Sauberkeit von Medizinprodukten kennen, Reinigungsprozesse validieren

Oberflächen 11. 10. 2015
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Nachweis chemisch/filmischer Kontaminationen mit VIDAM

Von Christian Worsch, Marcel Kleßen, Michael Flämmich und Ute Bergner, Jena

Die Sauberkeit von medizinischen Produkten kann durch ein neues Verfahren mit hoher Präzision bestimmt werden. Dabei werden die Verunreinigungen von den zu untersuchenden Teilen in einer Vakuumkammer abgelöst, wodurch jede Art an Verunreinigung erfasst wird. Die Menge der Verunreinigungen wird mit einer Genauigkeit von bis zu 0,3 ng/cm2 bestimmt.

Determining Cleanliness of Medical Products, Validating Cleaning Processes – Information on Chemical/Surface Film Contamination Using VIDAM

The degree of cleanliness of medical products can be determined with a high degree of accuracy, thanks to a new technique. In this, the impurities on the surface of components to be tested, are subjected to a vacuum which allows the determination of all types of contamination. The accuracy of the method can be up to 0.3 ng/cm2.

Medizinische Produkte müssen höchsten Qualitätsanforderungen genügen, um deren Langlebigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit für den Patienten zu garantieren und ihn keinem unnötigen Risiko auszusetzen. Daher spielt die Sauberkeit von Produktoberflächen nach der industriellen Fertigung in der Medizintechnik eine besonders wichtige Rolle. Problematisch hierbei ist, dass Kontaminationen auf hochporösen Oberflächen, wie man sie auf vielen Implantaten findet, oder in kleinsten Kapillaren, beispielsweise in Kanülen, oft nur unvollständig gereinigt werden können. Um die Fertigungs- und Reinigungsprozesse auch für solche Oberflächen und Geometrien zu optimieren, müssen die Wirksamkeit und Effizienz der Reinigungsprozesse bewertet werden.

Dabei umfasst die Reinheit von Medizinprodukten viel mehr als die rein biologischen Fragestellungen, welche bereits über Normen geregelt sind. Partikel und chemische beziehungsweise filmische Kontaminationen rücken zunehmend in den Fokus.

Die Frage nach Reinheitsanforderungen, die maximalen Patientenschutz bieten und gleichzeitig in der Produktion einhaltbar sowie zuverlässig überprüfbar sind, beschäftigt die Branche deshalb bereits seit längerer Zeit. Bis heute gibt es jedoch noch keine Normen oder ein branchenspezifisches Regelwerk mit einheitlichen Methoden und Grenz- oder Akzeptanzkriterien zur Bewertung der partikulären sowie chemisch-filmischen Reinheit.

Reinheitsvalidierung von Medizinprodukten

Derzeit werden vielfältige Methoden zur Überprüfung der Sauberkeit von Medizinprodukten angewendet, die allerdings oftmals nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. In vielen Fällen geschieht die Bewertung der Sauberkeit von Medizinprodukten immer noch visuell (Schwarz- oder Weißlichtkontrolle) oder lichtoptisch mit Lupe oder Mikroskop. Das mag bei einfachen Geometrien für Partikel bis zu einer bestimmten Größe noch aussagekräftige Ergebnisse liefern, aber insbesondere chemische beziehungsweise filmische Kontaminationen können damit meist nur in gravierenden Fällen nachgewiesen werden. Zu den filmischen Kontaminationen gehören neben Ölen und Fetten auch Rückstände von Kühlschmierstoffen und weiteren Fertigungshilfsmitteln (FHM) sowie Reste von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln, aber auch Handschweiß und Fingerabdrücke. Weitere in anderen Branchen gängige Prüfverfahren für filmische Kontaminationen, wie zum Beispiel Wischtests, Testtinten, Kontaktwinkelmessungen, gravimetrische Messungen oder Fluoreszenzmessungen, kommen vor allem oberflächen- oder geometriebedingt meist nicht in Frage.

