Der Prozess der stromlosen Vernicklung und seine Bedeutung in der Anwendung

Oberflächen 05. 08. 2016
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Von Matt Kreiner und Joseph Zhu, Oxford Instruments

Fortschritte in der Röntgenfluoreszenztechnologie ermöglichen die direkte Messung der Zusammensetzung von Nickelphosphorlegierungen, wie sie für die chemische Vernicklung verwendet werden. Dadurch wird die Prozesssicherheit der Beschichtungen, wie sie in zunehmendem Maße in wichtigen Industriebereichen wie der Automobil- und Luftfahrtindustrie zum Einsatz kommen, deutlich ­erhöht. Die Technologie eignet sich auch für die messtechnische Erfassung von Mehrfachschichten.

Der Prozess der stromlosen (auch als chemisch oder autokatalytisch bezeichnet) Nickel­abscheidung (Electroless Nickel, kurz: EN) ist ein modernes Beschichtungsverfahren, bei dem eine Nickel-Phosphor-Legierung auf einem Metall- oder Kunststoffsubstrat in einer kontrollierten chemischen Reaktion aufgebracht wird. Dieses Beschichtungsverfahren wird für bestimmte Anwendungen aufgrund der sich hieraus ­ergebenden Eigenschaften (z. B. gleichmäßige Schichtdicke), der Stabilität (hohe Härte und gute Korrosionsbeständigkeit) und des Glanzes der Beschichtung bevorzugt. Der autokatalytische Prozess der strom­losen Vernicklung ermöglicht es, die Schicht auf einer metallischen oder nichtmetallischen Oberfläche ohne Einsatz einer äußeren Stromversorgung herzustellen. Zu diesem Zweck wird das zu beschichtende Werkstück in eine wässrige Lösung mit gelöstem Metall und Zusatzstoffen wie Reduktionsmittel oder chemische Stabilisatoren eingetaucht. Das in der Lösung befindliche Reduktionsmittel, in der Regel Natriumhypophosphit, reduziert das gelöste Metall, wobei Wasserstoff frei wird. Das reduzierte Metall bildet die Metallschicht auf dem Werkstück. Als weiterer Bestandteil aus dem Reduktionsmittel steht Phosphor zur Verfügung, der ebenfalls in die sich bildende Metallschicht eingebaut wird und zur Entstehung einer Nickel-Phosphor-Legierung mit sehr vorteilhaften Materialeigenschaften führt.

Das Beschichtungsverfahren ermöglicht die zuverlässige Herstellung von Beschichtung in stets einheitlicher Stärke, durch die sich in einigen Fällen die mechanische Nachbearbeitung beispielsweise durch Schleifen nach der Beschichtung erübrigt. Weitere Vorteile sind der hochwertige Korrosionsschutz, günstiges Gleit- und Reibverhalten (beispielsweise durch Einbettung von zusätzlichen Schmierstoffen), Lötbarkeit und Verschleißfestigkeit. Aus diesem Grund wurde der chemische Vernicklungsprozess in der Automobil-, Luftfahrt- und Militär­industrie eingeführt, wie auch in der Leiterplattenindustrie, die auch den Bedarf an hochgradig zuverlässigen Elektronikartikeln in diesen Industrien bedient.

Zusammensetzung und Eigenschaften von Nickel-Phosphor

Chemisch aufgebrachte Nickelbeschichtun­gen werden üblicherweise in drei Phosphor­konzentrationsbereiche mit spezifischen metallurgischen Eigenschaften eingeteilt:

  • niedrig mit 2 % bis 5 % Phosphor
  • mittel mit 6 % bis 9 % Phosphor
  • hoch mit 10 % bis 13 % Phosphor

Beschichtungen mit niedrigem Phosphor­anteil werden beispielsweise aufgrund ihrer einheitlichen Dicke inner- und außerhalb von komplexen Bauteilen geschätzt, da eine mechanische Nachbearbeitung entfallen kann. Beschichtungen mit hohem Phosphoranteil bieten optimale Leitfähigkeit und Korrosionsbeständigkeit für anspruchsvollere Anwendungsbereiche.

