DEBURRING – 3D-Prüfung von Präzisionsoberflächen

Oberflächen 05. 09. 2017

Qualitätssicherung – submikrometergenau im Sekundentakt

Von Tobias Seyler, Dr. Markus Fratz, Dr. Tobias Beckmann und Dr. Alexander Bertz, Fraunhofer IPM, Freiburg

Metallische Produkte, die durch Tiefziehen oder andere Kaltumformungsprozesse entstehen, müssen immer häufiger sehr exakte 3D-Oberflächeneigenschaften aufweisen – zum Beispiel auf Dichtflächen oder an Graten. Mit der digitalen Mehrwellenlängenholographie lassen sich Oberflächen in der Fertigungslinie 3D vermessen – und das sogar direkt in der Werkzeugmaschine. Das Verfahren wurde mit dem diesjährigen Joseph-von-Fraunhofer-Preis ausgezeichnet.

Die Detektion feiner Restgrate und die Prüfung von Präzisionsoberflächen stellen die Qualitätssicherung vor größte Herausforderungen. Sichtprüfung und Machine-Vision-Systeme erfüllen oft nicht die Anforderungen bezüglich Zuverlässigkeit und Dokumenta­tion, die an moderne Produktionsanlagen gestellt werden. Mit der digitalen Mehrwellenlängenholographie steht erstmals ein Verfahren zur Verfügung, das zuverlässig eine vollständige dreidimensionale Erfassung von Bauteiloberflächen im Sub-Sekundentakt ermöglicht. Die Vermessung der Oberflächen von Bauteilen erfolgt kontaktlos, hochpräzise und extrem schnell.

Holographie in der ­industriellen Messtechnik

Bei der digitalen Mehrwellenlängenholographie wird der zu vermessende Prüfling mit Laserlicht bestrahlt. Der Prüfling streut das Licht teilweise zurück zum Sensor. Dort wird es mit unbeeinflusstem Laserlicht zu einem Interferenzbild überlagert. Dieses trägt die Information über die Form des Objekts in sich. Durch numerische Berechnungen lassen sich die 3D-Daten errechnen und visualisieren. Wird die Messung mit mehreren leicht unterschiedlichen Laserwellen­längen wiederholt, können Messgenauigkeit und Messbereich gesteigert werden. Durch die Wahl der Laserwellenlängen und des optischen Aufbaus lässt sich das Verfahren an verschiedene Einsatzbereiche individuell anpassen. Die Entwicklung von bezahlbaren Lasersystemen, die schnell zwischen verschiedenen, sehr dicht beieinanderliegenden Wellenlängen umschalten beziehungsweise durchstimmen können, macht das Verfahren für die industrielle Messtechnik interessant. Seit kurzem wird das Verfahren direkt in der Produktionslinie eingesetzt (Abb. 1).

Abb. 1: Das Inline-3D-Inspektionssystem HoloTop lässt sich direkt in die Fertigungslinie integrieren und vermisst 3D-Oberflächen mit 10 Megapixel Auflösung und 10 Hz Aufnahmefrequenz

 

Die digitale Mehrwellenlängenholographie liefert selbst bei hohen Messraten hochgenaue Messergebnisse – und das in Produktionsumgebungen. Messgenauigkeiten im Sub-Mikrometerbereich sind kein Problem. Das prädestiniert die digitale Mehrwellen­längenholographie für Hochdurchsatzfertigungen mit extrem hohen Genauigkeits­forderungen.

Das Messprinzip und seine Vorteile

Mit aktuellen Messsystemen, die auf der digitalen Mehrwellenlängenholographie basieren, lassen sich mehr als 100 Millionen 3D-Punkte pro Sekunde messen. So beträgt die Messzeit für ein Messfeld von rund 20 mm x 20 mm aktuell 60 ms. Eine Einzelmessung besteht dabei aus rund zehn Millionen Mess­punkten. Das grenzt das Verfahren hinsichtlich Mess- und Auswertegeschwindigkeit deutlich gegen eine Vielzahl anderer optischer 3D-Messverfahren ab. Ein im Sensorkopf integriertes kalibriertes Normal erlaubt es, die Messung permanent auf das Normal zurückzuführen und quasi in Echtzeit zu kalibrieren. Alternativ besteht die Möglichkeit, die Einzelwellenlängen mit einem hochauflösenden Spektro- oder Wavemeter zu messen und damit das Messsystem zu kalibrieren.

