REACh und TTIP – Quo vadis?

Verbände 07. 09. 2015
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Von Dr. Saša P. Jacob (ZVO/DGO, Hilden) und Paul Gehle (Dr. Hesse GmbH & Cie KG, Bielefeld)

Chemikaliengesetzgebung und wirtschaft­liche Freihandelsabkommen haben auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten, bedingen sich nicht gegenseitig oder stellen füreinander keine Stolpersteine dar. Aber weit gefehlt. Ein aktuelles und heftig diskutiertes Beispiel eines Freihandelsabkommens sei im Folgenden beschrieben.

REACh ist ein noch ein junges, revolutionäres und kaum erprobtes Mittel, um Chemikalien- und Stoffströme in der Europäischen Union zu regulieren. Das Transatlantische Freihandelsabkommen, offiziell Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (englisch Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP, früher Trans-Atlantic Free Trade Agreement, TAFTA) wird seit 2013 zwischen der EU und den USA verhandelt. Ein erfolgreicher Abschluss verspricht für die Vertragspartner eine Vertiefung und Verbreiterung der Handelsbeziehungen und damit ein wirtschaftliches Wachstum. Mit positiven Auswirkungen auch für den einfachen Bürger und Kleinunternehmer. Der Beweis dafür steht noch aus.

Also finden im gleichen Zeitraum zur Umsetzung der EU-Chemikaliengesetzgebung (REACh) auch Verhandlungen auf internationaler Ebene zum Freihandelsabkommen TTIP statt.

Ein vorläufig verhandelter und in der Öffentlichkeit gut wahrgenommener Paragraf im TTIP-Abkommen sieht vor, dass zukünftig Gesetzesvorhaben zwischen Behörden­ der EU und der USA abgestimmt werden müssen. Dadurch soll den Partnern die Möglichkeit gegeben werden, Auswirkungen auf den beiderseitigen Handel zu ermitteln. Dieses passive Informationsrecht wird durch ein aktives Mitspracherecht flankiert. Damit erhielten die Handelspartner ein Machtinstrument und könnten unliebsame Gesetze aufhalten, noch bevor sie von den jeweiligen Parlamenten diskutiert worden sind. Im Zweifelsfall ist gemäß dieser Vereinbarung die Möglichkeit gegeben, Staaten auf Entschädigung zu verklagen, wenn dadurch beispielsweise Chemikalien verboten wären, welche beim anderen Vertragspartner ohne Einschränkungen anwendbar sind. An dieser Stelle ist die Schnittstelle zu REACh zu beobachten. Ein interessantes Beispiel in der Anwendung eines Stoffes ist das des Chlorhühnchens, das durch die unsachliche und emotionale Diskussion berühmt wurde.

Werden die unterschiedlichen Chemikaliengesetzgebungen in der EU und der USA verglichen, ist der Wunsch der Industrie nicht zu verdenken, über TTIP auch eine Angleichung der Gesetzgebung zu erreichen. Die eventuell gewonnenen Erleichterungen wären für die Industrie und an dieser Stelle insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen höchst willkommen.

Nach dem US-System TSCA (Toxic Substance Control Act) liegt die Beweislast, dass eine Chemikalie giftig, umwelt- oder gesundheitsschädlich ist, bei den Behörden. Liegt ein solcher Beweis nicht vor, kann die betroffene Chemikalie weiter genutzt werden. Konkret bedeutet dies, dass Chemikalien ohne Prüfung in Verkehr gebracht werden können. Erst danach können Behörden aktiv werden und die Gefährlichkeit beweisen, um ein Produkt vom Markt nehmen zu können. In der EU dagegen müssen die Hersteller einer Chemikalie vor dem Inverkehrbringen Daten über die Sicherheit erbringen, wie es Artikel 5 der REACh-Verordnung kurz und prägnant auf den Punkt bringt: No data – no market.

Dass der US-amerikanische Ansatz ein hohes Risiko für Mensch und Umwelt birgt, ist dabei sicherlich ein guter Grund über die Abwägung der beiden Systeme gut nachzudenken.

Die Lenkung und Überwachung von REACh übernimmt in der EU die ECHA (European Chemical Agency). In den USA sind die entsprechenden Behörden, welche die Umsetzung von Umweltschutzgesetzen begleiten, die EPA und die OCEFT (Office of Criminal Enforcement, Forensics and Training), wobei letztere die ausgegliederte Vollzugs- und Ermittlungsbehörde darstellt.

Die Vorteile eines Abkommens wären ohne Zweifel die Anerkennung von gegenseitigen Standards, was aber nur ein Teil der sogenannten regulatorischen Zusammenarbeit betreffen würde. So gibt es auch ein international gültiges Abkommen zur einheit­lichen Kennzeichnung von Chemikalien, das aber von den USA und der EU unterschiedlich interpretiert wird. Hier bestünde die Chance auf Einigung, einheitlich zu kennzeichnen. Eine deutliche Erleichterung im Warenverkehr wäre die Folge.

Ohne noch auf die vielen ungeklärten Punkte in diesen Zusammenhängen einzugehen, stellt sich trotzdem die Frage, welchen Einfluss TTIP auf REACh noch nehmen wird und damit auch die US-amerikanische Gesetzgebung auf die der EU. Hier muss mit viel Weitsicht und Fingerspitzengefühl agiert werden, um ein angemessenes Interessensgleichgewicht zu schaffen.