Durch die Einführung der stromlosen Vernicklung vor über 50 Jahren wurde es möglich, Werkstücke mit geringem Gewicht mit besseren Korrosionseigenschaften und höherer Lebensdauer herzustellen, durch die beispielsweise die Treibstoffeffizienz verbessert wird. Aus diesem Grund wurde diese Technologie schnell in der Automobil-, Luftfahrt- und Transportindustrie eingeführt. Darüber hinaus gilt sie aufgrund ihrer Fähigkeit, zahlreiche Konstruktionsanforderungen zu erfüllen bei gleichzeitig sehr geringer Umweltgefährdung, als eine Alternative zur Beschichtung mit Chrom. Richtlinien, die sich speziell auf Altfahrzeuge, die Regulierung gefährlicher Substanzen (Restriction of the Use of Hazardous Substances kurz: RoHS), die US-Umweltschutzbehörde (EPA) und die Occupational Safety and Health Administration (OSHA) beziehen, erhöhten die Bemühungen der Chemikalienhersteller, Alternativen zur Chromtechnologie zu erforschen. Dies gilt insbesondere, da bei Verwendung von Chrom im Fertigungsprozess die Umwelt- und Gesundheitsbedenken aufgrund der hohen Toxizität in den letzten Jahren stetig zugenommen haben. Heute gilt die stromlose Vernicklung als ausgezeichnete Alternative zur Verbesserung der Energieeffizienz, zur Erfüllung von Konstruktionsanforderungen und zur Reduktion von Sondermüll.

Stromlos Nickel im Automobil- und Luftfahrbereich

In der heutigen Automobilindustrie sind Anwendungen und Einsatzmöglichkeiten der stromlos abgeschiedenen Nickelschichten weitgehend akzeptiert, beispiels­weise für Einzelteile in Getrieben, Lager, Einspritzsysteme, Aluminium-Kraftstofffilter, Sollbruchbolzen und Entlüftungsventile. Ähnliches gilt für die Luftfahrtindustrie als Schutz von rotierenden Teilen und Wellen.

Ein signifikanter Vorteil des stromlos abgeschiedenen Nickels und der Grund für die große Bedeutung für die Luftfahrt- und ­Automobilindustrie liegt in der Eigenschaft, Beschichtungen in einheitlicher Dicke herzustellen, auch wenn das Werkstück komplexe Formen und Geometrien aufweist. Mit der Technologie wird sichergestellt, dass die Beschichtung auf scharfen Kanten, tiefen Einschnitten und Blindlöchern eine einheitliche Dicke aufweist, unter der Berücksichtigung, dass es gelegentlich zu Variationen der Beschichtung an Kanten, Gewinden, kleinen Bohrungen oder tiefen Einschnitten kommen kann. Schließlich ist die Tatsache, dass durch diese Beschichtungsmethode industrielle Schmierstoffe für Komponenten und Einzelteile entfallen oder stark reduziert werden können, ein weiterer Vorteil. Das Interesse an stromlos abgeschiedenem Nickel steigt daher weiter und das Verfahren wird fortlaufend in neuen­ Industrien wie in der Elektronik-, Chemie- und Erdöl-, Eisenbahn-, Druck-, Textil-, Holz- und Papierindustrie und in anderen Branchen eingesetzt.

Stromlos Nickel in der Elektronik

Kombinationsschichten aus chemisch abgeschiedenem Nickel und chemisch abgeschiedenem Gold (ENIG) sowie aus chemisch Nickel, chemisch abgeschiedenem Palladium und chemisch abgeschiedenem Gold (ENEPIG) werden auf Leiterplatten verwendet, um Nickel gegen Oxidation zu schützen. Dieser Schutz ist erforderlich, um die Funktionsqualität für hochgradig zuverlässige Elektronik in der Automobil-, Luftfahrt- und Militärindustrie sicherzustellen. Die primäre Funktion von ENIG und ENEPIG besteht darin, eine lötfähige Oberfläche mit ausgeprägtem Verbundverhalten zu erzeugen. Dadurch kann bei derartigen Leiterplatten eine hohe Lebensdauer garantiert werden, die für alle Oberflächen­montagen und Through-Hole-Bestückungen geeignet ist.

Qualitätssicherung durch Röntgenfluoreszenzanalyse

Die für viele Anwendungen erforderliche hohe Qualitätssicherung macht es notwendig, den Phosphorgehalt unter einer dünnen Goldschicht oder Mehrfachlagen aus Gold- und Palladiumschichten zu prüfen. Für Leiterplattenanwendungen ist es wünschenswert, die Analysen ohne die Zerstörung des Werkstücks durchzuführen.

