Ressourceneffizienz – Joker oder Klotz am Bein?

Werkstoffe 06. 11. 2016
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Von Harald Holeczek, Stuttgart

Der sorgsame und sparsame Umgang mit Ressourcen ist heute noch lange keine Selbstverständlichkeit, doch wird er es früher oder später nicht nur in den Industrieländern werden müssen. Die Beschaffung von Ressourcen jeder Art ist mit Kosten verbunden, sei es Geld oder auch Umweltkosten, wenn Landschaft zerstört oder vergiftet wird. Abgesehen von diesen Kosten, für die sich zunehmend mehr Menschen beim Konsum interessieren, ist auch die Verfügbarkeit von Ressourcen heute nicht mehr selbstverständlich; das ist mittlerweile bei vielen Unternehmen im Bewusstsein angekommen. Durch sparsamen Umgang mit Ressourcen, durch den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen und durch Reparatur und Remanufacturing lassen sich nicht nur Kosten einsparen sondern immer auch zusätzliche Vorteile erzielen.

Für ein rohstoffarmes Industrieland wie Deutschland sind solche Überlegungen wichtig, noch wichtiger werden sie in einem rohstoffarmen und auf seine Fertigungsindustrie stolzen Bundesland wie Baden-Württemberg genommen. Aus diesem Grund fand dort am 5. und 6. Oktober 2016 bereits zum fünften Mal ein Ressourceneffizienz- und Kreislaufwirtschaftskongress statt, der viele Denkansätze und Impulse lieferte, auch für Interessierte in anderen Ländern. Ein Kongress, der mit über 900 Teilnehmern nicht nur Besucher aus der Forschung, aus Behörden und Institutionen anzog sondern auch viele Unternehmensvertreter, die sich über neue Trends und die Förderung von Ressourceneffizienz informieren wollten.

Der Kongress warf einen Blick aus ganz verschiedenen Perspektiven auf das Thema Ressourceneffizienz. Da wurden einerseits Gesetze und Vorschriften betrachtet, dieses Mal ganz besonders auf der europäischen Ebene; es wurden aber auch die Handlungsplanung der Landespolitik vorgestellt und Aspekte der Wirtschaftlichkeit diskutiert. Nicht zuletzt spielten Innovation und Image eine Rolle, zwei Bereiche, die heute für viele Unternehmen zu den entscheidenden Auswahlkriterien bei der Positionierung auf dem Markt zählen.

Ressourceneffizienz – ein gemeinschafliches Ziel

Die Europäische Kommission als höchste Instanz für viele Arten von Regelungen möchte im Bereich der Produktherstellung und der Abfallentsorgung neue Wege gehen. Produkte sollen in Zukunft immer mehr auf der Basis nachhaltiger Konstruktionsregeln entstehen, so dass sie weniger Rohstoffe benötigen, länger halten, reparaturfreundlicher sind. Dafür sind neue Kennzeichnungen geplant, welche den Verbrauchern eine bessere Kaufentscheidung ermöglichen sollen. Allerdings spielen auch die Produktionsprozesse, ihr Energiebedarf und ihre Emissionen eine wichtige Rolle. So lässt die Kommission derzeit Messmethoden entwickeln, mit denen die Umweltauswirkungen von Produkten und Prozessen erfasst und bewertet werden können.

Andererseits wird auch die Entsorgung von Abfällen auf europäischer Ebene immer stärker geregelt, so dass sowohl die Entsorgung von nicht mehr funktionsfähigen Produkten als auch die Entsorgung von Produktionsrückständen schwieriger werden, wenn die zu entsorgenden Stoffe problematisch sind. Auch wenn europäische Mühlen sehr langsam mahlen so sind sie doch von einer erschreckenden Gründlichkeit und vielfach gibt es einfach keine Ausweichstrategien, so dass eine frühzeitige Beschäftigung mit kommenden Entwicklungen Pflicht für jeden Unternehmer ist.

Interessant war die Rede des baden-württembergischen Umweltministers Franz Untersteller, die viele wichtige Aspekte der politischen Perspektive zeigte. Einerseits gehört zu jeder solchen Rede, vor allem auf einem Ressourceneffizienzkongress, die Versicherung, eine verantwortliche Ressourcenpolitik sei eine wichtige Leitlinie des politischen Handelns. Eine solche Politik darf, so Minister Untersteller, nicht nur bei der Absicherung des Zugangs zu Rohstoffen stehen bleiben, sie muss sich auch um Rahmenbedingungen und Initiativen bemühen, welche die Einsparung von Ressourcen attraktiv machen. Ressourcenpolitik in diesem Zusammenhang ist nach seinen Ausführungen immer eine Verknüpfung von Umwelt- und Wirtschaftspolitik, und seine Ressortkollegin, die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, pflichtete ihm später bei. Die Landesregierung möchte deshalb auch einen Think tank zum Thema Ressourcenpolitik in Baden-Württemberg ansiedeln. Klar wurde, dass die Politik immer einen Spagat schaffen muss zwischen innovativer und umweltbewusster Politik auf der einen Seite und der Verantwortung für all die Unternehmen, welche die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben und deshalb noch immer nach den alten Mustern arbeiten, die sich im letzten und vorletzten Jahrhundert herausgebildet haben. Die Politiker müssen also einerseits neue Wege gehen und andererseits den alten Zustand erhalten, bis auch die letzten sich auf den Weg gemacht haben.