Im Gegensatz zu allen anderen bildgebenden 3D-Messverfahren kommt die digitale Holographie ohne ein abbildendes System aus. Das hat den Vorteil, dass keine Abbildungsfehler, wie zum Beispiel Verzeichnungen, in die Messung eingebracht werden. Die laterale Auflösung wird auch bei der linsenlosen Anordnung durch die numerische Apertur und damit maßgeblich durch die Größe (nicht die Pixelzahl) des zur Aufzeichnung verwendeten Kamerachips und den Abstand zum Objekt begrenzt. Da Kamerachips aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nicht beliebig groß hergestellt und Prüflinge in der Praxis nicht beliebig dicht am Chip positioniert werden können, ist die laterale Auflösung der linsenlosen Anordnung in der Praxis auf einige Mikrometer begrenzt. Diese Grenze kann durch eine zusätzliche Optik, welche die Objektwelle vor der holographischen Aufzeichnung vergrößert, bis in den mikroskopischen Bereich verschoben werden. Im sichtbaren Spektralbereich liegt die laterale Auflösungsgrenze dann beugungsbegrenzt bei etwa einem halben Mikrometer.

Eine Besonderheit der digitalen Mehrwellenlängenholographie ist die Möglichkeit des nachträglichen Scharfstellens. Nach der Auswertung der Messdaten liegt im Rechner ein vollständiges Modell der Lichtwellen vor, die vom Objekt auf den Sensor gelangt sind. Wurde das Objekt oder Teile davon unscharf abgebildet, so besteht die Möglichkeit, die Daten mit Hilfe von numerischen Methoden so weiterzuverarbeiten, dass nachträglich ein scharfes Bild des Objekts berechnet werden kann. Dazu sind weder mechanische Bewegung noch eine zusätzliche Datenerfassung erforderlich.

Typische Anwendungen für HoloTop

Metallische Produkte, wie sie etwa beim Tiefziehen oder anderen Kaltumformungsprozessen entstehen, lassen sich mit digitaler Mehrwellenlängenholographie sehr gut vermessen. Beispielhaft kann hier die Oberflächen von Dichtflächen genannt werden. Das Messfeld besteht aus 3072 mal 3072 Mess­punkten. Die Zeit für die Datenaufnahme für die gesamte Messung beträgt 60 ms. Die anschließende Rechnung, die aus den Rohdaten echte 3D-Daten erzeugt, dauert abhängig vom eindeutigen Messbereich zwischen 90 ms und 150 ms. Erreicht wird die schnelle Datenauswertung durch hochgradig parallele Datenverarbeitung auf modernen Grafikkarten. Auch feinste Details der Dichtoberfläche werden so exakt aufgelöst. Die erreichbare laterale Auflösung ist dabei nur durch die Abbildungsqualität des verwendeten Objektivs begrenzt.

Ein weiteres typisches Einsatzgebiet der digitalen Mehrwellenholographie ist die Inspektion von Aluminiumdruckgussteilen in Bezug auf Mikrodefekte und Grate. Selbst einzelne Mikrodefekte, die in der Regel nur wenige Mikrometer Durchmesser aufweisen, können wichtige Eigenschaften, wie beispielsweiese den thermischen Kontakt eines Gehäuses, so verschlechtern, dass die Qualität des Bauteils nicht akzeptabel ist. Eine Inline-Überprüfung der Aluminiumdruckgussteile mit der digitalen Mehrwellenlängenholographie garantiert hier die gewünschten Bauteileigenschaften (Abb. 2).

Abb. 2: Bei der Produktion von Aluminiumdruckgussteilen entstehen häufig Oberflächendefekte, die mit dem 3D-Inline-Inspektionssystem HoloTop zur Erkennung dieses Fehlers direkt in der Linie vermessen werden

Abb. 3: Eine spezielle, sehr kompakte Ausführung des HoloTop-Sensors kann direkt in Werkzeugmaschinen integriert werden (­blaues Gehäuse, hier in einer 5-Achs-CNC-­Fräsmaschine)

 

In einer speziellen und besonders kompakten Ausführung lässt sich der HoloTop-Sensor ­direkt in Werkzeugmaschinen implementieren (Abb. 3). So können die Werkstücke bereits bei der Bearbeitung geprüft werden, und zwar ohne, dass diese zur Prüfung aus der Werkzeugmaschine ausgebaut werden müssten. Das spart Zeit und optimiert den Produktionsablauf.

Fraunhofer-Preis für HoloTop

Für die Entwicklung des ersten produktions­tauglichen digitalen Holographiesystems wurden Dr. Markus Fratz, Dr. Alexander Bertz und Dr. Tobias Beckmann mit dem diesjährigen Joseph-von-Fraunhofer-Preis geehrt. Die Jury begründet die Preisvergabe unter anderem mit der herausragenden wissenschaftlichen Arbeit und der erstmaligen Darstellung der Industrietauglichkeit des Verfahrens. Für hochgenaue 3D-Messungen ist HoloTop das weltweit schnellste System, das derzeit am Markt verfügbar ist.

Kontakt

Dr. Alexander Bertz, Gruppenleiter Inline-Messtechnik, Fraunhofer IPM;
E-Mail: alexander.bertz@ipm.fraunhofer.de

  • www.ipm.fraunhofer.de
 
 

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