Sinnvolle Unterstützung bei politischen Entscheidungen oder nutzlose Kosten und vertane Zeit?
Lobbyismus wird landläufig sehr häufig als Instrument der Industrie oder anderen Organisationen gesehen, durch Vorteilsgewährung politisch Handelnde zu beeinflussen. Dies mag in Einzelfällen durchaus möglich sein, ist aber nicht gängige Praxis. Es ist vielmehr so, dass Großunternehmen, Wirtschaftsverbände und NGOs ihr verfassungsmäßig verbrieftes Recht nutzen, durch verschiedene Maßnahmen ihren Einfluss in der Politik der Nationalstaaten und der EU geltend zu machen und durch geeignete Instrumente ihre Interessen durchzusetzen versuchen. Diese Chance beziehungsweise Möglichkeit ist von den kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) in der Vergangenheit oft nicht genutzt worden.
Politisch Handelnde kommen in der heutigen Zeit sehr häufig aus der Verwaltung oder sind Juristen. Im Regelfall sehr gut ausgebildet und fit für die Politik. Aufgrund dieser Tatsache – dies wird in der Öffentlichkeit beklagt – gibt es in den Parlamenten nur noch sehr wenige Personen, die entweder aus der Wirtschaft kommen oder selbst Unternehmer sind. Ihre Entscheidungsbasis also eine andere ist.
In die Parlamente eingebrachte Gesetze basieren im Regelfall auf den Interessen einer bestimmten Gruppe. Im Normalfall ist das mit den Interessen einer anderen Gruppe nicht deckungsgleich. Es muss also intern um die Position und Ausführung der Gesetzesvorlagen diskutiert und gerungen werden. Gutachten, Stellungnahmen und fachliche Expertise werden von den interessierten Gruppen bei denjenigen Organisationen in Auftrag gegeben, welche die eigene Position bestätigen oder zunächst nicht in Frage stellen.
An dieser Stelle setzt eine extrem wichtige Aufgabe für die KMUs ein: Da niemand in diesen kleinen bis mittleren Unternehmen in der Lage ist, die wichtige politische Interessenvertretung alleine zu leisten, kann diese Arbeit nur durch Zusammenschluss der Beteiligten, Bündelung der Interessen und Bereitstellung der finanziellen Ressourcen ermöglicht werden.
Politische Interessenvertretung in der galvanotechnischen Industrie gibt es, seitdem im Jahr 2011 die ECHA den Stoff Chromtrioxid als SVHC und CMR-Stoff identifiziert und in den Anhang XV der REACh-Verordnung gesetzt hat. Entsprechend den dafür vorgesehenen Abläufen ist Chromtrioxid dann im Jahr 2013 als zulassungspflichtige Substanz in den Anhang XIV gekommen.
Durch eine Initiative des Chromkonsortiums (damals noch unter dem Dach des Zentralverband Oberflächentechnik e. V., ZVO) wurde eine außerordentliche Mitgliederversammlung des ZVO am 21. Januar 2012 einberufen. Die anwesenden Mitglieder der galvanotechnischen Branche konnten davon überzeugt werden, dass es aufgrund der politischen Entscheidungen im Sinne REACh, die ohne jede Beteiligung der Betroffenen getroffen worden waren, unabdingbar war, sich politisch einzubringen und damit zukünftig an solchen Entscheidungen mitwirken und die erforderliche branchenspezifische Position klarstellen zu können.
Aufgrund der Zusammensetzung des ZVO als Verband von Gruppen mit unterschiedlichen Interessenschwerpunkten wurde keine einvernehmliche Position zu Chromtrioxid und dessen Aufnahme in Anhang XIV der REACh-Verordnung in der Mitgliedschaft gefunden. Als Folge daraus wurde im Mai 2012 mit der Entscheidung der Mitglieder des Chromkonsortium zur Autorisierung von Chromtrioxid unter dem Dache des ZVO der Vecco e. V. gegründet. Auch der Vecco (Verein zur Wahrung von Einsatz und Nutzung von Chromtrioxid und anderen Chemikalien in der Oberflächentechnik) hat mit seinen Mitgliedern eine Vereinbarung über die Beteiligung an der politischen Interessenvertretung getroffen. Mit diesem Beitrag hat sich der Vecco an der politischen Interessenvertretung des ZVO beteiligt.