Rohstoffe mit etablierten Fertigungsverfahren zu nutzen ist einfach, die Prozesse sind etabliert und die Qualität ist hoch. Neue Materialien als Rohstoffe zu nutzen, bedeutet eine ständige Suche nach neuen und guten Lösungen, oft eine Differenzierung von Prozessen für verschiedene Produktlinien und eine bewusste, immer wiederkehrende Analyse aller Technologien und Abläufe. Das ist anspruchsvoll und geht in den meisten Unternehmen im Tagesgeschäft unter, sofern sich nicht jemand für diese Themen besonders interessiert und sie vorantreibt.

All die Unternehmen und Unternehmer zu unterstützen, die genau dies tun, ist das Ziel des Programms 100 Betriebe für Ressourceneffizienz, mit dem 100 Firmen bei der Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Ressourceneffizienz unterstützt werden sollen. Die ersten 50 Betriebe wurden bereits gefunden und inzwischen gibt es ein Buch mit der Beschreibung dieser ersten 50 Projekte, welche als Mutmacher, Beispiele und Blaupausen dienen können für diejenigen, die zukünftig auch Ressourcen und damit Kosten einsparen und dazu noch andere Vorteile nutzen möchten.

Erfolge in der Praxis

Welche konkreten Vorteile der Zwang zum Ressourcensparen haben kann, wurde anhand einiger Beispiele aus dem Alltag großer und kleiner Unternehmen illustriert. Da ist beispielsweise die Rosswag GmbH, ein Unternehmen aus der Nähe von Karlsruhe, welches Schmiedeteile aus Edelstahl herstellt. In den letzten Jahren entwickelte sich dort eine eigene Ingenieurabteilung, welche Konstruktion und Engineering für Bauteile durchführt. Seit einiger Zeit beschäftigt sich diese Abteilung auch mit additiven Fertigungstechniken, also mit der Herstellung von Bauteilen aus pulverförmigen Ausgangsstoffen mit Hilfe des Selektiven Laser-Schmelzens (SLM). Diese Technologie bietet sehr große Freiheitsgrade in der Herstellung auch komplexer Geometrien; ja die Komplexität kostet an dieser Stelle nichts als den Konstruktionsaufwand, da die Bauteile aus vielen dünnen Metallschichten hergestellt werden, deren Form frei bestimmt werden kann. Bei den meisten Anwendungen werden ganze Bauteile aus Metallpulver hergestellt. Die Rosswag GmbH geht allerdings neue Wege. Sie kombiniert Grundkörper, die über klassische Schmiedeverfahren gefertigt werden, mit feinen oder individuellen Strukturen, die mit Hilfe der Additiv-Technologie in einem zweiten Schritt aufgebracht werden. So kann beispielsweise ein Pumpenrad aus einem massiven Grundkörper hergestellt und anschließend additiv mit Schaufelrädern bestückt werden, welche mit speziellen Strukturen zur Strömungsführung ausgerüstet sind. Damit lässt sich die Energieeffizienz der Pumpe, aber auch des gesamten Herstellprozesses, deutlich verbessern. In diesem Beispiel kommen Effizienz und Innovation in ungewöhnlicher Weise zusammen.

Ein zweites Beispiel ist das Unternehmen Duravit, das Produkte aus Keramik vorwiegend für den Sanitärbereich fertigt. Die Produkte werden durch den Einguss von Formmassen in Gipsformen hergestellt. Die Grünkörper durchlaufen dann einen Ofen und werden im Verlauf von 17 bis 24 Stunden fertiggebrannt. Die Brenndauer hängt auch von der Wandstärke und dem Gewicht der Produkte ab und der Prozess verschlingt sehr viel Energie. Die Ziele der Duravit waren die Reduzierung der Deformation der Teile im Brand und gleichzeitig die Herabsetzung der Wandstärke, um Energie sparen zu können. Über eine genaue Analyse des Brennprozesses, ein tiefes Verständnis der Umwandlungsprozesse im Material während des Brennens und eine veränderte Herstellung der Formmasse konnten die beiden scheinbar widersprüchlichen Ziele erreicht werden. Durch die Reduktion der Wandstärke von 12 mm bis 14 mm auf 7 mm bis 10 mm konnten beim Brand von fünfzehntausend Bauteilen etwa acht Tonnen Kohlendioxid eingespart werden. Hier gab es neben der Einsparung von Rohstoffen und Energie noch ein weiteres Plus, denn Duravit gewann durch die kleinere mögliche Wandstärke neue Freiheiten bei der Gestaltung der Produkte.

Insbesondere das letzte Beispiel zeigt auch, dass schon aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen der Verbrauch von Ressourcen gesenkt werden sollte, da damit auch Kosten für die Rohstoffe und deren Prozessierung wegfallen. Die Verbesserung von Ressourceneffizienz ist also immer auch unternehmerisch sinnvoll und sollte daher als ein Werkzeug der ständigen Verbesserung auf der Liste der Unternehmensleitungen stehen.

