Als ein weltweit führender Automobilzulieferer vor über zehn Jahren den Entschluss fasste, ein sicherheitsrelevantes Aluminiumbauteil zwecks besseren Korrosionsschutzes mit Atmosphärendruckplasma zu beschichten, war das eine Sensation. Heute werden bei ihm über eine Million der Teile jährlich mit der umweltfreundlichen Plasmadüsentechnologie vorbehandelt.
Was bis dahin nur im Niederdruck möglich war, kann seit Mitte der 2000er Jahre unter Atmosphärendruck erfolgen: die Erzeugung und Abscheidung funktionalisierter Plasmaschichten. Ob zum Korrosionsschutz oder zur Haftvermittlung, als Barriere-, Trenn- oder Antihaftschicht, mit der von der Plasmatreat GmbH, Steinhagen (Westf.), und dem Fraunhofer IFAM, Bremen, gemeinsam entwickelten und patentierten Plasma-Polymerisationstechnologie PlasmaPlus können Anwender ihre Materialoberflächen ohne den Einsatz einer Vakuumkammer funktionsgerecht beschichten.
Der Prozess basiert auf der von Plasmatreat bereits 1995 entwickelten und heute weltweit in fast allen Industriezweigen genutzten Openair-Plasma-Technik. Das Düsenverfahren dient zur Feinreinigung und Aktivierung von Oberflächen mit dem Ziel, deren Benetzbarkeit und Haftungseigenschaften für Nachfolgeprozesse wie das Kleben, Lackieren oder Bedrucken deutlich zu erhöhen. Die inline-fähigen und roboterkompatiblen Düsensysteme sind für den Einsatz im kontinuierlichen, vollautomatischen Produktionsprozess konzipiert (Abb. 1).
Abb. 1: Zur Feinreinigung von sicherheitsrelevanten Gehäusen aus Aluminium-Druckguss ist bei ZF TRW Automotive seit über zehn Jahren die Openair-Plasma-Technologie im Einsatz (Foto: Plasmatreat)
Bei der atmosphärischen Plasmabeschichtung wird dem in der Düse generierten Plasma zusätzlich ein Prekursor in Form einer siliziumorganischen Verbindung beigemischt. Durch die hochenergetische Anregung im Plasma wird diese Verbindung fragmentiert und scheidet sich auf einer Oberfläche als glasartige Schicht ab (Abb. 2). Die chemische Zusammensetzung kann je nach Anwendungsfall variiert werden, um auf den unterschiedlichen Materialien die jeweils besten Resultate zu erzielen. Der Auftrag erfolgt ortsselektiv, also an genau vordefinierter Stelle. Das trockene Verfahren ist umweltfreundlich, prozesssicher und reproduzierbar. Bei einem Global Player der Automobilzulieferbranche fand die Technologie im Jahr 2007 erstmals Einzug in die industrielle Serienproduktion.
Abb. 2: Querschnitt durch eine etwa 100 nm dicke PlasmaPlus-Schicht (REM 50000-fache Vergrößerung) (Foto: Saint-Gobain)
Nachträgliche Integration in die Prozesskette
Sofern bei Neuentwicklungen alle Qualitätsanforderungen bekannt sind, ist eine Umsetzung mittels entsprechender Einflussparameter mit technisch gängigen Lösungen realisierbar. Ungleich schwieriger sind nachträgliche Kundenanforderungen bei bereits bestehenden Projekten, mit existierenden globalen Prozessketten.
Mit einer solchen Forderung sah sich die TRW Automotive GmbH in Gelsenkirchen, heute zur ZF Friedrichshafen AG gehörend, vor über zehn Jahren konfrontiert. Ein namhafter Autohersteller verlangte nachträglich eine höhere Korrosionsbeständigkeit für seine Aluminium-Druckgussgehäuse von Motorpumpenaggregaten. Diese Aggregate sind sicherheitsrelevante Bestandteile von Servolenkungssystemen (Abb. 3) und unterliegen höchsten Anforderungen an Beständigkeiten gegen die auftretenden Belastungen im Einsatz, wie Korrosionsbeständigkeit, thermische Widerstandsfähigkeit und Spritzwasserbeständigkeit. Die mechanische, aber vor allem auch die korrosive Belastung, der das Bauteil während seiner Nutzungsdauer unterliegt, darf nicht zum Versagen der Klebeverbindung führen, da ansonsten Elektromotor und Elektronik nicht mehr geschützt wären. Das ursprüngliche Verfahren, bei dem nach dem Verkleben ein fluorpolymerbasiertes Korrosionsschutzmittel manuell von außen auf die Klebenaht aufgesprüht wurde, reichte nicht mehr aus, da der Autobauer nun einen weit anspruchsvolleren Langzeitkorrosionsschutztest verlangte.
