Autorisierung – Ja oder Nein?

Werkstoffe 08. 05. 2016
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Wer hat hier das Sagen?

Von Dr. Saša P. Jacob, ZVO/DGO, Hilden

Im Autorisierungsprozess sind viele Stimmen zu hören. ECHA, EU-Parlament, Kommission, Mitgliedsstaaten, Umwelt- und Wirtschaftsverbände und viele mehr. Wessen Stimmen gehört werden, wer das letzte Wort hat und mit wem es sinnvoll ist zu reden, ist oft schwer zu erkennen.

Die Initiative, einen Stoff in den Autorisierungsprozess zu führen, geht von mindestens einem EU-Mitgliedsstaat beziehungsweise den dort zuständigen Behörden oder der ECHA aus. In Deutschland sind dies unter dem Dach des Bundesumweltministeriums die nationalen Fachbehörden (Competent Authorities – CA). Mit dem REACh-Anpassungsgesetz vom 20. Mai 2008 (BGBl. I, S. 922) wurden hierfür drei Behörden benannt: die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), das Bundes­institut für Risikobewertung (BfR) und das Umweltbundesamt (UBA).

Eine zentrale Rolle hat dabei die bei der BAuA lokalisierte Bundesstelle für Chemikalien (BfC), welche für die Chemikalien­bewertung sowie das Risikomanagement im Rahmen von REACh verantwortlich ist.

Die BAuA ist in Deutschland die erste Anlaufstelle für REACh

Wird ein Stoff als autorisierungswürdig erkannt, können neben dem hauptverantwortlichen Umweltministerium auch andere Ministerien involviert sein. Dies liegt daran, dass ein Stoff nicht nur aus einer Perspektive bewertet werden kann, sondern auch andere Interessen eine Rolle spielen.

Ein Beispiel sind Borsäure und Borate, die in einer aktuellen Vorschlagliste zur Aufnahme in die Liste der autorisierungspflichtigen Stoffe des Anhangs 14 der REACh-Verordnung stehen. Diese Stoffgruppe hat eine große industrielle Bedeutung. Neben der Galvanotechnik sind auch Branchen wie die Agrarindustrie abhängig von Boraten als Mikronährstoff und Spurenelement für Futtermittel. Abgesehen davon, ist Bor auch für die Ernährung des Menschen sehr wichtig, da es für einige Stoffwechsel- und Entzündungsvorgänge benötigt wird. Auch für die Nuklearindustrie ist das in Boraten gebundene Bor unverzichtbar für den sicheren Betrieb von Atomkraftwerken. Aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften ist es in der Lage, Neutronen sehr gut einzufangen, womit die atomare Kettenreaktion kontrolliert werden kann.

Demnach sind das Wirtschaftsministerium, das Landwirtschaftsministerium und das Umweltministerium, letzteres unter anderem als verantwortliche Stelle für die nukleare Sicherheit, mit in die Entscheidungsfindung eingebunden. Nicht zu vergessen ist das föderale Prinzip in Deutschland. Das bedeutet, dass neben den Bundesministe­rien auch die entsprechenden Landesmi­nisterien in den 16 Bundesländern einen Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben. Je nach Interessenlage ist diese Kette weiter runterzubrechen, sogar bis zur Kommune.

ECHA empfiehlt Stoffe für den Anhang 14

Sind die internen Risikobewertungen in den Mitgliedsstaaten abgeschlossen, werden die entsprechenden Stoffvorschläge von der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) aufgenommen und weiter behandelt. Das beinhaltet auch die Einstufung als besonders besorgniserregenden Stoff (SVHC). Ein weiterer Verfahrensschritt ist eine öffentliche Konsultation in der Bürger und Interessensvertreter ihre Meinung und Fakten zu den für Anhang 14 vorgeschlagenen Stoffen einbringen können. Am Ende des komplizierten Prozesses der Priorisierung bei der ECHA steht die nicht bindende Empfehlung der ECHA für die Kommission, Stoffe in Anhang 14 aufzunehmen.

