik 10. 04. 2015

Von Christine Härtel1), Dorothee Maier1), Astrid Wagner2) und Volker Bucher1,2)

1) Hochschule Furtwangen

2) NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut in Reutlingen

Atmosphärendruckplasmen eignen sich zur Sterilisation durch die Bildung von reaktiven Gasteilchen, beispielsweise atomarem Sauerstoff, Ozon oder Hydroxylionen. Ein besonderer Vorteil beruht auf der Tatsache, dass die reaktiven Spezies ohne Einsatz von toxischen Stoffen, Anwendung von Niederdruck oder hohen Temperaturen auskommen. Darüber hinaus ist die Behandlung von unterschiedlichen Substraten nach nahezu dem selben Prinzip möglich. In zahlreichen Untersuchungen wurden bei Bakterien und Pilzen gute Ergebnisse erzielt. Bei Viren stehen die Eignungsuntersuchungen erst am Anfang. Gute Chancen werden bei der Verwendung von Atmosphärendruckplasma dadurch gesehen, dass bisher keine Resistenzen gegen die Behandlung festgestellt wurden und auch nicht erwartet werden. Aufgabenstellung ist die technische Weiterentwicklung von Plasmaquellen zur Gewährleistung von niedrigen Anwendungskosten.

Atmospheric Pressure Plasma in Medical Technology: Part 4

Atmospheric pressure plasmas are ideal for sterilisation thanks to the formation of reactive gaseous species such as atomic oxygen, ozone or hydroxyl ions. This process is specially advantageous in that the reactive species are formed without involvement of toxic substances. Neither is there any requirement for partial vacuum or elevated temperatures. A further benefit is that most materials can be processed using the same procedures. Numerous studies confirm the efficacy of the method in its bactericidal and fungicidal actions. In terms of viruses, studies relating to the removal of these are at present underway. The technology is thus considered to be extremely promising with no adverse effects seen so far and none are expected. The next phase is further development of the plasma sources to allow cost reductions in this technology.

4.3 Sterilisation

Medizinprodukte, die mit dem Körper in Berührung kommen, sind für den Patienten ein beträchtliches Risiko. Daher gibt es heutzutage extrem hohe hygienische Anforderungen an neue und aufbereitete Produkte. Es gelten komplexe nationale und internationale Standards. Zudem werden im Bundesgesundheitsblatt diverse Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlicht.

Medizinprodukte werden hierbei laut RKI-Empfehlung in drei Risikostufen eingeteilt, je nachdem ob sie mit Haut, Schleimhaut oder Blut in Berührung kommen. Für die kritischen Medizinprodukte, die direkt mit Blut in Berührung kommen, ist neben Reinigung und Desinfektion auch eine Sterilisation erforderlich [97].

Während die Desinfektion lediglich das Ziel hat, die Zahl der pathogenen Mikro-organismen auf einem Gegenstand zu reduzieren, sodass keine Infektionsgefährdung mehr besteht [98], bedeutet Sterilisation das Abtöten praktisch aller lebensfähiger Mikroorganismen. Damit ein Produkt als steril gilt, darf laut DIN EN 556 die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein lebensfähiger Mikroorganismus darauf befindet, maximal 1 · 10-6 betragen. Für diese Wahrscheinlichkeit wird auch die Bezeichnung Sterility Assurance Level (SAL) verwendet [99].

Es bleibt die Frage, was genau unter Mikroorganismen zu verstehen ist. Laut WHO handelt es sich um zelluläre oder nichtzelluläre mikrobiologische Einheiten, die zur Vermehrung und zur Weitergabe von genetischem Material fähig sind. Laut DIN EN 12740 gehören zu den Mikroorganismen jedoch auch biologische Agenzien, die Infektionen, Allergien oder toxische Wirkungen hervorrufen können [13]. Dies würde also neben Bakterien und Pilzen auch Viren, Viroide, Parasiten, Zellen von Tieren oder Pflanzen, Plasmide und Prionen umfassen.

