Reutlingen zu europäischem Spitzenstandort für Nanoanalytik ausgebaut

Medizintechnik 06. 05. 2019
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Das Zentrum für Analytik und Elektronenmikroskopie des NMI stellt hochspezialisierte Analysegeräte für die Material-, Werkstoff- und Produktentwicklung bereit.

Nanoanalytik spielt heute in der Entwicklung von neuen Materialen eine große Rolle. Die Erforschung kleinster Strukturen in der Größe eines millionstel Millimeters ist allerdings nur mit hochspezialisierten Analysegeräten möglich. Zwei der weltbesten Elektronen­mikroskope befinden sich nun im Zentrum für Analytik und Elektronenmikroskopie des ­Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts an der Universität Tübingen (NMI) in Reutlingen. Die Mikroskope ermöglichen Forschungseinrichtungen und regionalen Unternehmen aus der Medizintechnik sowie des Fahrzeug-, Maschinen- und Werkzeugbaus einen einfachen Zugang zu moderner Nanotechnik. Zuvor mussten Materialforscher nach den Worten von Dr. Stefan Raible, stellvertretender Institutsleiter, NMI Reutlingen, zu Instituten nach Aachen oder Zürich fahren. Mit der Spitzentechnologie können Nanoanalysen nun auch im Südwesten Deutschlands durchgeführt werden. Mit den Elektronen­mikroskopen soll nicht nur der atomare Bereich abgebildet, sondern auch Proben mit der sogenannten Kryo-Präparation für die Mikroskopie vorbereitet werden. Bislang findet diese Methode zur Probenpräparation in der Materialforschung nur selten An­wendung.

Die Beschaffenheit kleinster Strukturen kann Materialeigenschaften entscheidend beeinflussen und ist damit für neue und verbesserte Produkte von zentraler Bedeutung. Je präziser Unternehmen die kleinsten Bestandteile von Materialien analysieren können, desto besser sind sie im Wettbewerb aufgestellt. Für Produktentwickler und Forscher wird es deshalb immer wichtiger, Strukturen bis auf 0,000001 Millimeter (Nanometer) genau zu bestimmen. Dinge mit einer Größe im Nanometerbereich sind allerdings so klein, dass sie weder mit dem menschlichen Auge noch mit einem Lichtmikroskop zu sehen sind. Ein Nanometer verhält sich zu einem Meter wie eine Haselnuss zur gesamten Erde, erklärt NMI-Forscher Dr. Claus Burkhardt. Ohne hochauflösende Technik lassen sich Strukturen in dieser Größenordnung nicht bestimmen.

Forscher und Unternehmen im Südwesten Deutschlands haben seit der Eröffnung des NMI Zentrums für Analytik und Elektronenmikroskopie in Reutlingen vor einem Jahr die Möglichkeit, Geräte zur Nanoanalyse zu nutzen. Moderne Elektronenmikroskope in dem Forschungs- und Dienstleistungszentrum für hochauflösende Nanoanalytik gewährleisten ihnen dabei eine artefaktfreie Präparation von Proben und deren hochauflösende Abbildung. Dies ermöglicht den Nutzern des Zentrums für Analytik und Elektronenmikroskopie die Morphologie und die chemische Zusammensetzung eines Materials genau zu bestimmen. Mit der neuen Technik zählt die Region um Reutlingen nun zu den europä­ischen Spitzenstandorten der Nanoanalytik.

Ziel des NMI ist es, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen für ihre Mate­rial-, Werkstoff- und Produktentwicklung den Zugang zu dieser modernen Nanoanalytik zu erleichtern. Sie haben nach Aussage von Burkhardt häufig keine eigenen Forschungskapazitäten, müssen dem internationalen Wettbewerbsdruck aber ebenso standhalten wie Großunternehmen. Das Nanoanalytikzentrum mache es nun auch in Baden-Württemberg möglich, mit der globalen Konkurrenz im Bereich der Nanoanalytik Schritt zu halten. Relevant ist hochauflösende Elektronenmikroskopie vor allem für Materialwissenschaften, Biomedizin und Werkstofftechnik. Zudem kommt sie in Bereichen der Halbleiterindustrie, der Life-Science-Forschung und in neuen Geschäftsfeldern wie der Elektromobilität oder dem 3D-Druck zum Einsatz.

Die Elektronenmikroskopie zählt zu den effektivsten Methoden, um Nanostrukturen zu erforschen. Anstatt mit Licht bildet sie die Oberfläche oder das Innere eines Objekts mithilfe von Elektronen ab und basiert somit auf der Wechselwirkung von geladenen Teilchen mit dem untersuchten Material. Zu der Ausstattung des Zentrums für Analytik und Elektronenmikroskopie zählen verschiedene Elektronenmikroskope. Eine neue Zweistrahlanlage (Dual Beam), die ein Rasterelektronenmikroskop (SEM) mit einem fokussierten Ionenstrahl (FIB) kombiniert, ermöglicht nun ultra-dünne Materialproben herzustellen, ohne sie zu schädigen. Durch diese Präparation mit dem Ionenstrahl bleibt die Struktur der Proben komplett erhalten. Zusätzlich wird ein Elektronenstrahl über das Objekt geführt und so ein Bild der Probe erzeugt.

Die ultra-dünnen Materialproben werden beispielsweise für das neue Rastertransmissionselektronenmikroskop (STEM) benötigt, welches das NMI zusätzlich zum Rasterelektronenmikroskop in seinem Zentrum für Analytik und Elektronenmikroskopie seit kurzem für Forscher und Unternehmen bereitstellt. Verglichen mit dem SEM erzeugt es Bilder in noch höherer Auflösung: Während das SEM Proben in einer Größe von 1,0 Nanometer auflöst, kann das Auflösungsvermögen des STEM bei 0,1 Nanometern liegen – das entspricht der Größe von Atomen. Mit den scharfen Bildern der Proben können Forscher damit auch den atomaren Bereich ­eines Materials genau analysieren.

Vor der Abbildung unter einem Elektronenmikroskop muss die Materialprobe so präpariert werden, dass die Struktur keine Schäden davonträgt. Bei biologischen Proben wie Zellen oder Gewebe wird dabei häufig die sogenannte Kryo-Präparation angewandt. Die Methode ermöglicht es, Proben innerhalb weniger Millisekunden einzufrieren, ohne dass dabei Kristalle mit größerem Volumen entstehen. Das kristallfreie Einfrieren gewährleistet, dass der ursprüngliche strukturelle und chemische Zustand der Probe vollständig erhalten bleibt. Diese Art der Präparation wurde Burkhardt zufolge bislang in der Materialforschung nicht konsequent umgesetzt. Die technische Ausstattung des Zentrums für Analytik und Elektronenmikroskopie erlaube es jetzt jedoch, die Vorteile der Kryo-Präparation auch diesem Bereich zugänglich zu machen.

Neben den Analysegeräten können Unternehmen das Zentrum für Analytik und Elektronenmikroskopie auch als Anlaufstelle für materialwissenschaftliche und nanotechnische Expertise und Beratung nutzen. Mit dem ganzheitlichen Ansatz will das NMI regionalen Unternehmen zu genauer Nanoanalytik und einem internationalen Wettbewerbsvorteil verhelfen.

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