Werkstoffdatenraum für die additive Fertigung – Digitaler Zwilling für Werkstoffe

Werkstoffe 02. 02. 2019
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Sollen Produktionssysteme digital vernetzt und im laufenden Betrieb werkstoffgerecht verbessert werden, müssen dafür auch die Veränderungen der Werkstoffe gemessen, analysiert und abgebildet werden – im sogenannten digitalen ­Materialzwilling. Fraunhofer-Forscherinnen und -Forscher haben mit einem Werkstoffdatenraum die Grundlage hierfür geschaffen.

Rollt ein fertiges Bauteil vom Band, ist eine Frage von großem Interesse: Hat das Bauteil die gewünschten Eigenschaften? Denn oftmals reichen bereits kleinste Schwankungen in der Produktion, um Materialeigenschaften zu verändern und damit die Bauteilfunktionalität in Frage zu stellen. Um dies zu vermeiden, werden begleitend zur Produktion immer wieder Proben entnommen und aufs Genaueste untersucht. Ein solches Probenbauteil muss für Versuche in kleine Einzelteile zerlegt und vermessen werden – das benötigt viel Zeit. Die Geschichte einer Probe verzweigt sich also in viele kleine Äste mit jeweils spezifischen Messergebnissen, erläutert Dr. Christoph Schweizer, Leiter des Geschäftsfelds Werkstoffbewertung, Lebensdauerkonzepte am Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg. Expertinnen und Experten haben diese Zusammenhänge nach seinen Worten im Kopf, allerdings habe es bisher keine Möglichkeit gegeben, die resultierende, in unterschied­lichen Formaten vorliegende Datenvielfalt zusammenhängend digital abzubilden.

Jeder Werkstoff bekommt ­einen digitalen Zwilling

Die Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer IWM haben nun erstmals die prinzi­pielle Machbarkeit der digitalen Abbildung von vielen solcher Werkstoffhistorien demons­triert: mit einem Beispiel-Werkstoffdatenraum für additiv gefertigte ­Prüfkörper. Mit dem Datenraumkonzept können wir Werkstoffinformationen jeglicher Art in digi­tale Netze integrieren – was unter anderem im Hinblick auf Industrie 4.0 wichtig ist, erläutert Schweizer. Aus dem Werkstoffdaten­raum heraus wollen die Wissenschaftler automatisiert zu jedem Werkstoff einen digitalen Zwilling erzeugen, der den jeweils ­aktuellen Zustand des betrachteten materiellen Objekts beschreibt.

Der Vorteil: Sollten bisher verschiedene Werkstoffparameter miteinander verglichen werden, lagen die Angaben dazu in der Regel verstreut in zahlreichen Datenablagen und in unterschiedlichen Datenformaten vor. Der Werkstoffdatenraum stellt alle relevanten Parameter auf einen Blick zur Verfügung. Und noch mehr als das: Der Werkstoffdaten­raum könnte nach Aussage von ­Schweizer das Produktionsgehirn der kommenden Jahre werden. Wann immer die Bauteilqualität nicht wie gewünscht vorliege, könnte man sie im Werkstoffdatenraum mit Bauteilen aus der Vergangenheit vergleichen und herausfinden, ob sich das aktuelle dennoch verwenden lasse oder aussortiert werden müsse. Diese Ergebnisse könnten künftig automatisch in industrielle Entscheidungsprozesse einbezogen werden: Ist die Werkstoffqualität mangelhaft, wird die Produktion automatisch gestoppt.

Werkstoff-Ontologien bilden die Basis

Um den Werkstoffdatenraum zu erzeugen und die heterogenen Materialdaten verwalten zu können, braucht es ein passendes Informationsmodell. Dieses Modell spiegelt nach Aussage von Dr. Adham Hashibon, Wissenschaftler im Geschäftsfeld Fertigungsprozesse, die natürliche Werkstoffwelt, in der die Materialzustände und -eigenschaften in bestimmte Kategorien eingeteilt werden. Dabei setzen die Forscherinnen und Forscher auf Ontologien – also auf eine logische, hierarchische Struktur. Was man sich genau darunter vorzustellen hat, lässt sich am besten mit einem sozialen Netzwerk erklären – etwa Facebook. Die einzelnen Menschen ­werden darin als Knoten dargestellt. Diese haben wiederum Verknüpfungen, etwa ­ihren Musikgeschmack. Wir erstellen semantische Verknüpfungen zwischen den einzelnen materiellen Objekten und den zugehörigen Verarbeitungsprozessen, konkretisiert Hashibon. Zudem gibt es noch Beziehungen untereinander: Was die Freundschaften bei Facebook sind, sind im Werkstoffdatenraum Angaben zur chronologischen ­Abfolge der Produktions- oder Arbeitsschritte, etwa kommt aus dem additiven Fertigungsprozess heraus oder dieser Laser nimmt am 3D-Druckprozess teil.

Der bereits erwähnte Demonstrator für additiv gefertigtes Metall deckt die Probenherstellung, die Werkstoffcharakterisierung und die anschließende Datenanalyse beziehungsweise Ermittlung von Materialeigenschaften ab. Aufgrund der Logik des zugrunde liegenden Strukturmodells lassen sich sehr komplexe Abfragen an den Datenraum stellen, die mit klassischen Datenbanken in dieser Flexibilität nicht möglich sind.

Mit der Pionierarbeit zum digitalisierten Werkstoffdatenraum trägt das Fraunhofer IWM maßgeblich zu europäischen Themen der Materialmodellierung im Rahmen des European Materials Modelling Council sowie zur Digitalisierungsstrategie Baden-Württembergs bei. Mittelfristig planen die Forscherinnen und Forscher, die gesamte Datenverwaltung im Fraunhofer IWM auf das System des Datenraums umzustellen. Dafür und für andere Anwendungen sind Kooperationspartner und Pilotanwender willkommen, die so an zukunftsweisenden Werkstoffentwicklungen mitgestalten können.

  • www.iwm.fraunhofer.de

Text zum Titelbild: Mit dem Datenraumkonzept Werkstoffinformationen jeglicher Art in digitale Netze integrieren – eine wichtige Basis für die Produktion im Rahmen der Industrie 4.0 (© Fraunhofer IWM)

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