Was hat Pizzakäse mit Oberflächenmesstechnik zu tun?

Oberflächen 08. 08. 2017
Die Fachgruppe Oberflächen von microTEC Südwest e. V. traf sich zu ihrer zwölften Fachgruppensitzung am KIT

Am 27. Juni 2017 trafen sich die Mitglieder und interessierte neue Teilnehmer der Fachgruppe Oberflächen des Clusters microTEC Südwest e. V. am Institut für Mikrostrukturtechnik IMT des KIT in Karlsruhe – verbunden mit einem absoluten Teilnehmerrekord seit Bestehen der Fachgruppe. Neben Wissenschaftlern aus Forschungsinstituten und Hochschulen waren auch zahlreiche Vertreter aus mittelständischen Industriebetrieben vertreten.

Zu Beginn begrüßten die Leiterin der Fachgruppe, Dr. Christine Neuy (microTEC Südwest e. V.), und die beiden Sprecher Prof. Volker Bucher (Hochschule Furtwangen) sowie Dr. Andreas Schüle (Festo AG & Co. KG) die Teilnehmer. Der erste Vortrag befasste sich mit der Vorstellung des Instituts für Mikrostrukturtechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) durch den Institutsleiter Prof. Dr. Jan Korvink.

Sein Mitarbeiter Dr. Matthias Worgull ­führte die Anwesenden dann in das faszinierende Gebiet der dreidimensionalen funktionellen Oberflächen ein. Mit neuen Methoden und Materialien für die Nano- und Mikrostrukturierung können hier biomimetische Oberflächen hergestellt werden, die bisher unerreichte Interaktionen mit der Umgebung ermöglichen. In Anlehnung an die Gecko-Füße können selbstreinigende Klebeflächen hergestellt werden (Abb. 1). Als Produktions­technologie kommt hier das sogenannte Hot Embossing und Hot Pulling von Polymeren zum Einsatz. Das Ergebnis der Mikro- und Nanostrukturierung auf drei Ebenen liegt sehr nah beim Vorbild der Geckos.

Abb. 1: Hierarchische Struktur eines Gecko-Fußes (links) und der künstlichen Nach­bildung, wie sie am IMT-KIT hergestellt wird

 

Der sogenannte Salvinia-Effekt beschreibt die dauerhafte Stabilisierung einer Luftschicht auf einer Oberfläche unter ­Wasser. Mit dieser Härchenstruktur ist es auch möglich, Öl von Wasser zu trennen: ­Oleophiles Polycarbonat wird durch Strukturierung zu Nano-Härchen super-hydrophil und ermöglicht dadurch die Separierung von Öl und Wasser. Außerdem kann damit der Strömungswiderstand von Flächen drastisch reduziert werden. Der Herstellungsprozess lehnt sich an den Effekt von Fädenbildung beim Auseinanderziehen von heißem Pizzakäse an (Abb. 2).

Abb. 2: Herstellung von sogenannten Nanofur-Oberflächen, bei denen ein Polymer beim heißen Auseinanderziehen mit einer mikrostrukturierten Oberfläche feine ­Fäden bildet

 

Abb. 3: Ziel der Forschung am KIT ist es, die optischen Eigenschaften des Morpho-Schmetterlings großflächig mit Polymeren künstlich nachzustellen

 

Schillernde Oberflächen, wie sie beim Morpho-Schmetterling auftreten (Abb. 3), können auch für sogenannte Tunable Diffractive Optical Elements (DOEs) eingesetzt werden. Auch hier kommen Rauigkeiten beziehungsweise Strukturen auf zwei Ebenen vor. Am KIT wurde dazu ein Verfahren mit Shape Memory Polymeren entwickelt, das auch großflächig eingesetzt werden kann. Damit ist prinzipiell eine Übertragung vom Labormaßstab auf großflächige industrielle Anwendungen möglich.