Abb. 3: Das Motorpumpenaggregat liegt in einem Aluminium-Druckgussgehäuse. Damit korrosive Belastungen nicht zu einem Versagen der Klebeverbindungen führen, werden die Klebnähte mit PlasmaPlus korrosionsschützend vorbehandelt (Foto: ZF TRW Automotive)
Technisch gängige Lösungen sind in solchen Fällen häufig nicht mehr beziehungsweise nur durch massive Änderungen in Verbindung mit hohen Investitionskosten in die vorhandene Prozesskette integrierbar. Darüber hinaus sind Änderungen von Produktionsprozessen inklusive Umbaumaßnahmen mit Stillstandszeiten der Produktion verbunden. Die Möglichkeiten, das Bauteil gegen Umwelteinflüsse beständiger zu gestalten, beschränkten sich einmal auf die drei klassischen Optionen
- Verbesserung des Werkstoffs
- Eloxieren
- Passivieren
Darüber hinaus kam eine Beschichtung im Niederdruckplasma als vierte Option sowie noch eine fünfte hinzu: die erstmalige industrielle Serienanwendung eines frisch entwickelten Korrosionsschutzes aus der Plasmadüse.
Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Vorbehandlungsverfahren ging TRW Automotive nach dem Ausschlussverfahren vor und kam summa summarum zu folgendem Ergebnis: Den vier ersten Möglichkeiten war eines gemeinsam: Sie waren sehr kostenaufwendig, auch hätten Werkstoffverbesserung und Eloxieren umfangreiche Produktvalidierungen erfordert. Vom Niederdruckplasma abgesehen, hätten die anderen Verfahren außerdem so in die Prozesskette integriert werden müssen, dass die Qualität in der Verantwortung externer globaler Lieferanten gelegen hätte. Eine spätere Qualitätskontrolle an fertigen Komponenten im Lieferzustand wäre extrem aufwendig geworden und hätte die Prozesssicherheit erheblich reduziert. Es verblieb nur noch eine Vorbehandlungsmethode: die atmosphärische Plasma-Beschichtungstechnologie von Plasmatreat. Ein im Vergleich kostengünstiges Verfahren, das nicht nur alle Voraussetzungen für eine sofortige Integration in die bestehende Fertigungslinie mit sich brachte, sondern auch andere Vorteile aufwies.
Plasmaschichten in der Serienproduktion
Die Entscheidung zum Einsatz der Plasmadüsentechnologie fiel bereits wenige Monate nach den ersten Versuchen. Der Vertrauensvorschuss, den TRW Automotive in den Plasmaanlagenbauer und dessen junge Technologie gesetzt habe, sei enorm und ungemein motivierend für die Gesamtrealisation gewesen, betonte Leonhard Enneking, der zu jener Zeit für das Verfahren zuständige Key Application Engineer bei Plasmatreat.
Anfang 2007 startete der Automobilzulieferer die Serienproduktion der Motorpumpengehäuse unter Einsatz einer ersten – mit sowohl Openair-Plasma wie PlasmaPlus-Düsen ausgestatteten - Plasmaanlage. Die Integration in die Endmontage war mit geringem Aufwand und ohne Produktionsstörungen erfolgt und neue Validierungen waren nicht erforderlich geworden. Die Ergebnisse aus den geforderten Korrosionsschutztests hatten die Erwartungen an das neue Verfahren noch übertroffen.
Laut Gottfried Kühn, dem Leiter der Gesamtproduktion im Werk Gelsenkirchen, konnte der Korrosionsschutz mit der plasmapolymeren Schicht fast verdoppelt werden. Die Korrosionsprüfung umfasste einen SWAAT-Test (Sea Water Acedic Acid Test) in Kombination mit einem Klimawechseltest. Dabei konnte die Dauer bis zum Durchbruch (Auftreten erster Korrosionserscheinungen im Gehäuseinneren) bei einer Auslagerung um etwa 50 Prozent gesteigert werden. Selbst bei 750 Stunden zeigte das plasmabehandelte Gehäuse keine Leckagen.