Übliche Verfahren, die derzeit zur Sterilisation verwendet werden, sind Hitzesterilisationsverfahren, Niedertemperatur-Gas-Verfahren (z. B. mit Ethylenoxid), Verfahren mit ionisierender Strahlung (z. B. beschleunigte Elektronen, Gammastrahlen, UV) und die Behandlung mit Chemikalien [99]. Diese Verfahren haben jedoch mehrere Nachteile. Viele der heute verwendeten Medizinprodukte bestehen aus empfindlichen Materialien, insbesondere Polymeren. Diese können durch die bei den gängigen Verfahren wirkenden hohen Temperaturen, toxischen Stoffe und ionisierenden Strahlen in ihrer Qualität und Lebensdauer beeinträchtigt werden. Die Behandlung mit ionisierender Strahlung kann zudem eine potenzielle Gefahr für das bedienende Personal darstellen. Giftige Gase wie Ethylenoxid erlauben zwar die Behandlung bei niedrigen Temperaturen, aber die Behandlungszeiten sind lang und es können Rückstände auf den behandelten Oberflächen verbleiben, die zu unerwünschten Nebenwirkungen führen können. Zudem sind sie unter Gesichtspunkten des Arbeits- und Umweltschutzes problematisch [100]. Es bestehen also durchaus Verbesserungsmöglichkeiten und ein Bedarf nach alternativen Sterilisationsverfahren, die effektiv, nicht toxisch und materialschonend sein sollten.

Die Behandlung mit Plasma könnte hierfür in Frage kommen, denn Plasmen enthalten eine Vielzahl mikrobizider Komponenten (reaktive Spezies, UV-Strahlung etc.), die auf komplexe Weise mit verschiedenen Mikroorganismen interagieren. Die Sterilisation mit Plasma wird schon seit vielen Jahren untersucht und es gibt auch einige wenige plasmabasierte Sterilisationsverfahren auf dem Markt. Allerdings basiert ein Großteil der Forschungsansätze [19] sowie der kommerziell verfügbaren Geräte [99] auf Niederdruckplasmen in Vakuumkammern.

Kalte Atmosphärendruckplasmen als Sterilisationsmittel werden ebenfalls seit vielen Jahren untersucht, wenn auch weniger intensiv als Niederdruckplasmen. Diese Forschungsrichtung hat mit dem in den 1990er Jahren erfolgten Entwicklungsschub im Bereich der Atmosphärendruckplasmen erneut an Schwung gewonnen. Bis heute arbeiten viele Gruppen in unterschiedlichen Ländern an der Untersuchung und Charakterisierung der mikrobioziden Plasmaeffekte sowie an der Optimierung der entsprechenden Plasmaquellen [19].

Atmosphärendruckplasmen haben diverse Vorteile. Mit ihnen entfällt nicht nur das Erfordernis der Vakuumtechnik, sie erlauben auch in vielen Fällen eine gezielte Behandlung eingeschränkter Oberflächenareale sowie von komplexen oder schwer zugänglichen Oberflächen wie etwa in Kathetern oder Endoskopen [19]. Beispiele hierfür zeigen die Abbildungen 69 und 70. Allerdings ist bis zum großflächigen Einsatz dieser Technik noch deutliche Entwicklungsarbeit zu leisten. Es ist eine Vielzahl an Untersuchungen und Standardisierungen notwendig, bevor die zukünftige Rolle der Atmosphärendruckplasmen in der medizinischen Sterilisation realistisch eingeschätzt werden kann.