Unabhängig von der wichtigen und unterstützenden Arbeit des ZVO in der politischen Interessenvertretung haben der Vecco e. V., vertreten durch Dr. Malte Zimmer (EUPOC GmbH), und der Vorstandskreis Vecco e. V. in der fachlichen, juristischen und politischen Arbeit eine beachtenswerte Leistung erbracht. Die Prozesse beim Verwaltungsgericht in Berlin und dem Europäischen Gericht haben europaweit Beachtung gefunden und die in Kürze zu erwartende Entscheidung in Luxemburg kann möglicherweise die Beurteilung von weiteren Stoffen, die nicht nur in der Galvanotechnik sondern auch in allen Wirtschaftszweigen notwendig sind, beeinflussen. Die VECCO-Mitglieder haben damit zusätzlich einen wesentlichen Beitrag geleistet, der zeigt, dass gemeinschaftliches Handeln mit der richtigen zielgerichteten Koordination durchaus zum Erfolg führen kann.
Im Übrigen hat der Vecco der Bewertung von Chromtrioxid als CMR-Stoff nicht widersprochen (was sich im Sinne der notwendigen politischen Arbeit als vorteilhaft erweist). Lediglich die Gefahren und Risiken für die Arbeitsplätze und den Umweltschutz sind aus damaliger und auch heutiger Sicht nicht richtig eingeschätzt worden. Es gab Gutachten und Stellungnahmen zu der Einschätzung von verschiedenen Behörden und Organisationen. Nur die Betroffenen, das heißt die galvanotechnischen Unternehmen, wurden nicht gehört, unter anderem auch deshalb, weil es bis dahin keine politische Interessenvertretung für die KMUs der galvanotechnischen Branche gab.
Sicherlich wird es anhand des bisher Erreichten einige Personen und/oder Unternehmen in unserer Branche geben, welche die politische Arbeit als endlich abgeschlossen einschätzen, getreu dem Motto: Die haben sich gekümmert und Position bezogen, man hat darauf reagiert und das reicht dann mal für’s Erste. Mitnichten kann davon ausgegangen werden, dass die politische Arbeit in diesem Umfang nicht (mehr) notwendig ist. Die EU-Organisation und auch das deutsche Parlament sind bekannt dafür und in der Tat sehr kreativ, wenn es um die Erfindung neuer Regularien geht. Auch hier gilt die oft bemühte Floskel aus dem Sport: Vor dem Spiel (z. B. REACh) ist nach dem Spiel (REACh).
Die ECHA hat auf ihrer Roadmap 2020 noch etwa 250 Stoffe aufgeführt, die auf die Anhänge XIV oder XVII gesetzt werden könnten. Hiervon werden nicht nur die galvanischen Betriebe, sondern die gesamte verarbeitende Industrie betroffen sein. Themen wie Arbeitsschutz, Umweltschutz und Energietechnik betreffen in extrem starkem Maße die galvanotechnische Industrie. Zusätzlich zu den bereits in Deutschland und der EU bestehenden Gesetzen werden immer wieder neue, weitere Regularien geschaffen, ohne jemals eine Überprüfung vorgenommen zu haben, welche Gesetze und Durchführungsverordnungen sich überlappen, doppelt oder dreifach in die betrieblichen Belange der Unternehmen eingreifen oder bereits anhand bestehender Vorschriften reguliert werden. Gerade hier muss eine zielgerichtete Interessenpolitik ansetzen.
