Materialstandort Deutschland: Nicht attraktiv genug für internationale Spitzenforscher?

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Werkstoffe 04. 08. 2016
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Datenbankrecherchen machen deutlich, dass die deutsche Materialwissenschaft im internationalen Vergleich nicht stark genug wahrgenommen wird, um auch in Zukunft für internationale Spitzenforscher attraktiv zu sein. Professor Dr. Ferdi Schüth, Institutsleiter des Max-Planck-Instituts für Kohleforschung und Vize-Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, sprach im Rahmen des Symposiums Material Innovativ 2016 mit Vertretern von Bayern Innovativ über die Herausforderungen der deutschen Materialforschung.

Bayern Innovativ: Deutschland verfügt über ein starkes materialwissenschaftliches Know-how. Woran ist dies auch im internationalen Vergleich zu erkennen?

Prof. Dr. Ferdi Schüth, Institutsleiter des Max-Planck-Instituts für Kohleforschung und Vize-Präsident der Max-Planck-Gesellschaft auf dem Symposium Material Innovativ 2016 (Quelle: Bayern Innovativ GmbH)

 

Prof. Schüth: Unsere Materialwissenschaftler sind weltweit gesucht, deutsche Postdoktoranden gern gesehene Mitarbeiter und auch die deutsche Materialwissenschaft wird insgesamt als gut aufgestellt wahrgenommen. Allerdings muss man vor dem Hintergrund der Vergleichbarkeit erwähnen, dass die international als Materials Science bezeichnete Fachrichtung in Deutschland teils als Material-, teils als Werkstoffwissenschaften geführt wird. Während die Werkstoffwissenschaften stark ingenieurwissenschaftlich geprägt sind, orientiert sich die Materialforschung eher naturwissenschaftlich. Gerade in den Werkstoffwissenschaften verfügt Deutschland über ein erhebliches Potenzial.

Bayern Innovativ: Dennoch gilt es, die Sichtbarkeit materialwissenschaftlich arbeitender Institutionen zu verbessern. Woran mangelt es?

Prof. Schüth: Ein Blick auf Zitationsanalysen oder auch auf die verschiedenen internationalen Rankings zeigt, dass die deutschen Institutionen – abgesehen von der Max-Planck-Gesellschaft – nicht besonders weit oben rangieren. Das hat unterschiedliche Gründe. Entscheidend ist hier zum einen die schon erwähnte eher ingenieurwissenschaftliche Prägung. Dort wird eine andere Publikationskultur als in den Naturwissenschaften gepflegt – Tagungen sind meist wichtiger. Dies wird jedoch in vielen Zitationsanalysen, die in die Rankings einfließen, nicht so stark wahrgenommen und bewertet. Zudem ist häufig Deutsch unsere Publi­kationssprache, was die internationale Sichtbarkeit nicht wirklich fördert. Darüber hinaus ist die material- und werkstoffwissenschaftliche Kompetenz in den Universitäten über mehrere Fakultäten verteilt. Eine große sichtbare Einheit ist so nicht darstellbar. Dies sind einige der Faktoren, die dazu beitragen, dass die deutsche Materialforschung nicht ganz die Sichtbarkeit hat, die sie eigentlich verdient hätte.

Bayern Innovativ: Warum erscheinen renommierte deutsche Material-Zentren in den internationalen Rankings erst auf den mittleren oder hinteren Plätzen?

