Schäumen statt Ätzen – Stand der Entwicklung einer chrom(VI)- und ­manganfreien Kunststoffvorbehandlung

Oberflächen 05. 11. 2018
Von Dr. Jürgen Hofinger, Radeberg

Bereits seit ihrer Gründung beschäftigt sich die Biconex GmbH mit der industriellen Umsetzung eines einfachen Verfahrens zur chrom(VI)freien Vorbehandlung von Kunststoffen auf Basis von ABS. Mittlerweile ist die freie Nutzung von Chromsäure in der Europäischen Union seit mehr als einem Jahr untersagt; auf Basis von zahlreichen Authorisierungsanträgen wird diese jedoch weiter genutzt und somit die Kunststoffgalvanik­industrie neben anderen Branchen noch über Jahre hinweg beschäftigen. Über die Genehmigung zahlreicher Anträge wurde noch immer nicht final entschieden. Die Absicht der EU-Kommission, Europa generell chrom(VI)-
frei zu machen, wird jedoch kaum mehr jemand bezweifeln und Investitionen in Prozesse, die diese Chemikalie benötigen, dürften sich daher erübrigen - oder zumindest stark einschränken und erschweren.

In der klassischen Kunststoffgalvanik für dekorative Anwendungen wird neben dem Chromelektrolyten Chromsäure für die Vorbehandlung der Kunststoffe benötigt. Ähnlich wie beim Chromelektrolyten droht hier eine signifikante Verteuerung des Prozesses und vor allem die Notwendigkeit zur Erweiterung bestehender Anlagen, die nun mehr Behandlungsstationen in der ­Vorbehandlung benötigen - für manche Galvanikunternehmen ein nahezu unlösbares Problem. Fast alle aktuellen Entwicklungen von chrom(VI)-
­freien Beizverfahren basieren auf ­Mangan, meist auf Permanganat. Erst vor wenigen Wochen hat sich während der ZVO-Oberflächentage ein Vertreter eines großen einschlägigen Spezialchemieunternehmens auf Nachfrage zu zukünftigen Preisen geäußert: Die neuen Prozesse werden wohl erst nach einem ausnahmslosen Verbot von Chromsäure von Kunden in Betracht gezogen ­werden.

Ein Ausweg aus dieser Situation, die durchaus ernsthafte Konsequenzen für die Branche der galvanischen Beschichtung von Kunststoff in Europa haben kann, wäre ein einfaches, kostengünstiges, prozesskompatibles und stabiles Verfahren, das gleichzeitig ohne hochgiftige Chemikalien auskommt. Sind das alle Anforderungen, oder fehlt hier noch etwas? Ja, das Verfahren sollte bitteschön nicht zu innovativ und neu sein, damit keine unkalkulierbaren Risiken zu befürchten sind. Das klingt nach einer großen Herausforderung - und die ist es auch.

Schäumen statt ätzen

Das von Biconex bereits erstmals 2015 vorgestellte neue Prinzip der Kunststoffvorbehandlung heißt: Schäumen statt ätzen. Wie bei allen anderen Verfahren zur Vorbereitung der Bauteiloberflächen vor der chemisch-galvanischen Beschichtung wird damit eine Kombination aus Oberflächenstrukturierung und Verbesserung der Benetzbarkeit erzeugt. Allerdings wird der energetisch relativ aufwändige Effekt der Strukturierung nicht durch einen selektiven Ätzprozess bewerkstelligt. Im Aktivprozess dringen die relativ stark quellenden Chemikalien in die Oberfläche ein und erweichen diese temporär in eine Tiefe von etwa einem Mikrometer. Die Oxidation des Butadiens erfolgt danach von innen heraus, ohne einen nennenswerten Angriff der übrigen Kunststoffkomponenten, und zwar so vollständig, dass durch eine Gasentwicklung der Kunststoff aufschäumt und eine stark strukturierte Oberfläche hinterlässt. Der scheinbare Widerspruch einer starken Wirkung ohne einen ebenso starken oxidativen Angriff der Oberfläche wird also dadurch gelöst, dass für die Strukturierung ein Phasenübergang, also ein physikalischer Effekt, genutzt wird. Im Vergleich zu einer selektiven Ätzung der Oberfläche, wie sie auch bei den Verfahren auf Basis von Mangan genutzt wird, ergeben sich daraus für die Anwender folgende Vorteile:

  • die Vorbehandlung kann schneller erfolgen, mit kürzeren Expositionszeiten von nur wenigen Minuten, auch bei ABS/PC-Bauteilen
  • eine Neutralisierung nach der Beize entfällt und spart Platz in der Vorbehandlung
  • die Oxidationsmittel werden nur in sehr geringer Konzentration benötigt und können einfach elektrochemisch, durch einen Oxamaten, erzeugt werden
  • der Prozess hinterlässt keine unlöslichen Bestandteile, die als Partikel aus dem System herausgefiltert werden müssen
  • die Entsorgung beschränkt sich fast ausschließlich auf anorganische Säuren und kann mit den dafür in der Regel vorhandenen Anlagen erfolgen

Auch gegenüber des herkömmlichen Beizschrittes mit Chromschwefelsäure gibt es Verfahrensvorteile, die neben dem deutlich einfacheren Handling der Chemikalien vor allem in der Reduktion der Temperatur von typischerweise knapp 70 °C auf 40 °C liegt. Dadurch wird nicht nur Energie eingespart, sondern auch das Risiko der Verformung von Bauteilen wird deutlich verringert. Was in der Theorie gut klingt, muss sich jedoch erst in der Praxis bewähren. Vom Labor ist es ein weiter Weg zur Serienproduktion. Ein wich­tiger Schritt dazu ist jetzt gelungen.

Stand der Entwicklung

Im Gegensatz zu den chrom(VI)freien Verfahren auf Basis von Permanganat gibt es für das völlig neue Prinzip des Aufschäumens der Kunststoffoberflächen noch ­keine Erfahrung im großen Produktionsmaßstab. Um den Prozess vom Labormaßstab zur ­Serientauglichkeit zu entwickeln, waren zunächst einige Hürden zu überwinden. Die geringen oxidativen Bestandteile im Aktivschritt des Prozesses mussten auch unter ­realen Einsatzbedingungen zuverlässig kontrolliert und aufrechterhalten werden. Zudem musste die Unempfindlichkeit des Prozesses gegenüber dem Eintrag typischer Verunreinigungen, vor allem durch den Durchlauf der Gestelle, verbessert werden. Die Entwicklungen waren erfolgreich und so ist es mittlerweile gelungen, den Prozess in eine automatisierte Kleinserienanlage zu implementieren, in der nun die Langzeittauglichkeit getestet wird, bevor ein Upscaling in einen Produktionsmaßstab von etwa 1500 Liter Volumen erfolgen soll.

Besondere Priorität wird in dieser Phase ­einer weiteren Verbesserung der Prozessstabilität eingeräumt, die neben dem zu erwartenden einfachen Handling und niedrigen Kosten für die Anwender den wichtigsten Leistungsparameter darstellt.

Nach wie vor verspricht das Verfahren eine besonders einfache Alternative zur Chromsäure für die Kunststoffvorbehandlung zu werden. Für technische Beschichtungen in kleineren Serien wird der Prozess bereits jetzt bei Biconex eingesetzt. Die Erfahrungen werden für das weitere Upscaling genutzt.

  • www.biconex.de
 

Text zum Titelbild: Die chrom(VI)- und manganfreie Vorbehandlung für ABS-Kunststoffe wird im Beschichtungs­automaten der Biconex GmbH für Kleinserienbeschichtungen durchgeführt

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