Ebenfalls bei der ECHA liegt die auf Basis der eingereichten Autorisierungsanträge erarbeitete Empfehlung an die EU-Kommission, ob und unter welchen Bedingungen einem Autorisierungsantrag entsprochen werden soll. Für die Entscheidungsfindung sind zwei ECHA-interne Gremien zuständig: der Ausschuss für die Risikobewertung (RAC) und der Ausschuss für die sozio-ökonomische Analyse (SEAC).

Die Kommission hat das letzte Wort – fast

Liegen die Empfehlungen der ECHA vor, ist die Kommission am Zug. Die Kommission besteht dabei nicht ausschließlich aus den Kommissaren, wie Herrn Juncker. Auch diese haben ihre Abteilungen und Gremien mit den entsprechenden Ressorts, ähnlich den Ministerien. Eine zentrale Rolle hat dabei das REACh-Komitee. Hier muss letztlich ebenfalls eine Interessensabwägung stattfinden.

EU-Rat der Mitgliedsstaaten hat auch ein Wörtchen mitzureden

Der Einfluss der Mitgliedsstaaten ist dabei nicht zu unterschätzen. Insbesondere große­ Mitgliedsländer wie Deutschland haben Mittel und Wege, ihre Interessen zu wahren. Diese sind bei aller Präsenz der EU-Organe in den Medien die eigentlichen Machthaber. Denn letztlich hat der EU-Rat der Mitgliedsstaaten beziehungsweise das vertretene Parlament des Mitgliedsstaats, ein Vetorecht. Die Entscheidung des EU-Rats wird nach einem komplizierten Wahlverfahren getroffen, wobei die Stimmrechtsverteilung nach Größe des Landes geregelt ist und zudem eine Sperrminorität zum Tragen kommen kann. Dasselbe gilt für das REACh-Komitee, in dem Vertreter der Mitgliedsstaaten sitzen. Eine Minderheit kann also eine Entscheidung der Kommission zu Fall bringen.

Auch das EU-Parlament hat Einfluss und Interessen

Das EU Parlament setzt sich aus 751 demo­kratisch gewählten Vertretern aus 28 Mitgliedsstaaten zusammen. Es ist der gewählte Vertreter der EU und hat auch Machtinstrumente, die es nutzen kann. 96 Parlamentarier im Plenum der EU stellt dabei Deutschland. Diese wiederum repräsentieren die Bundesländer, aus denen sie stammen und letztlich den Wahlkreis der sie gewählt hat.

Man kann sich leicht vorstellen, dass hier viele Interessen aufeinandertreffen, die in einer Person oft nicht vereint werden können. Der Parlamentarier muss seine poli­tischen Einstellungen mit denen seines Wahlkreises, seiner Partei, seines Bundeslandes und seines Mitgliedsstaates unter einen Hut bekommen, um bei der nächsten Wahl wiedergewählt zu werden und um selbst mit seiner Arbeit zufrieden sein zu können. Ein Herkulesakt.

Allein der Wahlkreis ist eine Herausforderung: zum einen Industrie- und Unternehmensvertreter, welche sich zudem auch noch teilweise im Wettstreit befinden, zum anderen die normalen Wähler mit ihren Sorgen und Wünschen. Ist es dann redlich von Parlamentariern zu verlangen, es allen recht zu machen? Als Interessensvertreter ist es das Ziel, Schwerpunkte zu setzen, damit das eigene Anliegen im Fokus steht und als wichtig angesehen wird.

Kontrollrecht des Parlaments und des Rates kann eine Autorisierungs­empfehlung der Kommission stoppen

Das EU-Parlament und der EU-Rat können der Kommission zwar in ihrer Entscheidung zur Autorisierung ihre Sichtweise nicht vorgeben. Sie sind aber trotzdem ein mächtiges Organ und haben ein informelles Kon­trollrecht (Right of scrutinity). Daher kommt die Kommission nicht an diesen beiden Institutionen vorbei und muss im Fall der Ablehnung durch EU-Parlament und EU-Rat ihre Position erneut beraten und die daraus resultierende Entscheidung rechtfertigen und erklären.