Derartige Bauteile sind ungeschützt immer der Gefahr einer Dichtungsunterwanderung durch Feuchtigkeit ausgesetzt. Die Korrosionsschutzwirkung der von den Steinhagener Plasmaexperten entwickelten Schicht ist besonders effektiv bei den im Automobilbau eingesetzten Aluminiumlegierungen (Abb. 4) und erfüllt die Anforderungen der Norm DIN EN ISO 9227. Die Schicht verbindet sich stoffschlüssig mit dem Metall und gewährleistet optimalen Schutz gegen eindringende Feuchte. Aktuelle Salzsprühtests zeigen, dass mit ihr abhängig von Legierung und Dichtkonzept sogar 960 Stunden bis zum Durchbruch erreicht werden. Gleichzeitig bildet die plasmapolymere Schicht einen exzellenten Haftgrund für sowohl Flüssigdichtungen, wie dem von TRW Automotive verwendeten Loctite-Klebstoff, als auch für Feststoffdichtungen aus beispielsweise EPDM.
Abb. 4: Im Vergleich zwischen einem unbeschichteten (links) und einem im PlasmaPlus-Verfahren beschichteten Aluminium-Druckguss-Prüfkörper AlSi12(Fe) nach jeweils 720 Stunden Salzsprühtest zeigen sich die Vorteile der neu eingesetzten Technologie (Foto: Plasmatreat)
Insgesamt vier robotergesteuerte Plasmadüsen sind bei TRW Automotive in die hochautomatisierte Anlage integriert: zwei zum Reinigen, zwei zum Beschichten. Im ersten Schritt werden die Klebflächen von immer zwei Bauteilen gleichzeitig der Feinstreinigung mit dem Atmosphärendruckplasma unterzogen. Hierdurch wird die in der Oberfläche des Metalls vorhandene, aber durch Kontaminationen überlagerte Energie, wieder freigelegt und die Oberfläche homogen benetzbar und haftungsfreundlich. Unmittelbar im Anschluss werden in einem zweiten Schritt diese gereinigten Flächen unter Normaldruck plasmabeschichtet, bevor sofort im dritten Arbeitsschritt der Klebstoff aufgetragen wird.
Neben seiner Inline-Fähigkeit bietet das Verfahren gegenüber konventionellen Beschichtungstechniken einen ganz besonderen Vorteil: Die Düsen arbeiten immer ortsselektiv. Anders als bei Tauchbädern oder einer Vakuumkammer braucht hier nicht das gesamte Bauteil beschichtet werden, sondern unabhängig von der Bauteilgröße nur die Fläche, die auch tatsächlich funktionalisiert werden soll (Abb. 5). Das Verfahren ist schnell: Die Taktzeit pro Bauteil beträgt für die komplette Plasmabehandlung insgesamt nur 30 Sekunden. Anschließend können die Gehäuse sofort weiterverarbeitet werden.
Abb. 5: Korrosionsschutz aus der Plasmadüse: Die Beschichtung erfolgt millimetergenau nur dort, wo eine Funktionalisierung der Oberfläche auch tatsächlich erforderlich ist (Foto: Plasmatreat)
Plasma setzt Qualitätsmaßstäbe
Heute laufen im Werk Gelsenkirchen drei Plasmaanlagen mit insgesamt zehn Plasmadüsen im Dreischichtsystem an fünf Tagen pro Woche. Investitions- und Unterhaltskosten sind niedrig, Platzbedarf und Wartungsaufwand gering. Über eine Million Teile jährlich werden mit der mittlerweile mit mehreren Preisen ausgezeichneten Plasmatechnik korrosionsschützend vorbehandelt. Während früher die im Atmosphärendruckplasma beschichteten Motorpumpengehäuse hauptsächlich für Pkws bestimmt waren, werden sie heute vor allem bei Light Trucks und Transportern großer Autobauer wie Renault, Mercedes und Fiat, aber auch für SUVs von Porsche eingesetzt. Der Korrosionsschutz aus der Plasmadüse hat sich auf ganzer Linie bewährt. Doch nicht nur das. Wie Entwicklungsingenieur Bertram Schwanitz vom ZF TRW Tech Center Düsseldorf betont, hat der Einsatz der Plasmatreat-Beschichtungstechnologie bei den Aluminiumdruckgussgehäusen neue Qualitätsmaßstäbe geschaffen.
Inès A. Melamies
Kontakt
Plasmatreat GmbH, D-33803 Steinhagen
- www.plasmatreat.de
TRW Automotive GmbH, D-45881 Gelsenkirchen
- www.zf.com
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