Gerade weil die Ansprüche zur möglichen Einflussnahme auf das jeweilige Markt­geschehen weit auseinandergehen und die Gesetzgebungen so unterschiedlich sind, wäre es empfehlenswert, dass das Geschehen auch in der galvanotechnischen Branche stärker Beachtung findet. Eventuelle­ Vorteile könnten unterstützt und die möglichen Einschränkungen früh genug erkannt und angesprochen werden.

Schwierig dabei ist, dass ein Großteil der Verhandlungen geheim geführt wird, so dass unklar ist, inwiefern TTIP die aktuelle Umsetzung der REACh-Verordnung im Nachhinein beeinflussen könnte und aktuelle Anstrengungen überflüssig macht.

So hat sich der Verband der Chemischen Industrie (VCI) unlängst zu der Verschiebung der Abstimmung über die TTIP-Resolution geäußert.1) Weiterhin wird die Hoffnung formuliert, dass es bald zu einer Einigung kommt. Eine Zusammenarbeit böte der deutschen chemischen Industrie die Möglichkeit, dass unnötige Doppelarbeiten und Bürokratiekosten abgebaut werden können und langfristig gemeinsame Schutzstandards mit globalem Modellcharakter etabliert werden können.

Gleichzeitig machte der Hauptgeschäftsführer des VCI Utz Tillmann aber auch bereits 2014 klar: Wir nehmen die Bedenken der EU-Parlamentarier und der Öffentlichkeit ernst: Die deutsche chemische Industrie bekennt sich zu REACh; TTIP werde auf keinen Fall zu einer Aufweichung von Standards in der Chemikaliensicherheit führen. Eine gegenseitige Anerkennung sei nur möglich, sofern das angestrebte Schutzniveau vergleichbar sei. Die chemierelevanten Regulierungen – TSCA in den USA und REACh in der EU – seien aber zu unterschiedlich ausgelegt. Eine gegenseitige Anerkennung sei daher nicht sinnvoll und auch nicht Ziel der EU-Kommission in den Verhandlungen.

Eine Abhängigkeit zwischen Chemie, Wirtschaft und Politik ist also klar erkennbar und in Zukunft nicht voneinander trennbar.

Der ZVO beobachtet die Entwicklungen und ist bereit, dazu gestalterisch mit einzugreifen. Selbstverständlich nur für den Fall, dass die Mitglieder dies für erforderlich erachten.

Aufruf zur Mitarbeit in den ZVO-Ressorts

Die Galvano- und Oberflächentechnik ist direkt oder indirekt immer im Fokus von Regulierungsbestrebungen der Behörden. Der ZVO als Branchenvertreter kann nur dann für die Branche einstehen, wenn genügend Rückhalt und Engagement der Mitgliedschaft besteht. Im hohen Maße sind dabei die Anwender von Verfahren gefragt, da nur diese zum einen ihre Anforderungen formulieren und andererseits gegenüber Behörden glaubhaft als Betroffene vertreten können. Nur durch das verstärkte Einbringen von Anwendern ist eine weitere fokussierte und zielgerichtete Interessensvertretung möglich.

Daher liegt Mitgestaltung der Ressorttätigkeiten im unmittelbaren unternehmerischen Interesse. Der ZVO und das Ressort REACh freuen sich auf Ihre Eingaben und Ihre Mitarbeit.

Wissenswertes und Aktuelles aus dem ZVO-Ressort REACh

1) www.vci.de/presse/pressemitteilungen/
verhandlungen-nicht-verzoegern-vci-zur-
verschobenen-ttip-resolution-des-
europaeischen-parlaments.jsp

 

Newsticker des ZVO-Ressorts REACh

Am 1. Juli 2015 hat die ECHA die sechste Stoffliste veröffentlicht, in der Stoffe zur Priorisierung empfohlen werden. Dazu gehören auch die für die Galvanotechnik relevanten Borsäure, Borate und ethoxylierten Nonylphenolverbindungen. Die empfohlenen Stoffe liegen nun der EU-Kommission zur Entscheidung vor, ob sie in den Anhang XIV aufgenommen werden. Der ZVO empfiehlt, die eigenen Prozesse zu prüfen und den Austausch mit dem Lieferanten zu intensivieren. Mehr dazu ist im Internet zu finden unter:

http://zvo.org/aktuelles/detailansicht/artikel/kommt-borsaeure-in-den-anhang-xiv.html

Am 15. Juni 2015 hat die ECHA die Kandidatenliste (SVHC-Liste) mit zwei neuen Einträgen ergänzt und dabei zwei weitere Stoffe auf diese Liste aufgenommen. Bei diesen Stoffen handelt es sich um eine Serie gemischter Alkyldiester (CAS-Nr. 68515-51-5 und 68648-93-1) und eine Gruppe von 1,3-Dioxanderivaten, unter anderem mit dem Handelsnamen Karanal, als Gruppeneintrag (CAS-Nr. nicht verfügbar). Die Alkyldiester wurden aufgrund Ihrer reproduktionstoxischen Eigenschaften gemäß Artikel 57c, die 1,3-Dioxane wegen ihrer vPvB-Eigenschaften gemäß Artikel 57e der REACh-Verordnung aufgenommen. Schweden beziehungsweise die Niederlande hatten diese Stoffe für die Aufnahme in die Kandidatenliste vorgeschlagen. Die Kandidatenliste beinhaltet nun aktuell 163 Stoffe. Die Galvanikbranche ist von dieser Aktualisierung glücklicherweise nicht betroffen.

 

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