Gründe für die Ablehnung können sein, dass die Ziele, Grenzen und Vorgaben der REACh-Gesetzgebung überschritten würden oder das Subsidiaritätsprinzip oder das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet wurden.

Wo steht’s? Im Amtsblatt der EU

Übersteht die Kommissionsentscheidung REACh-Komitee, EU-Parlament und EU-Rat, wird sie offiziell und damit rechtens. Wie alle Rechtsakte und offiziellen Dokumente der EU, kann die Kommissionsentscheidung im Amtsblatt der Europäischen Union (Official Journal of the European Union) gefunden werden. Daraus folgt dann die entsprechende Anpassung des Anhangs 14 der REACh-Verordnung.

Lobbying oder Advocacy?

Interessensvertreter (englisch: stakeholder)­ können einerseits Wirtschaftsverbände wie der ZVO und andererseits Nichtregierungsorganisationen, NRO (englisch: Non-governmental organization, NGO), wie Umweltverbände sein. Einzelpersonen werden in diesem Kontext nicht weiter berücksichtigt, obwohl diese sehr wohl großen Einfluss haben können.

Als Mittel oder Synonym der Interessensvertretung der am Entscheidungsprozess nicht direkt beteiligten Personen oder Gruppen wird der Begriff des Lobbying genutzt. Meistes wird er im Zusammenhang mit Industrievertretern genannt und hat mittlerweile einen negativen Beigeschmack. Daher wenden NGOs gerne den Begriff des Advocacy für sich an, da dieser Begriff eine positive moralische Maxime beinhaltet. Das bedeutet, dass die eigene Interessensvertretung mit einem höheren moralischen Prinzip verbunden wird, wie dem Schutz von Mensch um Umwelt. Ziel ist es, die eigene Motivation als gut und besser, als die der Wirtschaftsvertreter darzustellen. Mittlerweile findet aber auch der Advocacy-Begriff immer mehr Verbreitung unter den Wirtschaftsvertretern. Diese können argumentieren, dass ihre Aktivitäten Arbeitsplätze und damit die ­Lebensgrundlage von vielen Menschen und somit unseres Wirtschaftssystems aufrechterhalten. Moral ist nun mal eine Frage der Perspektive und des gesellschaftlichen Zusammenhangs. Was gut und böse entscheidet man selbst. Wenn viele die selbe Einschätzung zu einem Sachverhalt teilen, dann wird daraus in unserer Gesellschaft eventuell ein Gesetz. Welcher Begriff auch immer genutzt wird oder welche moralische Vorstellung dahinter steckt, ist dabei egal. Letztendlich soll das Weltbild des betreffenden Interessenvertreters maßgeblich für die Entscheidungsfinder sein, um die eigenen Interessen möglichst vollumfänglich durchzusetzen.

Wer hat Recht?

In der Schlacht um die Meinungshoheit werden viele Möglichkeiten der Umsetzung verwendet. Dazu gehören auch wissenschaftliche Studien. Schon seit langem stehen alle Beteiligten vor dem Problem, dass es (zu)viele Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen zum selben Sachverhalt gibt. Die Folge ist, dass die Unsicherheit bei der Entscheidung groß ist, welche Handlungsweise angebracht ist.

In manchen Fällen gehen die Behörden sogar soweit, auf Verdacht hin zu handeln, auch wenn keine Beweise vorliegen, dass ein Stoff problematisch ist. Es wird das Vorsorgeprinzip strapaziert, um eine Chemikalie vorsorglich vom Markt zu verbannen. Dies gilt beispielsweise für die fluorhaltigen Alternativen für PFOS in der Galvanotechnik. Die Zugehörigkeit zur selben Substanzklasse reicht den Behörden in diesem Fall, um zu handeln.