Weiterhin kann die Oberflächenreinheit von Medizinprodukten mit hochentwickelten oberflächenanalytischen Methoden (z. B. TOF-SIMS, XPS, TD-GCMS, siehe beispielsweise DIN EN ISO 14644 10) bestimmt werden. Diese Verfahren können sehr genaue qualitative (Art der Kontamination) und/oder quantitative Werte liefern, sind jedoch zeit- und kostenintensiv und erfordern sehr gut ausgebildetes und geschultes Bedienpersonal. Weiterhin sind diese Verfahren entweder stark geometriebeschränkt, das heißt nur ein kleiner, leicht zugänglicher Teil der Oberfläche kann untersucht werden, oder die Kontamination muss aufwändig durch eine Eluation von dem Produkt abgelöst werden, um so die Art und Konzentration der eluierten Stoffe zu bestimmen. Für größere Stückzahlen, oder um die Sauberkeit der Produkte kontinuierlich inline/atline der Produktionskette oder bei der Aufbereitung von Medizinprodukten zu überprüfen, sind die genannten Verfahren weniger geeignet.

Neues Verfahren zum Nachweis chemischer/filmischer Kontaminationen

Das neuartige Sauberkeitsmessverfahren VIDAM nutzt das Prinzip der vakuuminduzierten Desorption um etwaige Kontaminationen von den Produktoberflächen zu lösen. Chemische beziehungsweise filmische Kontaminationen sind unter atmosphärischen Bedingungen bei Raumtemperatur meist fest oder flüssig. Im Vakuum können sich diese von der Bauteiloberfläche lösen und durch geeignete Messtechnik detektiert werden. Dies ermöglicht eine spektrale und quantitative Messung von filmischen Kontaminationen auf der Produktoberfläche. Durch das Verfahren können Verunreinigungen integral, das heißt auf der gesamten Oberfläche sowohl einzelner Produkte als auch ganzer Baugruppen oder Produktchargen beliebiger Geometrie (zum Beispiel Kanülen) und Oberflächenbeschaffenheit (zum Beispiel poröse Implantatoberflächen) nachgewiesen werden. Das Messverfahren ist zerstörungsfrei, das heißt die Produkte können anschließend direkt weiterprozessiert werden.

VIDAM-Geräte nutzen dieses direkte Messverfahren, um die Produktsauberkeit zu prüfen und zu bewerten. Eine entsprechende Messung basiert auf einem vollautomatisierten Messprozess mit einfacher Bedienung. Für die Durchführung und Auswertung der Messungen ist also kein Spezialist erforderlich.

Abbildung 1 zeigt eine Variante des VIDAM-Geräts. Es besteht aus einer Vakuumkammer, in die die Bauteile eingebracht werden, einem Pumpsystem, geeigneter Druckmesstechnik zur Detektion der Kontaminationen sowie einer Anlagensteuerung mit implementierter Datenaufzeichnung und -auswertung. Chemische beziehungsweise filmische Kontaminationen können so von der Bauteiloberfläche extrahiert, separiert und detektiert werden.

Abb. 1: Ein VIDAM-Gerät – kompakt und mobil, in vielfältigen Prozessumgebungen nutzbar

 

Als Messgrößen liefert VIDAM ein quantitatives Ergebnis, das heißt die Menge an auf der Oberfläche befindlichen Kontamination in Gramm (bzw. bezogen auf die Bauteiloberfläche in g/cm²), was die Festlegung von zweckmäßigen Grenzwerten ermöglicht. Weiterhin können durch das spektrale Messverfahren Kontaminationen eindeutig identifiziert und ihren Ursachen (z. B. Rückstände von Fertigungshilfs- oder Reinigungsmitteln) zugeordnet werden, was wiederum eine Voraussetzung zur Optimierung der Reinigung ist.

Die minimale Nachweisgrenze von < 0,3 ng/cm² für organische Stoffe ermöglicht die Detektion von kleinsten Mengen an Kontaminationen und die obere Messgrenze liegt über dem, was im Allgemeinen als öl- und fettfrei bezeichnet wird. Das Messsystem kann flexibel in eine vorhandene Produktionskette oder in einen Aufbereitungskreislauf integriert werden. Sowohl die Kammergröße, die Taktzeiten, der Produktdurchsatz als auch die Nachweisgrenze können auf die jeweilige Messaufgabe abgestimmt werden.