Abb. 69: Konstruktion zur Kathederbehandlung mit einem Plasmajet [49]

Abb. 70: Anwendung von Plasmajets an schwer zugänglichen Geometrien [101]

 

4.3.1 Aktive Plasmakomponenten

In Atmosphärendruckplasmen laufen komplexe chemische und physikalische Reaktionen ab, bei denen eine Vielzahl biologisch aktiver Komponenten entsteht. Woraus diese bestehen und in welcher Menge sie vorhanden sind, hängt von der Gaszusammensetzung, dem Gasmengenstrom, der Feuchtigkeit, der Temperatur und den Anregungsparametern ab [13]. Sie entfalten einzeln oder synergetisch eine antimikrobielle Wirkung, wobei unterschiedliche Arten von Mikroorganismen durch ihre unterschiedlichen Strukturen mehr oder weniger empfindlich auf direkte oder indirekte Plasmaeinwirkung reagieren.

Zu den potenziell wirksamen Plasmakomponenten zählen freie Radikale und chemische Produkte, wie zum Beispiel NxOy, atomarer Sauerstoff (O), Ozon (O3), Hydroxyl (OH) und andere reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies (ROS, RNS), hochenergetische UV-Strahlung in verschiedenen Wellenlängenbereichen, geladene Teilchen, veränderliche elektrische Felder, Hitze sowie physikalische und chemische Ätzprozesse. Gerade die Kombination aus vielen verschiedenen Agenzien macht Plasma zur Bekämpfung von Mikroorganismen besonders interessant, da sie es den Pathogenen erschwert, Resistenzen zu entwickeln.

In den letzten zehn Jahren wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, um die Rolle der einzelnen Komponenten zur Inaktivierung von Mikroorganismen zu ermitteln. Hitze scheint bei der Sterilisation mit Atmosphärendruckplasmen eine untergeordnete Rolle zu spielen, insbesondere bei denjenigen Plasmaquellen, deren Gastemperatur nur wenig über Raumtemperatur liegt [102].

Eine zweifelsohne wichtige Rolle kommt dagegen den im Plasma enthaltenen reaktiven Spezies zu. Die erste wichtige Zielscheibe des Plasmaangriffs ist hierbei immer die Zellmembran, die aus einer Doppellipidstruktur besteht und das Zytoplasma von der Zellumgebung abgrenzt. Sie wird entweder in ihrer Struktur oder ihrer Funktion geschädigt [7].

Die Mikroorganismen im Plasma sind einem starken Beschuss mit Teilchen, insbesondere Radikalen ausgesetzt. Bei in Luft erzeugten Plasmen handelt es sich beispielsweise um Hydroxyl (OH)- und Stickstoffmonoxid (NO)-Radikale sowie andere reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies (ROS und RNS). Diese erzeugen Oberflächenläsionen, ein Prozess, der auch als Ätzen (etching) bezeichnet wird. Die Plasmabestandteile werden an die Oberfläche von Mikroorganismen adsorbiert und bilden dort volatile Verbindungen, die dann aus der Zelle herausgelöst werden. Daher ist auch die Zusammensetzung des Gasgemisches von großer Bedeutung, da hiervon die erzeugten Spezies und somit der gesamte Prozess abhängen [7].

Insbesondere die in Luftplasma entstehenden ROS und RNS haben starke oxidative Effekte auf die äußere Zellstruktur. Die ungesättigten Fettsäuren der Lipiddoppelschicht reagieren empfindlich auf Angriffe von OH-Radikalen. Proteine, die unter anderem eine entscheidende Rolle für die Regulation der Transportmechanismen in und aus der Zelle spielen, sind beispielsweise empfänglich für die Oxidation durch atomaren Sauerstoff, metastabile Sauerstoffmoleküle, Superoxid (O2-) und Hydrogenperoxid (H2O2) [102].

Ein weiterer wahrscheinlicher Effekt bestimmter Plasmen ist die sogenannte Elektroporation. Die im Plasma erzeugten pulsierenden elektrischen Felder machen die Zellmembran durchlässig [7]. Durch die Durchlässigkeit der Zellmembran werden das Membranpotenzial und die pH-Regulationsfähigkeit der Zelle gestört. Dieses Regulationsdefizit ist umso mehr von Bedeutung, als in feuchter Luft gebildetes Plasma den Säuregrad des Mediums stark erhöhen kann, beispielsweise durch die Bildung von H3O+-Ionen in Wasser infolge des Beschusses mit Ionen und Elektronen [7].

