Tragende Rolle: Aluminium in der Medizintechnik

Werkstoffe 03. 02. 2016
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Wie in allen Bereichen sensibler Technik spielt die Werkstoffauswahl auch bei der Entwicklung von Medizinprodukten eine tragende Rolle. Der bestimmungsgemäße­ Gebrauch, im FDA-Jargon intended use, schränkt neben Kriterien wie Optik und Haptik die Auswahl an geeigneten Substraten ein, sodass für ein bestimmtes Anforderungsprofil jeweils nur eine reduzierte Anzahl an Auswahlmöglichkeiten übrig bleibt. Ein medizinisches Gerät soll seine Funktion erfüllen, gut handhabbar, leicht zu reinigen und nicht zuletzt auch optisch ansprechend sein.

Dies bedeutet neben konstruktiver Finesse­ auch das Vorhandensein einer Reihe von Eigenschaften, welche die Oberfläche betreffen, von der der Nobelpreisträger Wolfgang Pauli behauptete, dass sie vom Teufel erfunden sei, während das Volumen eines Festkörpers Gott geschaffen habe. Die Komplexität von Oberflächeneigenschaften, die Pauli mit seiner Aussage beschreibt, lässt sich aber auch im positiven Sinn interpretieren, wenn sie als die Vielfalt an möglichen Eigenschaften betrachtet wird, die eine Oberfläche bieten kann.

Als metallische Werkstoffe werden in der Medizintechnik häufig Chrom- und Chromnickelstähle eingesetzt. Sie besitzen neben guten mechanischen Eigenschaften auch einen gewissen Korrosionswiderstand gegenüber den zur Reinigung verwendeten Chemikalien. Dieser ist auf die mit Luftsauerstoff und dem Chromanteil der Legierung gebildete Chromoxidschicht zurückzuführen, die sogenannte Passivschicht. Diese Passivschicht wiederum kann aber auch als Einfallstor für den korrosiven Angriff fungieren, da ihr Kristallgitter naturgemäß Störungen besitzt, die gegenüber wässrigen Elektrolyten, wie beispielsweise chloridhaltigem Handschweiß, empfindlich reagieren und zur Lochkorrosion führen.

Es ist deshalb nachvollziehbar, dass Konstrukteure stets auf der Suche nach geeigneten Werkstoffen sind, die in puncto Korrosion, aber auch Bearbeitbarkeit und letztendlich ihrem Preis Alternativen zu den Stählen bieten. Eine solche Alternative ist das Leichtmetall Aluminium. Aluminium ist mit einem Anteil von fast acht Prozent das häufigste Metall in der äußeren festen Schicht der Erde. Daneben kann Aluminium­ als Sekundärrohstoff besonders effizient recycelt werden. Es lässt sich sehr gut mit anderen Metallen legieren, wodurch es ein weites Spektrum an Eigenschaften abzudecken vermag.

Aluminium besitzt die Eigenschaft, sich oberflächlich durch gezielte elektrische Oxidation in Konversionsschichten umwandeln zu lassen. Die einfachste Form der Konversion sind die Naturanodisation und ihre Weiterentwicklung, die Hartanodisation. Bei beiden Anodisationsformen wird aus dem Aluminium ein amorphes, wasserhaltiges Oxidhydrat erzeugt, aus dem wiederum eine hexagonal-tubulare Struktur aufgebaut wird. Die anodisierte Struktur lässt sich mit einer Bienenwabe vergleichen, bei der trotz des weichen Wachses durch Aufbau einer übergeordneten makroskopischen Struktur eine weit höhere mechanische Festigkeit resultiert, als der Werkstoff selbst es zunächst vermuten ließe.

Herkömmliche anodisierte Oberflächen, in guter Qualität hergestellt, sind für viele Anforderungen in der Technik eine Lösung und können die ferritischen Werkstoffe häufig ersetzen. Dabei bieten sie einige Vorteile: nur ein Drittel des Gewichts, günstiger in der Beschaffung, in etwa halber Aufwand bei der Bearbeitung.

Es gibt aber auch Nachteile, über die offen gesprochen werden muss. Besonders drei Probleme stellen sich im Zusammenhang mit anodisierten Oberflächen. Erstens die Sprödigkeit: Anodisierte Oberflächen können bei Belastung brechen und Risse bilden. Zweitens die Kantenklüftung: Da die Anodisationsschichten senkrecht aus dem Substrat wachsen, entsteht an Kanten ein Spalt, der bis hinunter auf das metallische Substrat reicht. Drittens der amphotere Charakter: Amphoter bedeutet Löslichkeit in beiden pH-Bereichen – oberhalb und unterhalb des Neutralbereichs. Sowohl Säuren als auch Laugen können die anodisierte Oberfläche angreifen. Hinzu kommt im medizintechnischen Bereich ein weiteres wichtiges Kriterium: die Biokompatibilität. Bei den anodisierten Schichten kann diese nicht gewährleistet werden, da die gebildeten Oxidhydrate nicht diffusionsdicht sind und somit Legierungsbestandteile durch elektrolytischen Angriff aus der Schicht und dem Substrat herausgelöst werden und Organismen schädigen können.