Sauberkeitszustand kennen – Reinigungsprozesse bewerten und validieren

Die Sauberkeit von Produktoberflächen ist in der Medizintechnik besonders wichtig, um Abstoßungsreaktionen des Körpers aufgrund verunreinigter Medizinprodukte zu verhindern. Ein Schaden durch den Eintrag von Kontaminationen kann die Sicherheit der Patienten ebenso wie das Renommee eines Medizintechnikunternehmens gefährden. Demzufolge haben alle Hersteller und Aufbereiter von Medizinprodukten eine hohe Verantwortung und Sorgfaltspflicht. Reinigungs- und Aufbereitungsverfahren müssen nach dem Stand der Technik validiert und auf Wirksamkeit überprüft werden.

Das folgende Beispiel beschreibt die Aufgabenstellung eines Herstellers, der die Sauberkeit von Implantaten (Gold/Titan) bewerten und gegebenenfalls seinen Reinigungsprozess optimieren möchte. Hierzu wurden Stichproben von Implantaten nach der Fertigung und einem Zwischenreinigungsschritt sowie nach der Oberflächenveredelung und Endreinigung untersucht. Außerdem wurden die verwendeten Fertigungsbegleitstoffe analysiert, um eventuelle Rückstände auf den Implantaten zweifelsfrei zuordnen und den Reinigungsprozess entsprechend optimieren zu können. Beispielhafte Ergebnisse der VIDAM-Messungen sind in Abbildung 2 dargestellt.

     
   

Abb. 2: Menge an Kontamination auf der Oberfläche von Implantaten nach der Zwischenreinigung (links oben) beziehungsweise der Endreinigung (rechts oben) sowie die spektrale Signatur von zwei Fertigungshilfsmitteln (FHM) (unten)

 

Es wurde festgestellt, dass der für die Zwischenreinigung verwendete Reiniger so nahezu keine Reinigungswirkung für das verwendete Fertigungshilfsmittel A aufweist. Rückstände des verwendeten Reinigers konnte nicht nachgewiesen werden. Die auf den Implantaten gefundene Menge an Kontamination, vor und nach der Zwischenreinigung, lagen bei etwa 12 µg/cm². Nach der Endreinigung waren in den Stichprobenmessungen keine Rückstände der Fertigungshilfsmittel nachweisbar. Die Menge an chemischer beziehungsweise filmischer Kontamination betrug nach der Endreinigung nur noch 2,9 ng/cm².

Auf Basis der gemessen Werte wurde der Reiniger für diesen Zwischenreinigungsschritt auf das Fertigungshilfsmittel angepasst, damit dieses effektiv abgereinigt werden kann. Der Implantathersteller konnte seine gesamten Reinigungsprozesse validieren und den Sauberkeitszustand seiner Produkte mit Messwerten nachweisen. Durch regelmäßige Revalidierung der Prozesse kommt er seiner Sorgfaltspflicht nach.

Zusammenfassung

Das Überprüfen der chemischen beziehungsweise filmischen Sauberkeit rückt zunehmend in den Fokus der Medizintechnik. Reinigungs- und Aufbereitungsprozesse von Produkten wie Implantaten, aber auch chirurgischen und diagnostischen Instrumenten sollten nach Stand der Technik durchgeführt, entsprechend validiert und regelmäßig revalidiert werden.

VIDAM-Geräte weisen durch die Ausnutzung der vakuuminduzierten Desorption und der Detektion der vom Produkt gelösten chemischen und filmischen Kontaminationen, entsprechende Verunreinigungen integral, das heißt auf der gesamten Oberfläche, nach. Chemische beziehungsweise filmische Kontaminationen können zerstörungsfrei und unabhängig von der Produktgeometrie sowohl qualitativ als auch quantitativ gemessen werden. Damit können überprüfbare und verbindliche Grenzwerte bestimmt werden.

Typische Anwendungsfälle für VIDAM-Messungen sind, neben der Validierung, Verifizierung und Optimierung von Reinigungsprozessen, die Prüfung der Wirksamkeit von Reinigungsmitteln für spezifische Fertigungshilfsmittel sowie die Prüfung und zuverlässige Sicherstellung der hinreichenden Produktsauberkeit.

 

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