Von der Wirtschaftlichkeit zum Idealismus

Jenseits von Kosten- und Effizienzdenken kann auch Idealismus Motiv für die Entwicklung ressourceneffizienter Produkte sein. Eindrucksvoll wurde dies bei der Vorstellung des Fairphone durch den Gründer des gleichnamigen Unternehmens, Bas van Abel, demonstriert. Er wollte ein Smartphone verkaufen, das nicht schon nach einigen wenigen Jahren ausgemustert wird, weil Komponenten kaputt sind oder weil es nicht mehr aktuell genug scheint. Zudem sollte es einen Beitrag zur Verringerung des Elektroschrotts und der problematischen E-Schrott-Exporte nach Afrika und Asien leisten.

Heraus kam ein Smartphone, welches dem technologischen Stand von heute entspricht, jedoch modular aufgebaut ist. So können alle Komponenten ausgetauscht werden, wenn sie ihr Lebensende erreicht haben. Fairphone ist bis jetzt ein Erfolg, jedoch ist das langfristige Überleben keineswegs gesichert. Dies zeigt auch, dass Idealismus und gute technische und ethische Konzepte alleine nicht immer etwas verändern können. Fairphone verkauft derzeit etwa 100.000 Telefone im Jahr, diese Zahl soll und muss aber wachsen, damit sich das Unternehmen auf dem weltweiten Markt für Mobiltelefone halten und behaupten kann.

Ein Start-up wird irgendwann größer und dann Teil des Systems; dann muss es auch nach den Regeln des Systems handeln. So ist Fairphone gezwungen, nach den knallharten kapitalistischen Regeln der globalisierten Mobiltelefonproduktion zu handeln und sich den Preisen der Wettbewerber zu stellen, obwohl sie unter anderem beispielhafte soziale Projekte in Afrika und Asien durchführen, von wo die Rohstoffe für ihre Produkte kommen. Nach den Worten von Bas van Abel erfordert ein größeres Unternehmen andere Strukturen als ein kleines Start-up und diese sind nicht immer positiv. Also kommt es darauf an, wie die einzelnen Menschen in dem System denken, was sie denken dürfen und wie sie miteinander verbunden sind.

Bei der Umsetzung von Ressourceneffizienz werden oft Technologiealternativen oder ganz neue Technologien benötigt, um verschwenderische Prozesse zu verbessern. Dabei gibt es eine Reihe von älteren und neueren Technologien und Technologiefeldern, aus denen sich innovative Problemlösungen gewinnen lassen. Die wichtigsten sind in Abbildung 3 dargestellt. Im Einzelfall können aber sogar ganz einfache organisatorische Änderungen, neue Abläufe oder geringe Veränderungen in Prozessen erhebliche Einsparungen ermöglichen.

Ausblick

Es gibt viele Wege zu mehr Ressourceneffizienz, sei es in der Produktentwicklung, durch Überarbeitung von Produkten, durch neue Möglichkeiten der Datenerfassung an Produktionsanlagen oder schlicht über neue Produktionsmaschinen. Auch erhöhte Anforderungen an die Dokumentation von Inhaltsstoffen können Auslöser für die Analyse und Verbesserung von Liefer- oder Prozessketten sein. Wichtig ist in jedem Fall, bekannte und vertraute Zusammenhänge oder Abhängigkeiten neu zu denken.

Vielfach verhindert die Belastung des Tagesgeschäfts die eingehende Beschäftigung mit Produkten und Prozessen und das kritische Hinterfragen bestehender Lösungen. Hier ist der Ruf nach mehr Ressourceneffizienz ein Klotz am Bein, zumal die Vorteile einer Analyse, einer Umstellung, einer Bilanzierung selten von vornherein klar sind. Klar ist meist nur, dass es viel Arbeit bedeutet; Mehrarbeit, die letztlich von der Unternehmensleitung gewollt und auch unterstützt werden muss. Neben der Einsparung von Rohstoffen und Kosten kann meist ein zusätzliches Plus verbucht werden, welches dann unerwartete neue Möglichkeiten schafft. Dieses Plus ist dann ein Joker im alltäglichen Wettbewerb.

 

 

Abb. 1: Vier wichtige Bereiche, aus denen heute die Motivation für Unternehmen erwächst, sorgsam und effizient mit Ressourcen umzugehen und dafür die Gestaltung von Produkten und Prozessen auf den Prüfstand zu stellen

 

Abb. 2: Bas van Abel, Gründer von Fairphone, erläutert das modulare Konzept des von ihm entwickelten Smartphones

 

Abb. 3: Technologiebereiche, aus denen heute vielfach Lösungen für mehr Ressourceneffizienz kommen. Die Nutzung dieser Technologien ist nicht per se ressourceneffizient, aber sie stellen interessante Alternativen für Gestaltungsregeln und Herstellprozesse zur Verfügung, mit denen heute Veränderungen möglich werden, die noch vor einigen Jahren oder Jahrzehnten als undenkbar galten.

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