Additive Fertigung: Ingenieure denken um

Werkstoffe 07. 06. 2017

Fräst Du noch oder druckst Du schon?

Von Dr. Christian Potzernheim-Zenkl und Nicola Socha, Nürnberg

Brillen, Turnschuhe, Zahnkronen, sogar ganze Autoteile: Ideen, was zukünftig so alles aus dem Drucker kommen könnte, gibt es viele. Einige Entwickler setzen 3D-Druck oder die sogenannte Additive Fertigung bereits serienmäßig ein. Prognosen zufolge könnte sich das Marktvolumen in den kommenden Jahren verfünffachen. Additive Fertigung wird einen fundamentalen Einfluss auf die Gesellschaft haben, mehr noch als das Internet. Sie hat das Potenzial, Herstellungsprozesse in einer bisher ungeahnten Weise zu revolutionieren. Gigantische Veränderungen im Konsumverhalten der Menschen werden die Folge sein. Die dahinter verborgenen Prozesse stehen für Individualität, Flexibilität und gestalterische Freiheit. Die Prognosen von Herstellern und Forschern sind selbstbewusst. Doch was steckt hinter dieser Technologie und welche Möglichkeiten bietet sie? Der Cluster Neue Werkstoffe der Bayern Innovativ befasst sich zusammen mit seinen Partnern in verschiedenen Projekten und Arbeitskreisen zu Themen wie Medizintechnik, Maschinenbau, Luftfahrt und Automotive mit dieser Frage.

Manche Menschen sehen heute den 3D-Druck als Grundstein für die vierte industrielle Revolution; andere wiederum stehen dieser Aussage eher skeptisch gegenüber. Tatsache ist jedoch, dass die 3D-Drucktechnologie die Menschen heute bewegt, so Dr. Johannes Homa, Geschäftsführer der Lithoz GmbH, Wien, einem der führenden Experten auf dem Gebiet des keramischen 3D-Drucks. Dabei handelt es sich jedoch seiner Meinung nach keineswegs um eine neue Technologie, 3D-Druckverfahren sind bereits seit den 1990er Jahren bekannt und werden in der Industrie bereits erfolgreich eingesetzt und genutzt. Das Verfahren hat sich in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Produktionsbereichen gut etabliert und stellt eine sinnvolle Ergänzung zu anderen Herstellungsverfahren dar, wie er weiter ausführt.

Generell steht der Begriff Additive Fertigung für eine Vielzahl unterschiedlicher Herstellungsverfahren, welche ein Filament, ein Pulvermaterial, einen Schlicker oder ein Harz zur schichtweisen Erzeugung von Bauteilen nutzen. Dabei entsteht Lage für Lage ein dreidimensionales Werkstück. Dadurch werden geometrisch hochkomplexe Bauteile, welche beispielsweise Hinterschnitte oder innenliegende, gewundene Kühlkanäle aufweisen und bisher noch nicht oder nur mit großem Aufwand realisierbar waren, möglich. Dieser bottom-up-Ansatz bildet nach Aussage von Dr. Christian Potzernheim-Zenkel, Projektverantwortlicher für Additive Fertigung im Cluster Neue Werkstoffe, somit einen Gegensatz zu den klassischen subtraktiven Verfahren wie Drehen, Bohren oder Fräsen, bei welchen Material abgetragen wird um das gewünschte Bauteil zu erzeugen. Wurden früher nur Prototypen als erste Anschauungsmuster hergestellt, so können heute endkonturnahe Bauteile für Verkehrsflugzeuge oder auch Implantate aus Metallen, Keramiken oder Polymeren produziert werden, so Potzernheim-Zenkel weiter.