Ortsaufgelöste Röntgenfluoreszenzanalyse

Die Röntgenfluoreszenzanalyse ist eine Analysetechnik, bei der die Probe mit einem primären Röntgenstrahl mit ausreichend Energie bestrahlt wird, um Elektronen aus den innen Schalen eines Atoms zu entfernen. Dadurch entsteht eine instabile­ Elektronenlücke (Fehlstelle im energetischen Sinn). Ein Elektron aus einem höheren Energieniveau kann diese Lücke spontan füllen. Dadurch entsteht ein Energieverlust, was zum Beispiel zur Emission von sekundären Röntgenstrahlen, sogenannter Röntgen­fluoreszenz führt. Diese Röntgenfluoreszenz weist eine diskrete Energie auf, die charakteristisch für jedes chemische Element und dessen spezifische Übergänge ist. Durch die Identifikation der Energie dieser Röntgenfluoreszenz ist eindeutig gekennzeichnet, welche Elemente in der Probe vorhanden sind. Die Intensität der jeweiligen Röntgenfluoreszenz kann ein geeignetes Analysegerät in die Menge (Schichtdicke und Zusammensetzung) jedes Elements, das in der Probe vorhanden ist, umrechnen.

Analysengeräte für Röntgenfluoreszenz (RFA) werden bereits seit vielen Jahren eingesetzt, um die Elementzusammensetzung und Schichtdicken zu ermitteln. Die Geräte­ werden zunehmend spezialisiert, um anspruchsvollere Analyseanforderungen zu erfüllen. µ-RFA-Geräte sind darauf ausgelegt, kleine Messflächen auf der Probe anzuregen, indem ein primärer Röntgenstrahl auf eine Mikrometerebene fokussiert wird.

Der Einsatz von diesen Geräten war in den Anfängen der Analysentechnik auf relativ wenige Anwendungen mit einer begrenzten Anzahl von Elementen oder Schichten, minimalen oder keinen spektralen Überlappungen beschränkt. So konnten nur Elemente mit einer höheren Ordnungszahl erkannt werden. Durch kontinuierliche Weiterentwicklung sind moderne Geräte in der Lage, komplexere Anwendungen mit einer höheren Anzahl an Elementen oder Legierungen beziehungsweise Schichten und einer breiteren Abdeckung des Periodensystems zu erfassen. Diese Art der Röntgenfluoreszenzanalyse ist eine ideale Testmethode, da sie eine zerstörungsfreie Messung der Dicke und Zusammensetzung gewährt und präzise, wiederholbare Analysen mit nur wenigen Sekunden Mess­dauer und ohne Einsatz von Chemikalien oder Spülgase erfordern.

Die RFA ist eine Methode, die von der American Society for Metals (ASM), der Association Connecting Electronic Industries (IPC), American Society for Non Destructive Testing (ASNT) und der Society of Manufacturing Engineers (SME) anerkannt wurde, um nur einige Beispiele zu nennen. RFA dient als ein Verfahren für Techniker und Ingenieure, die sich mit Vorgaben der Qualitätskontrolle beziehungsweise Qualitätssicherung befassen, um die Schichtdicke während einer Phase des Beschichtungsprozesses von der Eingangsinspektion bis hin zur letzten Qualitätsprüfung zu messen. Die Verwendung der RFA während des gesamten Beschichtungsprozesses weist große Vorteile auf, beispielsweise zur Kostenoptimierung oder der sicheren Einhaltung von Normen. Darüber hinaus bietet sie Unterstützung bei der Sicherstellung einer reibungslosen Funktionalität und Langlebigkeit der fertiggestellten Baugruppe oder des Produkts. Weiterhin kann die RFA Hersteller dabei unterstützen, einen teuren Rückruf von Komponenten und Produkten zu vermeiden und ein Unternehmen vor irreparablen Schäden angesichts von Produktversagen schützen.

Zerstörungsfreie Echtzeitmessung mit RFA

Fortschritte in der µ-RFA-Technologie, zum Beispiel durch Hochleistungssilicon-Drift-Detektoren (SDD), machen es möglich, sowohl den Nickel- als auch den Phosphor­gehalt direkt zu messen, sodass sowohl die Schichtdicke als auch die chemische Zusammensetzung simultan bestimmt werden. Um die größtmögliche Präzision bei der Vermessung von Nickel-Phosphor-Legierungen (NiP) mit µ-RFA zu gewährleisten, ist es erforderlich, eine Mikrosonden-Einheit zu nutzen, die eine geeignete Röhren-Detektor-Kombination und eine optimale Geometrie (minimaler Abstand zwischen Probe und Detektor) besitzt.