Der vielbeschworene Mittelstand (alle verarbeitenden Unternehmen) muss in der Lage sein, seine ureigensten Interessen zu erkennen, zu formulieren und bei den politischen Gremien anzumelden, um so nach Möglichkeit unzumutbare Belastungen abzuwehren. Dies kann nur geschehen, wenn sich vor der Beschlussfassung eines Gesetzes oder Regelwerks die einzelnen kleinen, mittleren und großen Unternehmen zusammenschließen und die notwendigen finanziellen Mittel für wichtige Aktivitäten aufbringen. Diese liegen insbesondere darin, durch geeignete Personen und/oder Organisationen ihre Interessen anzumelden und mit der Klarstellung ihrer Positionen sowie der Bereitstellung von fachlichen Expertisen den Politikern in der Entscheidungsfindung behilflich zu sein. Aufgrund der Zeitschiene, in denen Gesetze und Verordnungen eingebracht, diskutiert und verabschiedet werden, kann die politische Interessensvertretung einen Vorlauf von bis zu fünf Jahren haben. Es entscheidet sich heute und jetzt, mit welchem Beitrag die Unternehmen ihre Zukunft selbst mitbestimmen sollten und können.
Politische Interessenvertretung ist für kleine, mittlere und große Betriebe der Galvanotechnik eine Gemeinschaftsaufgabe, der sich niemand entziehen sollte, der ein Interesse am Fortbestand seines Unternehmens und der verarbeitenden Industrie in Deutschland als Basis des Wohlstands und Fortschritts hat.
Es ist auch Ihre Zukunft, beteiligen Sie sich mit Ihrer Meinung auf:
Lobbyismus – kurz erklärt
- Lobbyismus ist in Deutschland verfassungsrechtlich verankert, das heißt die Artikulation und Organisation von Interessen ist ausdrücklich erlaubt
- Die politische Mitwirkung von Verbänden und Unternehmen ist in Deutschland gewünscht und geschieht auf zahlreichen Ebenen
- Sowohl die politischen Aktivitäten der Zivilgesellschaft als auch die gesellschaftlichen Aktivitäten der Wirtschaft werden von staatlicher Seite unterstützt und gefördert
- Auch der Einfluss auf die Politik ist erwünscht und wird gefördert
Quelle: http://lobbyismus.karsten-wenzlaff.de/index.php/Einleitung, abgerufen 22.6.2015
Acronyms, Abkürzungen
NGO: non-governmental organization – Nichtregierungsorganisation
SVHC: substances of very high concern – besonders besorgniserregende Stoffe
CMR: cancerogen, mutagen, reproduktionstoxisch – krebserzeugend, erbgutverändernd, fruchtschädigend
Europäisches Gericht, Europäischer Gerichtshof – kurz erklärt
Unter dem Europäischen Gericht erster Instanz (EuG oder GEI) wird ein eigenständiges europäisches Gericht, mit Angliederung an den Europäischen Gerichtshof, verstanden. Es wurde durch den Beschluss 88/591 des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Entlastung des Europäischen Gerichtshofes geschaffen, hat seinen Sitz in Luxemburg und besteht derzeit aus 27 Richtern. Jeder Mitgliedsstaat muss durch mindestens einen Richter vertreten sein.
Quelle: www.juraforum.de
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist das Rechtsprechungsorgan der Europäischen Union. Er hat seinen Sitz in Luxemburg. Die Aufgabe des Gerichts besteht darin, das EU-Recht bei der Auslegung und Anwendung der europäischen Verträge sowie der von den Organen der Europäischen Union erlassenen Rechtsvorschriften wie Richtlinien und Verordnungen zu wahren. Im Gerichtshof ist jedes Mitgliedsland der EU mit einem Richter oder einer Richterin vertreten. Acht Generalanwälte unterstützen die Arbeit des Gerichts bei der Rechtsfindung. Der EuGH umfasst den Gerichtshof, das Gericht und die Fachgerichte. Die Richter sind für sechs Jahre im Amt, alle drei Jahre findet jedoch in beiden Gremien eine teilweise Neubesetzung statt. Über diese bestimmen die Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen. Alle Personen müssen die Gewähr für die Unabhängigkeit des EuGH bieten und in ihren Staaten die Voraussetzungen für die höchsten Richterämter erfüllen oder höchstanerkannte Juristen und Juristinnen sein.
Quelle: www.bundesregierung.de