Patientenspezifische Implantate im Bereich Orthopädie

Medizintechnik 07. 11. 2016
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– Chancen für Patienten und Medizintechnik

Von Martin Herzmann, München

Die Technologie des 3D-Drucks eignet sich zur Herstellung von komplexen Implantaten insbesondere durch die bestmögliche Individualisierung. Dazu werden die Kenntnisse und Erfahrungen aus der Herstellung der Teile durch Einsatz der bewährten Titanlegierung Ti-6Al-4V mit den Möglichkeiten zur Herstellung besonders stabiler Strukturen mit guter Adaption im Körper sowie den Anforderungen des jeweiligen Patienten kombiniert. Dies erfolgt mit einer detaillierten Planung unter Einsatz modernster Design-Technologien.

Patient-Specific Implants in Orthopaedics – An Opportunity for both Patients and Medical Technology

3D printing technology is ideally suited to the production of complex medical implants and in particular, to customising these for individual patients. For this, an understanding and actual experience in the manufacture of components using the tried and trusted titanium alloy Ti6-6Al-4V offers a means of producing exceptionally stable structures with excellent biocompatibility, combining these benefits with the requirements of individual patients. This can be achieved with detailed planning and using the most modern design technologies.

Die Behandlungsqualität des Hüft- und Kniegelenkersatzes hat in Deutschland ein ausgesprochen hohes Niveau erreicht. Nach aktuellen Zahlen aus dem Weißbuch Gelenkersatz geht hervor, dass der Gelenkersatz zu den erfolgreichsten chirurgischen Eingriffen gehört: 90 % aller künstlichen Hüft- und Kniegelenke halten länger als 15 Jahre. Insgesamt haben im Jahr 2014 rund 370.000 Menschen in Deutschland ein neues Hüft- oder Kniegelenk erhalten. Die Zahlen der letzten Jahre waren stabil, so dass seit 2005 nur ein Zuwachs von 1,4 % (Hüfte) beziehungsweise 1,7 % (Knie) zu verzeichnen war. Deutlich rasanteres Wachstum ist hingegen im Bereich der patientenspezifischen Implantate zu verzeichnen, die mittels 3D-Druck hergestellt werden. Hier werden seit Jahren Wachstumsraten von 30 % und mehr verzeichnet. Materialise als einer der Pioniere im 3D-Druck ist seit mehr als 25 Jahren im 3D-Druck aktiv und betreibt heute in Belgien Europas größten 3D-Drucker-Park. Neben Aktivitäten im Bereich Software und 3D-Druck für die Industrie ist Materialise seit 2008 auch im Bereich der patientenspezifischen orthopädischen Implantate engagiert. Die personalisierte Medizin und die damit verbundene Möglichkeit, individualisierte Behandlungsmethoden und technischen Fortschritt zu verknüpfen beschreibt einen Trend, von dem in erster Linie die Patienten, aber auch die Medizintechnik-Branche profitieren.

Materialien

Diese stets individuell gefertigten Einzelanfertigungen sind Medizinprodukte und werden aus einer klinisch kompatiblen Titanlegierung gefertigt (Ti-6Al-4V), die sich von industriellem Titan durch seine Zulassung für Medizinprodukte unterscheidet. Die Ansprüche an Materialreinheit-Dokumentation sind dementsprechend höher. Die Implantate von Materialise konzentrieren sich im orthopädischen Bereich heute primär auf den Hüftpfannenersatz bei Revisionseingriffen oder Tumorfällen. Seit einigen Jahren wird aber auch eine patientenspezifische Implantatlösung für Schulterdefekte angeboten, die in der Planung und der Herstellung nochmal eine weitere Dimension der Komplexität aufweist. Hier wird in der Herstellung neben Titan auch eine Glenosphäre (halbkugelförmige Komponente des Implantatsystems) aus Cobalt-Chrom (Co-28Cr-6Mo)
zur Verfügung gestellt. Zudem stellt Materialise kompatible Schrauben aus Titan (Ti-6Al-7Nb undTi-6Al-4V) bereit.