Prof. Schüth: Es ist immer entscheidend, welche Kriterien angelegt werden und welche wissenschaftlichen Einheiten betrach­tet werden, was dann Einfluss auf die Rankingposition der einzelnen Institutionen hat. Für das Prozedere gebe ich ein Beispiel anhand meiner persönlichen Tätigkeit: Meine Arbeiten werden sowohl in der Chemie als auch in der Materialwissenschaft zitiert. Somit wird man automatisch in unterschiedliche Klassen einsortiert. Ich würde mich eher als Chemiker und weniger als Materialwissenschaftler sehen. In den Zita­tionsrankings bin ich aber als Materialforscher sichtbarer als in meiner Funktion als Chemiker, weil die Gruppe eine kleinere ist und die Zitationsgewohnheiten andere sind. In vielen universitären Departments gibt es eine Reihe von Chemikern, die man auch in die Materials Sciences einordnen könnte, die dort aber nicht auftauchen, weil sie nicht in den klassischen Schubladen agieren. Rankings leiden oftmals an den ­uneinheitlichen Definitionen, die zugrunde gelegt werden – allen voran an der bereits erwähnten starken Trennung zwischen ­Material- und Werkstoffwissenschaften.

Bayern Innovativ: Welche Auswirkungen hat das eher mittelmäßige Ranking deutscher Forschungsplätze im Hinblick auf die Gewinnung von internationalen Spitzen­forschern für den Standort Deutschland?

Prof. Schüth: Wenn wir in der Max-Planck-Gesellschaft versuchen, Top-Forscher zu gewinnen, sind natürlich Ausstattung und Gehalt wesentliche Größen. Ein wichtiger Aspekt ist aber auch die intellektuelle Umgebung und die Frage, ob ich Menschen meines Kalibers als Gesprächspartner am Institut treffe. Ein erster Indikator hierfür sind natürlich die Rankings. Ist eine Einrichtung nicht gut gerankt, werde ich auch eine nicht so gute intellektuelle Umgebung erwarten. Das macht es nicht leichter, Kollegen und Kolleginnen zu gewinnen. Wenn man als Institution in den Rankings nicht auftaucht, wird man schlichtweg über­sehen.

Bayern Innovativ: Worin besteht das Potenzial der deutschen Materialforschung?

Prof. Schüth: Ich würde es nicht wagen, als Chemiker – also quasi als Außenseiter – der Materialforschung Ratschläge zu geben. Gemeint ist die starke Basis in den Werkstoffwissenschaften, das heißt in den Strukturmaterialien und ihre enge Kopplung an die deutsche Industrie. Nimmt man eine Unterteilung in Struktur- und Funktionsmaterialien vor, habe ich den Eindruck, dass Deutschland im Bereich der Funktionsmaterialien weniger stark aufgestellt ist. In den biomedizinischen Anwendungen, bei Magnet- oder Nanomaterialien gibt es andere Wissenschaftssysteme, die hier erfolgreicher positioniert sind als wir in Deutschland. Führend dagegen ist die deutsche Material- und Werkstoffszene in Strukturmaterialien wie Legierungen, hochfesten Werkstoffen, Werkzeugstählen, Keramiken oder Glas. Bereiche also, die von einer starken industriellen Anknüpfung profitieren.

Bayern Innovativ: Welche Empfehlung geben Sie dem Hochtechnologiestandort Deutschland auf dem Gebiet der Material­forschung, um im internationalen Wett­bewerb gut aufgestellt zu bleiben?

Prof. Schüth: Es wird wichtig bleiben, die erkenntnisorientierte Erforschung neuer Materialien weiter zu entwickeln. Wir müssen besser werden, diese grundlegenden Erkenntnisse auch in Technologien umzusetzen. Hier in Deutschland sollten wir selbst die Wertschöpfung erzeugen – gerade wenn wir über Nanomaterialien reden, die oft in kleinen Mengen eingesetzt werden. Oft liegt die Wertschöpfung nicht mehr beim Material direkt, sondern in der Anwendung. Die Materialmengen sind klein, die Erlöse, die für das Basismaterial selbst erzielt werden, gehen bei optimierter Herstellung zurück. Das große Geld wird letztendlich in der Anwendung verdient. Und da viele Anwendungen jenseits der reinen Materialentwicklung entstehen, ist hier zunehmende Interdisziplinarität entscheidend.

 

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