Austenitische rostfreie Edelstähle zeichnen sich durch ihre hohe Korrosionsbeständigkeit gegen Wasser und eine Vielzahl von Chemikalien aus, weshalb sie in den unterschiedlichsten Bereichen, beispielsweise der Automobilindustrie oder Medizintechnik, zum Einsatz kommen. Die meist geringe Härte und die schlechte Verschleißbeständigkeit von austenitischen rostfreien Edelstählen begrenzen jedoch ihre Anwendungsmöglichkeiten. Mit konventionellen Wärmebehandlungsverfahren, die auf Diffusion von Kohlenstoff und/oder Stickstoff beruhen, kann die Verschleißfestigkeit zwar verbessert werden, diese führen aber gleichzeitig zu einer signifikanten Reduzierung der Korrosionsbeständigkeit. Grund hierfür ist die Bildung von unerwünschten Chromkarbiden oder -nitriden, die zu chromarmen Zonen im Werkstoffgefüge führen.
Niedertemperatur-Diffusionsverfahren Kolsterisieren®
Das Niedertemperatur-Diffusionsverfahren Kolsterisieren® von Bodycote bietet eine Lösung, die es ermöglicht, austenitischen rostfreien Edelstahl an der Oberfläche zu härten, ohne dabei die Korrosionsbeständigkeit zu verlieren.
Mittels Niedertemperaturdiffusion wird eine große Menge Kohlenstoff und/oder Stickstoff im Atomgitter der rostfreien Edelstähle gelöst. Aufgrund der niedrigen Prozesstemperaturen (< 500 °C) kann die Bildung von Chromkarbiden und -nitriden verhindert werden. Die Korrosionsbeständigkeit bleibt, im Gegensatz zu anderen auf Diffusion basierenden Verfahren wie dem Nitrieren oder Nitrocarburieren, erhalten (Abb. 1). Es bildet sich eine homogene, ausscheidungsfreie Diffusionszone, auch expandierter Austenit oder S-Phase genannt. Je nach Kolsterisierverfahren, Grundwerkstoff und Oberflächenzustand kann die Oberflächenhärte 800 bis 1300 HV0,05 und die Diffusionstiefe zwischen 10 µm und 40 µm betragen.
Neben dem Erhalt der Korrosionsbeständigkeit werden durch den Diffusionsprozess die mechanischen Eigenschaften, unter anderem die Dauerfestigkeit oder Abriebbeständigkeit, deutlich verbessert. Zusätzlich zeichnen sich die oberflächengehärteten Bauteile durch Farb- und Formstabilität aus. Auch geometrisch eher ungünstige Bereiche, wie kleinste Bohrungen, Hinterschneidungen oder Querschnittsübergänge sind sicher härtbar. Bauteile aus austenitischem Edelstahl bleiben zudem unmagnetisch.
Zusätzlich zu austenitischen korrosionsbeständigen Edelstählen können auch viele martensitische Edelstähle und rostfreie Duplexstähle sowie Nickel- und Kobalt-Chrom-Basislegierungen gehärtet werden, woraus sich eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten ergibt.
Verschleißbeständige, dauerfeste Bauteile für viele Anwendungsfelder
Die Nahrungs- und Getränkeindustrie beispielsweise stellt höchste Anforderungen an die eingesetzten korrosionsbeständigen Edelstähle (Abb. 2). Kontaminationen, unter anderem durch abgeplatzte Partikel, werden ausgeschlossen, da es sich um keine Beschichtung, sondern um eine Diffusionszone mit hohen Druckeigenspannungen handelt. Mit diesen Eigenspannungen gehen eine bis zu zehnfach höhere Abriebbeständigkeit (genormter Stift-Scheibe-Test [1]) sowie eine Erhöhung der Dauerfestigkeit [2] einher. Diese Eigenschaften führen zu einer wesentlichen Steigerung der Lebensdauer der behandelten Bauteile und zur Verlängerung der Wartungsintervalle.
Auch für die pharmazeutische Industrie und die Medizintechnik sind die zuvor genannten Faktoren von größter Bedeutung und gelten ebenso für die in diesen Bereichen eingesetzten korrosionsbeständigen Stähle. Ferner ist die Biokompatibilität für die behandelten rostfreien Stähle gewährleistet, wodurch ein Einsatz als Implantatwerkstoff ebenfalls möglich ist (Abb. 3) [3].
Auch in Anwendungen mit strömenden Medien, wie Kühlwässer in Anlagen oder Einspritzsystemen, werden korrosionsbeständige Edelstähle eingesetzt. Dort kommt es jedoch häufig zu Kavitationserosion: Durch Druckunterschiede in der Flüssigkeit entstehen Gasblasen die beim Implodieren lokale Druckstöße von mehreren 1000 bar erzeugen können. Trifft dieser Druckstoß auf die Stahloberfläche, kommt es zum sukzessiven Materialabtrag. Kavitationstests nach ASTM G32 [4] zeigen, dass die Kavitationserosion durch das Niedertemperatur-Diffusionsverfahren deutlich verringert wird. Weitere Einsatzgebiete erstrecken sich von der Automobilindustrie, über die Luft- und Raumfahrt, hochwertige Konsumgüter wie Uhren und Besteck bis hin zu Offshore-Anwendungen.
Um der stetig wachsenden und weltweiten Kundennachfrage nach kolsterisierten Stählen gerecht zu werden, wurde Ende letzten Jahres ein neuer Standort in Karben bei Frankfurt eröffnet. Auch in den USA werden die Kapazitäten aufgestockt. Dadurch ist gewährleistet, dass zukünftige Kundenanforderungen von Einzelteil- bis Massenteilfertigung zuverlässig erfüllt werden können. Weitere Informationen bezüglich Kolsteriesieren® bietet die Homepage von Bodycote.
- www.bodycote.com
Literatur
[1] P. Gümpel et.al.: Harte und verschleißfeste Randschicht auf korrosionsbeständigen Stählen; MTZ worldwide (9, 2010), S. 50–53
[2] L. Ceschini et. al: Fatigue behaviour of low temperature carburised AISI 316L austenitic stainless steel; Surface & Coatings Technology, 202 (9, 2008), S. 1778–1784
[3] M. Caligari Conti et.al.: Biocompatibility and characterization of a Kolsterised medical grade cobalt-chromium- molybdenum alloy; Biomatter, 4 (2014)
[4] A. Karl et.al.: The increase of cavitation erosion resistance of stainless steel products by carbon supersaturation; 3rd Symposium on Surface Hardening of Corrosion Resistant Alloys; Material Science and Technology (MS&T), (S. 1473–1479), Pittsburgh, USA (2014)