Somit stellt sich zu Recht die Frage, ob Aluminium unter den aufgeführten Gesichtspunkten überhaupt als Werkstoff für Medizinprodukte geeignet ist. Die Antwort lautet ganz klar: Ja!

Diese Aussage kann aufgrund der Tatsache getroffen werden, dass elektrochemische Anodisation nicht die einzige Möglichkeit der Oberflächenbehandlung von Aluminium ist. Es gibt eine weitere, spezielle Form der Konversion, die plasmakeramische Oxidation. Bei dieser werden mithilfe elektrischer Energie in einem Elektrolyten an der Teileoberfläche mikroskopisch kleine, hell leuchtende mehrere tausend Kelvin heiße Plasmazellen erzeugt, in denen das Aluminium in sein beständigstes Oxid – α-Al2O3 oder Korund – umgewandelt wird.

Mit den von ELB entwickelten CERANOD®-Nanokeramiken werden zugleich alle beschriebenen Probleme der Anodisations­schichten gelöst: Die keramische Oberfläche besitzt trotz bis zu 5-facher Härte, bedingt durch ihre nanokristallitische Sinterstruktur, eine extrem hohe Duktilität. Obwohl dies zunächst paradox klingt, lässt sich dieses Verhalten unter mechanischer Belastung schnell beweisen. Bei Biegung geht die oxidische Schicht die Verformung mit, sodass zunächst das metallische Substrat ermüdet und bricht, während die oxidische Schicht intakt bleibt. Kanten werden von der keramischen Oberfläche vollständig umschlossen – unabhängig davon, wie klein die Radien ausgelegt werden. Die keramische Oberfläche ist chemisch inert, Korund ist in Säuren und Laugen unlöslich. Zudem bestehen die keramischen CERANOD®-Oberflächen die gemäß ISO 10993 geforderten Tests. Sie sind biokompatibel und somit FDA-konform.

Im Gegensatz zur Anodisation treten bei plasmakeramischen Schichten an den Kanten keine Klüftungen auf, das heißt, das Substrat wird auch bei komplexen Geometrien völlig homogen und sicher umschlossen

 

Und noch immer ist das Potenzial des Werkstoffs Aluminium nicht ausgeschöpft. Mit den CERANOD®-Hybridoberflächen eröffnet sich ein weites Feld der Anwendungsmöglichkeiten. Hybridoberflächen bestehen aus einer oxidischen Basis, die mit einer Hochleistungspolymer-Funktionsschicht vernetzt ist. Die Besonderheit der Kombination von Oxidschicht – anodisiert oder keramisiert – und Polymer liegt in der Haftung, die zwischen beiden durch chemisch kovalente Bindung geschaffen wird. Die kovalente Bindung ist die stärkste in der Natur mögliche Bindungsform. So wird erreicht, dass vom metallischen Gitter bis zur polymeren Funktionsschicht durchgehend kovalente Bindungen für die Haftung sorgen, denn auch die Oxidschicht ist kein bloßer Belag, sondern chemisch an das Sub­strat geknüpft. Auf diese Weise werden die Paulischen teuflischen Eigenschaften in äußerst positiver Weise genutzt, ein teuflisch gutes Sandwich sozusagen.

Die Polymeroberfläche wiederum kann den Anforderungen entsprechend funktionalisiert werden. Dies bedeutet Anpassungen nach Wunsch, beispielsweise in Richtung Haptik, Farbe, antiadhäsive Eigenschaften, Benetzbarkeit, Struktur oder Dicke. Für die medizintechnische Anwendung sind neben den eingangs beschriebenen Eigenschaften insbesondere die FDA-Konformität und die Sterilisierbarkeit wichtige Kriterien. CERANOD®-Hybridoberflächen sind zum Beispiel so beschaffen, dass selbst die ­besonders aggressive radikalische Sterilisation mit Wasserstoffperoxid der Oberfläche auch nach vielen Zyklen keinen Schaden zufügt und somit Funktion und ansprechende Optik über lange Zeit erhalten bleiben.

 

Text zum Titelbild: Tests beweisen die Biokompatibilität der neuen CERANOD®-Oberflächen – weder Zellen noch Gewebe können geschädigt werden

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