Seit den Anfängen der additiven Fertigung werden die zugrundeliegenden digitalen Bauteildaten mittels computer-aided design (CAD) erstellt und von der Maschinensoftware in Parameter umgewandelt, um anschließend von der gewählten additiven Fertigungsmethode schichtweise aufgebaut zu werden. Additive Fertigungsprozesse umfassen neben dem Rapid Prototyping, der Herstellung von ersten Prototypen, dem Rapid Tooling, der Herstellung von Werkzeugen, und dem Rapid Repair, also die Reparatur von Verschleißteilen durch sichtbaren Auftrag von Material auch das Direct Manufacturing, das heißt die Herstellung von Endbauteilen, die nach einer Nachbehandlung verbaut werden können.

Funktionsweise des Laser-Sinterns, einem additiven, pulverbasierten Fertigungsverfahren (Quelle: EOS)

 

 

Was einfach klingt, wird schnell kompliziert

Die Betrachtung der Details zu den additiven Techniken zeigen jedoch, dass einfach klingende Sachverhalte schnell kompliziert werden. Wie auch bei klassischen Fertigungswegen müssen die Beschränkungen durch die Fertigungsmethode, die Fertigungsparameter oder das verwendete Material direkt mit in die Konstruktion einfließen. Auch die Vielzahl der unter Begriffen wie industrieller 3D-Druck, additive Fertigung oder Rapid Prototyping zusammengefassten Techniken, die sich grob in Stereolithographie-, Strahl-, Pulver-Binder-, Strangablage- und Schichtablage-Verfahren unterteilen, ist derzeit schwer zu überblicken.

Gegenwärtig werden industriell vor allem Strahlschmelzverfahren wie zum Beispiel das selektive Laserstrahlschmelzen (SLM) beziehungsweise sintern (SLS) und Extrusionsverfahren wie das fused deposition modeling (FDM), insbesondere bei Metallen und Polymeren, eingesetzt. Aber auch das älteste additive Fertigungsverfahren – die Stereolithographie (SLA) – erlebt in den letzten Jahren im Bereich des Polymerdrucks und der additiv gefertigten technischen Keramiken eine Renaissance.

Doch auch die Fragen nach einer Qualitätssicherung, der Reproduzierbarkeit von Ergebnissen oder auch der Erstellung von Normen sind derzeit vielgenannte Fragen im Bezug auf die additive Fertigung. Akteure im Feld der additiven Fertigung nehmen sich bereits seit längerem dieser Themen an und erarbeiten in verschiedenen Ausschüssen, beispielsweise der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde e.V. (DGM) oder im Verein Deutscher Ingenieure e.V. (VDI), Strategien und Empfehlungen um den Grundstein für geltende Normen und somit für eine Etablierung dieser Verfahren in der Industrie zu schaffen.

Ein Umdenken im Bauteildesign ist Voraussetzung

Doch um die Möglichkeiten additiver Fertigungsmethoden ausschöpfen zu können ist auch ein Umdenken in den Köpfen von Produktdesignern, Konstrukteuren und Fertigungstechnikern notwendig. Diese neue Technologie ermöglicht es uns, vereinfacht gesprochen, zu bauen, was wir sehen, ohne uns um Schnittzeichnungen, Baugruppen oder den Zusammenbau der einzelnen Teile Gedanken machen zu müssen, so Potzernheim-Zenkel. Wir können quasi einzelne Bausteine solange miteinander zusammenfügen, bis wir das Produkt in Händen halten. In Zukunft ist die additive Herstellung von Teilen vielleicht sogar ohne Stützstrukturen möglich, welche derzeit tatsächlich mechanisch abgetrennt und verworfen werden müssen. Doch hierfür ist es notwendig, Konstrukteure für den Einsatz dieser neuen Technologien zu schulen und ihren Blick zu erweitern. Weg von Schnittzeichnungen und dergleichen und hin zu einem tatsächlichem dreidimensionalen Konstruieren. Vor allem die Entwicklungen im Bereich der Virtual Reality ermöglichen hier ungeahnte Synergien, welche in Zukunft noch weiter ausgebaut werden müssen, um das volle Potential des 3D-Drucks zu entfalten.