Damit ist die µ-RFA ein ideales Instrument zur kritischen Schichtdickenanalyse für die Qualitätskontrolle während des gesamten Prozesses der stromlosen Vernicklung. Die Technologie erlaubt auch präzise Messungen an Beschichtungen, wennNickel-Phosphor-Legierungen in unterschiedlichen Verhältnissen erzeugt werden sollen. Da die physikalischen und chemischen Eigenschaften der stromlos abgeschiedenen Nickelschicht entscheidend vom zugrunde liegenden Phosphoranteil abhängen, ist es von großer Bedeutung, den korrekten Konzentrationsbereich für Phosphor über die gesamte Schicht einzuhalten.

Phosphor ist ein Element, dessen Röntgenfluoreszenz eine relativ niedrige Energie (K-alpha: 2,01 keV) aufweist. In Nickel-Phosphor-Schichten beträgt die Sättigungsdicke üblicherweise weniger als 2 µm. Daher wird nur das Nickelsignal mit höherer Energie (K-alpha: 7,47 keV) zum Ermitteln der Schichtdicke verwendet. Für die Bestimmung der chemischen Zusammensetzung der Schicht kann direkt auf die Röntgenfluoreszenzlinie­ von Phosphor zurückgegriffen werden. Die Ermittlung der chemischen Zusammen­setzung der Nickel-Phosphor-Legierung basiert auf direkter Bestimmung der Phosphor-Röntgenfluoreszenzlinie (Tab. 1).

 

Schlussfolgerung

Neue Entwicklungen in µ-RFA ermöglichen die Bestimmung von Schichtdicke und Zusammensetzung von stromlos abgeschiedenen Nickelschichten auf Automobil-, Luftfahrt- und Elektronikkomponenten. Die zerstörungsfrei arbeitenden Röntgenfluoreszenzmethoden zur Materialanalyse­ unterstützen das Qualitätsmanagement dabei, die chemischen Bedingungen des Prozesses und die Beschichtungen zu kontrollieren.

Die Integration von RFA in ein Qualitäts­sicherungsprogramm kann Unterstützung dabei bieten, die Produktionsprozesse während aller Phasen des Beschichtungsprozesses zu überwachen, die Effizienz zu steigern, Kosten zu senken und vor allem die Risiken eines Produktrückrufs zu minimieren. Die Messgeräte sind darauf ausgerichtet, die geltenden Spezifikationen einzuhalten; zu nennen sind insbesondere: AMS-2404, AMS-C-26074, ASTM B-733, ASTM B-656, IPC-4556, ASTM-B568 und MIL-DTL-32119. Die RFA-Messungen lassen sich gut in bestehende Anlagen integrieren und durch die hohe Messgeschwindigkeit und Präzision bei Wiederholungsmessungen auch im Dauerbetrieb einsetzen.

Angesichts der globalen Bedeutung der ­Regulierung von Blei und Chrom in den heutigen Herstellungsprozessen und mit dem Endziel, die potenzielle Gefährdung derartiger Stoffe für Mensch und Natur zu reduzieren, kann die Verwendung von RFA auch im Bereich des Recyclings unterstützen. Sie hilft, einwandfreie Entsorgung von Elektronik und Altfahrzeugen sicherzustellen, indem qualitative und quantitative Analysen über Inhaltsstoffe – von toxischen Bestandteilen wie Blei bis zu wertvollen Rohstoffen wie Gold – von elektronischen oder mechanischen Komponenten schnell und einfach erzielbar sind.

Über Oxford Instruments

Oxford Instruments entwickelt, liefert und wartet Geräte und Systeme der Spitzen­technologie mit dem Schwerpunkt auf Forschung und Industrieanwendungen. Das Unternehmen liefert die notwendigen Lösungen für Fortschritte in der physikalischen Grundlagenforschung und ihre Übertragung in wirtschaftliche Anwendungen in der Nanotechnologie. Innovation ist seit mehr als 50 Jahren die treibende Kraft hinter dem Wachstum und dem Erfolg von Oxford Instruments. Die Strategie des Unternehmens ist es, eine erfolgreiche Vermarktung dieser Ideen zu bewirken, indem sie zeitnah und kundenorientiert auf den Markt gebracht werden.

 

Text zum Titelbild: Vermessung einer Nickel-Phosphor-Schicht auf einem Kolben mit dem maxxi6 von Oxford Instruments

 

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