Einfach kann jeder

Die aufgeführten behördlichen, industriel­len und zivilgesellschaftlichen Prozessbetei­ligten sind nur ein Ausschnitt des Gesamtbildes. Es gibt noch etliche andere Beteiligte und alle haben einen Einfluss auf das Endergebnis. Daher sind bereits vermeintlich kleine Erfolge, wie das Auftauchen der eigenen Interesseneingabe auf der Tagesordnung einer Behördensitzung eigentlich sehr große Erfolge. Die Schritte, die zum Erfolg einer Interessensvertretung führen, sind oft klein, mühsam erarbeitet und oft von außen schwer bis unmöglich zu erkennen.

Harmonisiertes Verbandsinteresse erkennen und formulieren

Damit ein Verband wie der ZVO auf die schnell wechselnden Anforderungen des politischen Prozesses sinnvoll reagieren kann, muss auch intern eine Interessensabstimmung stattfinden. Dass die Interessenslage dabei, wie überall, schwer sein kann, ist nachvollziehbar. Es ist ein bisschen wie in einer Großfamilie. Zwar gibt es einen gemeinsamen Nenner, aber daneben auch individuelle Zielrichtungen und Schwerpunkte. Eine Möglichkeit, eine soziale Gruppe zu vereinen, sind äußere Bedrohungen. REACh ist eine, die für viele Betriebe der Galvano- und Oberflächentechnik zu Recht als existenzielle Bedrohung wahr­genommen wird.

Für erfolgreiche Interessensvertretung ist aber noch viel mehr notwendig. Denn für Politiker und Entscheidungsträger zählt auch, inwieweit ein Verband die Interessen der Branche repräsentiert. Anders ausgedrückt: Je mehr Mitglieder und damit ein höherer Prozentsatz des Industriezweigs abgebildet werden, umso eher wird der Verband als ernstzunehmender und glaubwürdiger Gesprächspartner angesehen.

Sind die Alternativen besser?

Bei der Komplexität der Interessenvertretung und -findung ist es verständlich, dass es Meinungen gibt, welche die EU, die Bundesbehörden und die Demokratie an sich ablehnen. Der Prozess ist selbst für die­jenigen schwer zu verstehen, die mit ihm eng verbunden sind. Es ist jedoch zu bedenken, dass der Prozess so komplex ist, weil der Mensch und die daraus resultierende Gesellschaft komplex sind. Die Alter­nativen zur Demokratie sind Systeme, in denen Prozesse durch die Bürger als einfacher empfunden werden würden, aber die Einflussmöglichkeiten geringer und einem elitäreren Kreis vorbehalten wären. Jeder Bürger in einer Demokratie hingegen hat durch die Wahlmöglichkeit ein winziges Stück Macht, die Zukunft mitzugestalten und den eigenen Einfluss auszubauen.

Bereitschaft zu Vertrauen führt zum Erfolg

Es gibt sicherlich viel an der jetzigen Situation zu verbessern. Aber es ist anzuraten, immer die Alternativen zu betrachten und zu bewerten, ob diese einen wirklichen Vorteil für einen selbst und die Gesellschaft bieten. Einzubeziehen in diese Überlegungen ist auch, dass die Verhaltensregeln der eige­nen Person, mit ihren Erfahrungen, moralischen Werten und Handlungsmustern, nicht zwangsläufig für andere gelten. Veränderungen können gut sein und haben zur Folge, dass sie neue und voneinander abhängige Veränderungen hervorbringen. Dadurch ist man schnell in einem System der Abhängigkeiten gefangen und die resultierende Handlungsoption alternativlos.

Damit Veränderungen möglichst positiv sind, ist es förderlich, Kontrollinstanzen zu stärken oder aufzubauen und den konstruktiven Austausch der Betroffenen zu fördern. Damit wird ein Rahmen aufgebaut, mit dem die Folgen des im Menschen innewohnenden Drangs nach Macht beziehungsweise die negativen Auswirkungen von anderen individuell anerzogenen beziehungsweise angeborenen Fehler abgemildert werden. Für ein mutiges und angenehmes Miteinander, zählt letztlich aber die Bereitschaft, Vertrauen zu geben. Sich selbst und den Mitmenschen.

 

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