Eine Beschädigung der Zellmembran kann sich darüber hinaus direkt auf die DNA auswirken, insbesondere bei Bakterien, bei denen die DNA an der Membran verankert ist. Durch die plasmainduzierte Porenbildung kommt es zu einer vermehrten Freisetzung von DNA aus der Zelle. Dies wird wiederum durch die plasmainduzierte Schädigung und Fragmentierung der DNA gefördert. Letzterer Effekt wird wahrscheinlich durch eine Kombination aus freien Radikalen und UV-Strahlung hervorgerufen [7].

Insgesamt ist die Rolle von UV-Strahlung bei der Plasmasterilisation umstritten beziehungsweise sie scheint zwischen verschiedenen Plasmaquellen zu variieren. Die Menge der generierten UV-Strahlung unterscheidet sich stark, je nachdem welche Entladungsart und welches Arbeitsgas verwendet werden [7]. Einer der Effekte von UV-Strahlung ist die Schädigung der DNA durch die photochemische Dimerisierung von Thyminmolekülen, also die UV-induzierte Zusammenlagerung von jeweils zwei Thyminmolekülen in den DNA-Strängen [102].

UV-Strahlung tritt in verschiedenen Wellenlängenbereichen auf. Die vakuumultraviolette (VUV) Strahlung wird, wie ihr Name schon sagt, in Luft bei Atmosphärendruck absorbiert, sodass sie kaum eine Rolle spielen kann, wenn die Mikroorganismen von Luft umgeben sind. Kombiniert jedoch die Plasmaquelle eine effektive VUV-Erzeugung mit einem hinreichenden Gasstrom, sodass die Mikroorganismen vom Prozessgas umgeben sind und die VUV-Strahlung dort ankommt, kann sie eine wesentliche Rolle für die Inaktivierung von Mikroorganismen spielen. Entsprechende Versuche mit dem kINPen09 mit reinem Argon und einem Gasmengenstrom von 5 slm haben gezeigt, dass bei dieser Quelle die VUV-Strahlung für die Wirkung gegen Bacillus atrophaeus ausschlaggebend ist [13]. Andererseits wurde festgestellt, dass auch Plasmaquellen, die wenig UV-Licht ausstrahlen – wie etwa der Gliding Arc Discharge – Bakterien effektiv abtöten und ihre DNA verändern können [103].

Einige Forscher kamen darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass die positiven und negativen Ionen im Plasma eine entscheidende Rolle für die Plasmawirkung spielen. Dies kann jedoch nur für die direkte Behandlung gelten, das heißt wenn die zu behandelnde Oberfläche in direkten Kontakt mit dem Plasma und somit mit den geladenen Teilchen kommt [104]. Der Effekt beruht unter anderem auf der Entstehung von elektrostatischen Kräften durch die Akkumulation der Ladungen auf der Außenfläche der Zellmembran [102].

Es ist jedoch fast unmöglich, allgemeine Aussagen über den Wirkungsbeitrag einzelner Plasmakomponenten zu machen, da sich diese, wie bereits erwähnt, je nach der Art der behandelten Mikroorganismen, der verwendeten Plasmaquellen und den Umgebungsbedingungen deutlich unterscheiden können. Für die vielen verschiedenen Plasmaquellen und Betriebsbedingungen müssen einzelne Untersuchungen durchgeführt werden [13]. Zudem können gewisse Komponenten, wie etwa UV-Strahlung, allein nur eine geringe Wirkung haben, jedoch in synergetischer Zusammenwirkung mit anderen Agenzien einen wichtigen Beitrag zur Abtötung von Mikroorgansimen leisten [104].

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