Atomarer Mechanismus der Supraschmierung aufgeklärt

Werkstoffe 06. 04. 2019
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Tribologie: Designregeln für extrem niedrige Reibungskoeffizienten

Das Phänomen der sogenannten Supraschmierung ist bekannt; es war jedoch auf atomarer Ebene bislang nicht zu erklären: Wie entsteht die extrem niedrige Reibung beispielsweise in Lagern? Forscherinnen und Forscher der Fraunhofer-­Institute IWM und IWS entschlüsselten gemeinsam einen universellen Mechanismus der Supraschmierung bei bestimmten diamantähnlichen Kohlenstoffschichten in Verbindung mit organischen Schmierstoffen. Auf dieser Wissensbasis ist es nun möglich, Designregeln für supraschmierende Schicht-Schmierstoff-Kombinationen zu formulieren. Die Ergebnisse präsentiert ein Artikel der Zeitschrift Nature Communications, Ausgabe 10.

Eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für nachhaltige und umweltfreundliche Mobilität ist, Reibung zu minimieren. Diesem wichtigen Vorhaben widmen sich Forschung und Wirtschaft bereits seit Jahren. Supraschmierung könnte nicht nur kleine, sondern extreme Reibungsreduzierungen erzielen. Würden beispielsweise die Reibung in den ­Motoren und Getrieben von Fahrzeugen auf ­minimale Werte vermindert, wie sie bei der Supra­schmierung auftreten, sänke der jährliche globale CO2-Ausstoß um viele Hundert Millionen Tonnen. Dieser Zukunftsvision sind zwei Fraunhofer-Institute einen wichtigen Schritt näher gekommen. In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) finanzierten Projekt PEGASUS II haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg und des Fraunhofer-Instituts für Werkstoff- und Strahltechnik IWS in Dresden den atomaren Mechanismus aufgedeckt, der einer Supraschmierung in einem speziellen Reibpartner-System zugrundeliegt. Sie untersuchten vielversprechende tribologische Systeme, bei denen die Oberflächen der Reibpartner aus speziellen diamantartigen Kohlenstoffschichten bestehen, die mit einer am Fraunhofer IWS entwickelten Beschichtungstechnologie hergestellt werden. Diese so genannten tetraedrischen amorphen Kohlenstoffschichten (ta-C) wurden mit organischen Schmierstoffen kombiniert. Das Forschungsteam fand mithilfe von Simulationen heraus, dass sich der Schmierstoff tribo­chemisch zerlegt und sich dadurch graphenartige Oberflächen bilden: die Voraussetzung für eine Supraschmierung.

Atomare ­Voraussetzungen der Supraschmierung

Dr. Volker Weihnacht, Abteilungsleiter Kohlenstoffschichten, und Stefan ­Makowski, Gruppenleiter Schichteigenschaften am Fraunhofer IWS, untersuchten systematisch die Wechselwirkung von Schmierstoffen mit ta-C-Kohlenstoffoberflächen. Mit ungesättigten Fettsäuren oder Glycerol stellten sich extrem niedrige Reibwerte auf dem Niveau der Supraschmierung ein. Erstaunt waren sie, dass mit kleinsten Änderungen in der Mole­külstruktur dieser Effekt nicht eintrat und die Reibung viel höher war. So erzielten gesättigte Fettsäuren und Alkane keinen Supraschmiereffekt.

Den Grund dafür erklären Prof. Michael Moseler und Dr. Gianpietro Moras am Fraunhofer IWM. Mit quantenchemischen Simulationen konnten wir nachweisen, dass Schmierstoffmoleküle, die mindestens zwei Reaktivzentren haben und damit gleichzeitig mit beiden ta-C-beschichteten Oberflächen eine chemische Bindung eingehen können, durch die Gleitbewegung auseinandergerissen und in ihre Bestandteile zerlegt werden, erläutert Prof. Moseler, Leiter der Gruppe Multiskalenmodellierung und Tribosimulation. Dadurch werden die Sauerstoffatome des Schmierstoffs freigesetzt und in den ta-C-Film eingebaut. Der Sauerstoff stört das dreidimensionale tetraedrische Kohlenstoffnetzwerk und fördert damit die Bildung von graphen­ähnlichen Oberflächen. Dadurch kann sich Sauer­stoff in den ta-C-Film einbringen – eine wichtige Voraussetzung zur Bildung von graphen­ähnlichen Oberflächen, die effektiv Reibung und Verschleiß unterdrücken und so für die Supraschmierung sorgen. Entsprechende Simulationen mit Alkanen oder gesättigten Fettsäuren als Schmierstoff zeigten diese mechano-chemischen Prozesse nicht, da sie keine oder nur ein Reaktivzentrum aufweisen. Diese Schmierstoffe lagern nach Aussage von Prof. Moseler nur an einer Oberfläche an und bilden quasi einen molekularen Flaum – der reduziert zwar auch die Reibung, allerdings nicht auf dem ­Supraschmierniveau. Die damit neu entdeckte Designregel besagt, dass im Schmierstoff mehrere ­reaktive Zentren vorhanden sein müssen, um Supra­schmierung hervorzurufen. Diese Regel beschränkt sich laut Prof. Moseler natürlich nicht nur auf die hier untersuchten Fettsäuren, sie ist auch auf andere Schmiermittel übertragbar.

Richtlinien für das Design neuartiger Schmierstoffe

Die Ergebnisse des Forschungsteams ermöglichen sowohl die Vorhersage der tribo­logischen Eigenschaften von ta-C-Oberflächen, die mit verschiedenen Molekültypen geschmiert werden, als auch die Formulierung von Richtlinien für das Design neuartiger organischer Reibungsmodifizierer. Auch Vorhersagen zum Maßschneidern der Kohlenstoffschichten selbst und der nötigen ­Designregeln eines Supraschmierstoffs für andere Oberflächen, wie Stahl oder Aluminium, werden so zu denkbaren Projekten. Die Wissenschaftlerinnen und ­Wissenschaftler der Fraunhofer-Institute IWM und IWS werden 2019 mit finanzieller Unterstützung des BMWi im Rahmen des Projekts PROME­THEUS mit industriellen Partnern weiter daran arbeiten, die quantenchemischen Erkenntnisse in ingenieurmäßige Lösungen zu überführen. Ihr Ziel: die Reibung in Verbrennungsmotoren und anderen Anwendungen weiter reduzieren.

 

Veröffentlichung:

T. Kuwahara, P.A. Romero, S. Makowski, V. Weihnacht, G. Moras, M. Moseler: Mechano-chemical decomposition of organic friction modifiers with multiple reactive centres induces superlubricity of ta-C; Nature Communications 10 (2019), Article number: 151, DOI 10.1038/s41467-018-08042-8

 

Text zum Titelbild: Ölsäure (farbig) geht mit beiden ta-C Oberflächen (schwarz) chemische Bindungen ein. Bewegung setzt die Ölsäure unter Zug, eine ­Hydroxylgruppe spaltet sich ab, es bildet sich in Folge Supraschmierung(© Fraunhofer IWM)

 

Ein ta-C beschichteter Stahlstift reibt oszillierend auf einer ta-C-beschichteten Stahlscheibe: Die Reibung hängt maßgeblich von der Anzahl der Reaktivzentren des Schmierstoffs ab (rote Kreise)(© Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS)

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