Auch in der Medizin sind passgenaue Produkte immer stärker gefragt; was bereits möglich ist und welche Anwendungen noch Vision sind soll ein Arbeitskreis des Clusters Neue Werkstoffe in enger Kooperation mit dem Forum MedTech Pharma e.V. zeigen (Quelle: EOS)

 

Additiv gefertigter Kabinenhalter aus poliertem Titan (Quelle: Airbus)

 

Neue Themenreihe „Additive Fertigung“ zeigt Potenziale auf

Die Additive Fertigung durchdringt immer mehr Bereiche der Industrie. Allerdings sind die Möglichkeiten, die diese Methoden insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen bieten, oftmals noch nicht bekannt. Für das Cluster Neue Werkstoffe, das sich seit 2013 intensiv damit beschäftigt, ist sie ein wichtiges Thema. Durch die Bildung von Expertenkreisen oder das Anstoßen von Kooperationsprojekten zwischen Industrie und Forschung wird nach Aussage von Christian Potzernheim-Zenkel im Cluster die in Bayern vorhandenen Kompetenzen im Bereich des 3D-Drucks vorangetrieben. Ein wichtiges Werkzeug ist ihmzufolge die Konzeption von Netzwerkveranstaltungen, die Fragen nach Möglichkeiten beantworten und Transparenz schaffen.

Die Bayern Innovativ GmbH und der Cluster Neue Werkstoffe bieten kleinen und mittelständischen Unternehmen Antworten auf die Frage nach den Möglichkeiten dieser neuen Fertigungstechnik. Der Cluster als ein aktives Technologiescouting fragt Bedarfe und bereits vorhandene Fähigkeiten der bayerischen Unternehmen ab und vernetzt gezielt Unternehmen und Konsortien, um die starke Position Bayerns im Feld der additiven Fertigung weiter auszubauen. Hierfür wurden in Gesprächen mit BMW, Siemens oder auch der MTU – bereits langjährig aktive Cluster-Partner – sowie zahlreichen Forschungsinstituten wichtige Fragestellungen identifiziert und Themen für zielgerichtete Netzwerkveranstaltungen erarbeitet. Aktuell befasst sich der Cluster Neue Werkstoffe im Rahmen eines laufenden Cross-Cluster-Projektes zusammen mit den Clustern Aerospace und Mechatronik und Automation in drei Workshops mit den Themen Anforderungen an Materialien für die Additive Fertigung, Qualitätssicherung und Normung sowie Weiterbildung im Themenfeld der Additiven Fertigung.

Da sich Rapid Prototyping gerade auch sehr schnell im Maschinenbau verbreitet, etabliert sich seit Anfang 2016 ein erster Arbeitskreis Additive Fertigung im Maschinenbau. Der Fokus liegt hier auf den Problemstellungen im Bereich der additiven Herstellung von Stahlbauteilen. Arbeitsthemen sind die Breite der verfügbaren Werkstoffe und die strategische Erweiterung um industriell interessante Pulvermaterialien; ebenso die Themen der Oberflächengüte, Reproduzierbarkeit und Qualitätssicherung der Produkte.

Auch in der Medizin sind passgenaue Produkte immer stärker gefragt. Was bereits möglich ist und welche Anwendungen noch Vision sind, wie sich additive Fertigung im Klinikalltag bewährt oder mit welchen Materialien bereits additiv gefertigt werden kann, soll ein weiterer Arbeitskreis des Clusters Neue Werkstoffe in enger Kooperation mit dem Forum MedTech Pharma e.V. zeigen.

Die Zielsetzung des Clusters Neue Werkstoffe ist es, führende Unternehmen und Newcomer im Rahmen von Netzwerkveranstaltungen und Kooperationsprojekten in Kontakt zu bringen, um den Standort Bayern als Land der Additiven Fertigung weiter zu stärken.

Kontakt

  • potzernheim@bayern-innovativ.de
 
 
Text zum Titelbild: Prozessstufe des Aufschmelzens von Pulver mit Hilfe eines Laserstrahls (Quelle: EOS)

 

 

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