Planung und Herstellung

Patientenspezifische Hüftimplantate sind die technisch fortschrittlichste Lösung für die Revision von Acetabulumdefekten nach Paprosky Typ III, einer heute üblichen Defektklassifizierung in der orthopädischen Chirurgie. Mithilfe von präoperativer Planungssoftware werden die Patientendaten analysiert und eine passgenaue Implantatform entworfen. Das Design des Implantats beinhaltet eine defektfüllende Augmentation, die aus wissenschaftlich geprüftem, osteokonduktivem, porösem Titan besteht. Diese Wabenstruktur im 3D-Volumen (Abb. 1) bietet eine gesicherte strukturelle Unterstützung, in der das Einwachsen von neuem Knochengewebe gefördert und somit eine anatomische Stabilität begünstigt wird.

Abb. 1: Wabenstruktur im 3D-Druck begünstigt den Knocheneinwuchs

Abb. 2: Hüftpfannenimplantat aus dem 3D-Drucker mit drei individuell geformten Stützstrukturen

 

Zudem sieht das Implantat-Design (Abb. 2) eine typischerweise Bi- oder Triflange-Pfannenschale vor, die von den oftmals spärlich vorhandenen intakten knöchernen Regionen gestützt wird. Dadurch entfällt die Notwendigkeit einer zusätzlichen Knochenverstrebung weitgehend.

Wegen seiner biomechanisch optimierten soliden Konstruktion und der patientenspezifischen Planung der Verschraubung ist dieses System optimal für die Rekonstruktion eines dissoziierten Beckens geeignet. Das am Computer geplante Implantat wird anschließend mit Hilfe einer Knochendichteanalyse (Abb. 3) und einer Finite-Elemente-Analyse virtuell geprüft. Materialeigenschaften des Implantats aber auch des Knochenmaterials, das in der Regel osteoporotisch vorbelastet ist, werden hierbei berücksichtigt.

Die Stabilität und anatomische Lage des Implantats werden auch bei der Schraubenplanung berücksichtigt. Mit 12 Schrauben und mehr wird das Hüftimplantat im Knochen verschraubt. Die Lage und Verankerung der Schrauben werden ebenfalls vorab digital geplant und auf Stabilität geprüft. Intraoperativ werden die Schrauben mit Hilfe einer Bohrschablone eingebracht, die aus biokompatiblem Kunststoff PA2201 gefertigt wird – ebenfalls im 3D-Druckverfahren. Diese Bohrschablonen gewährleisten, dass die Trajektorien der Schrauben intraoperativ mit der präoperativen Planung übereinstimmen (Abb. 4).

Abb. 3: Analyse der Knochendichte des Patienten (hier ein Beckenknochen/Hüfte)

 

Abb. 4: Patientenspezifisches Implantat mit anatomischem Modell

 

Ausblick

Die Erfahrungen mit patientenspezifischen Implantaten im Bereich der Orthopädie sind noch zu jung, um eine Langzeitstudie vorlegen zu können. Erste Erfahrungsberichte und klinische Publikationen sind aber vielversprechend. So berichtet das orthopädische Fachjournal The Bone and Joint Journal in einer Veröffentlichung aus dem Juni 2015 über 16 Patienten, die mit oben beschriebener Lösung behandelt wurden über ermutigende Ergebnisse in der Patientenversorgung komplexer Fälle [1].

Der streng regulierte Markt der Medizintechnik wird heute mit den technisch innovativen Möglichkeiten des 3D-Drucks konfrontiert und aus Sicht des Patienten sicherlich auch bereichert. Dennoch wird die Vielzahl an weiteren denkbaren Behandlungsmethoden mittels 3D-Druck auch eine Reihe an Fragen zu Themen wie Zulassung, Verwendung biokompatibler Materialien oder auch Nutzennachweis mit sich bringen. Der klinische Mehrwert des 3D-Drucks hingegen erscheint heute schon unumstritten.

Literatur

[1] Bone Joint J 2015; 97-B:780–5

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