Dr. Christoph Janisch, ADMEDES GmbH, berichtete aus Sicht der Industrie über das Elektropolieren von Nitinol-Stents. Heute sind Stents (als Stützen zum Beispiel bei Gefäßverengung) nicht mehr aus der Medizin wegzudenken. Seit den 1990er Jahren werden dazu auch solche aus Nitinol, einer Legierung aus Nickel und Titan (ca. 50/50), eingesetzt. Dem Elektropolieren kommt hier eine besondere Bedeutung zu: Zum einen sorgt es für glatte Oberflächen, was die Irritation der Gefäßwände deutlich reduziert. Zum anderen führt das Elektropolieren aber auch zu einer Nickelverarmung der oberflächen­nahen Schichten und damit zur Ausbildung einer dünnen Titanoxidschicht. Erst damit kann die Bioverträglichkeit und Korrosionsbeständigkeit optimiert werden. Falls die Gefäßstützen in sehr aggressiver Umgebung eingesetzt werden (z. B. gastrointestinale Stents mit Magensäure-Exposition) kommen auch silikonbeschichtete Stents zum Einsatz.

Im letzten Vortrag informierte Dr. Jürgen Mohr vom Institut für Mikrostrukturtechnik und KNMF (Karlsruhe Nano Micro Facility) über die Möglichkeit für Unternehmen, mittels EU-Fördermitteln am KIT photonische Strukturen entwickeln und herstellen zu lassen. Die Photonik wird als sehr wichtiger Technologiezweig mit enormem wirtschaftlichen Potenzial angesehen. Der weltweite Markt für photonische Produkte lag 2011 bei 350 Milliarden Euro. Für das Jahr 2020 wird das Marktvolumen auf 650 Milliarden Euro geschätzt. In Europa sind 5000 KMU mit 300 000 Beschäftigten in diesen Markt involviert. In dem EU-Konsortium ACTPHAST (Access Center for Photonics Innovation Solutions and Technology Support) sind 200 Experten in 23 Instituten bereit dazu, Innovation-Unterstützung für die Industrie zu geben. Als Beispiele wurden beispielsweise fälschungssichere Ausweise, Fahrradhelme mit integriertem Headup Display und optische Inspektionssysteme genannt.

An der Karlsruhe Nano Micro Facility (KNMF) des KIT können Industrieunternehmen Strukturierung und Charakterisierung von einer Vielzahl von funktionellen Materialien im Mikro- und Nanomaßstab in Auftrag geben. Die nächste Einreichungsfrist, um einen Vorschlag für ein gefördertes Projekt einzureichen, ist der 15. Januar 2018 (www.knmf.kit.edu/).

Am Nachmittag hatten die Teilnehmer Gelegenheit, einen Blick in die Institutslabore zu werfen und lernten so die vielfältigen Möglichkeiten im Bereich der Mikrosystemtechnik am KIT kennen. Überraschend für viele war auf jeden Fall der Aspekt, dass die Mikrosystemtechnik in Karlsruhe ihren Ursprung in der Forschung und Entwicklung für Kern­energieanlagen hatte. Im Moment finden ­viele Modernisierungen im Institut statt und man kann auf weitere spannende Ergebnisse in den nächsten Jahren hoffen.

Im Anschluss diskutierte die ­Fachgruppe über die momentan im Aufbau befindliche Datenbank, die sämtliche im Cluster verfügbare Oberflächenmessmethoden und die zugehörigen Anbieter für die Mitglieder auflistet. Ziel der umfassenden Leistungsübersicht ist es, Nicht-Fachleuten schnellen und pragmatischen Zugang zu schaffen zu geeigneten Messmethoden. Ausgehend von den Messaufgaben, wie Schichthaftung, Schichtdicke, chemische Zusammensetzung oder Oberflächentopografien, können ­Suchende mögliche Lösungsanbieter identifizieren und kontaktieren. Aktuell liegen die Informationen noch als Tabelle vor, sollen aber bis 2018 im Rahmen einer studentischen Arbeit in eine nutzerfreundliche Form gebracht werden, um diesen Service möglichst vielen Nutzern anzubieten. Bis dahin können weitere Fachgruppen von microTEC Südwest, wie zum Beispiel die Fachgruppe Intelligente Implantate, das Angebot erproben.

Als flankierende Maßnahme werden regelmäßig Fachartikel zum Thema Oberflächen beziehungsweise Oberflächenmesstechnik in der Fachzeitschrift WOMag veröffentlicht.

Kontakt zur Fachgruppe Oberflächen:

Dr. Christine Neuy, Geschäftsführerin microTEC e.V.
E-Mail: christine.neuy@microtec-suedwest.de,

  • www.microtec-suedwest.de/fachgruppen/oberflaechen

 

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