Kollektive Angststörung

Verbände 04. 09. 2019
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Gedanken von Dr. Malte M. Zimmer, Ressortleiter Umwelt- und Chemikalienpolitik des Zentralverband Oberflächentechnik e. V., Hilden

Bei der eingehenden Beschäftigung mit den Vorgängen rund um die Regularien der Chemikalien- und Umweltpolitik in Europa, kommt man nicht umhin, einige sehr verstörende Entwicklungen zu beobachten. Beispielsweise ist eine wachsende Risikoannahme zu finden. Obwohl wir Menschen im Durchschnitt immer älter werden – bei guter Gesundheit – , finden immer mehr angebliche Risikofaktoren den Weg in den Fokus von Politik und der Gesellschaft. Erstaunlicherweise befinden sich gerade Länder mit hohem Sicherheitsstandard – wie Deutschland oder Schweden - ganz vorn bei weiteren Verschärfungen von Regulierungen. Nahezu jeder Lebensbereich wird von Warnern und Experten besetzt, die nicht müde werden, auf die Gefahren für Gesundheit, Umwelt und ­Zukunft hinzuweisen und Maßnahmen zu fordern.

Mittlerweile werden fast täglich neue Sub­stanzen, Produkte und Errungenschaften der modernen Zivilisation gebrandmarkt. Beispiele sind Kohle, Erdöl, Dieselmotoren, Nickel, Chromtrioxid und sogar Chrom(III), Titan­dioxid, Biozide, Fungizide und viele mehr. Die Umwelt erhält irreparable Schäden durch Feinstaub und Mikroplastik und endokrine Disruptoren. Das Klima wird durch Treibhausgase bis zur Lebensfeindlichkeit verändert.

Wird den tatsächlich beobachtbaren negativen Auswirkungen dieser vielbeschworenen Risikofaktoren nachgegangen, so sind allerdings erstaunlich wenig belastbare Daten zu finden. Auch im täglichen Leben sind sie so gut wie nicht beobachtbar. Es werden teils absurde Studien, Modellrechnungen oder Simulationen bemüht, um jedermann von den herrschenden – und zunehmenden – Gefahren zu überzeugen. Mittlerweile sind auch diejenigen, die seit Jahren von den Errungenschaften der Moderne profitieren, davon überzeugt, dass sich ihre Lebensumstände stark verschlechtert haben oder es zumindest bald tun werden.

Diese Feststellungen lassen sich bereits seit vielen Jahren ausmachen. Auf die Angst vor atomarer Verstrahlung folgte die Angst vor der neuen Eiszeit, dem nicht mehr zu vermeidenden Waldsterben, Flutkatastrophen, dem Millenium, der Klimaerwärmung und todbringenden Chemikalien.

Der Autor erinnert sich noch gut, wie sehr das angekündigte Waldsterben auf ihn als Jugendlichen beängstigend gewirkt hat. Es war mit entscheidend für die Studienwahl. Doch mit den Jahren stellten sich all die aufeinander folgenden, angstmachenden Behauptungen als übertrieben heraus. Mit der zunehmenden wissenschaftlichen Ausbildung erwiesen sich die meisten dieser Bedrohungen als unhaltbar oder schlicht falsch.

Über die Nutznießer dieser ständig neuen und immer bedrohlicheren Katastrophenmeldungen für das Überleben der Menschheit kann spekuliert werden. Die Frage ist nur, warum immer mehr Menschen, gerade in den hochentwickelten Industrieländern, Bedrohungen annehmen. Warum sie entgegen ihrem objektiven Erleben eines gegenüber den früheren Zeiten langen und gesunden Lebens, den Warnungen und Ankündigungen von immer größeren Gefahren Glauben schenken.

Gehen wir davon aus, dass die Warner aus tatsächlich uneigennützigen Motiven handeln, muss es andere Ursachen für den ständigen Glauben an Untergangs- und Gefahrenszenarien geben. Ohne selbst Experte auf diesem Gebiet zu sein, stieß der Autor bei der Recherche auf folgende Formulierungen: Generalisierte Angststörung (ICD-10 F41.1): Eine diffuse Angst mit Anspannung, Besorgnis und Befürchtungen über alltägliche Ereignisse und Probleme über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten, begleitet von weiteren psychischen und körperlichen Symptomen.

Eine weitere Erläuterung lautet wie folgt: Unter die generalisierten Angststörungen werden anhaltende Symptome von Angst zusammengefasst, die sich ebenfalls nicht auf bestimmte Situationen beschränken. (...) Die Betroffenen kennen den Auslöser ­ihrer Angst oft nicht. Sie werden zum Beispiel von der Furcht gequält, dass sie oder ihre Angehörigen erkranken oder Unfälle erleiden könnten.

In der Tat beobachten wir eine weit verbreitete, ja kollektive Angst vor alltäglichen Situationen wie Essen, Atmen, Arbeiten oder dem Erleben der Natur. Das Thema ist nicht fixiert, sondern wird bereitwillig gewechselt, sobald die nächste Katastrophe medienwirksam in Szene gesetzt wird.

Hinzu kommt die allgemein bekannte Tatsache, dass vor allem Unbekanntes Angst machen kann. Aber: Wer hat denn das Klima wirklich verstanden? Wer versteht Simulationen komplexer Systeme? Wer kennt die tatsächlichen komplexen Zusammenhänge des Biozideinsatzes? Wer kann die Aussagekraft von toxikologischen Tierversuchen auf den Alltag beurteilen? Und wer hat Chemie über das notwendige rudimentäre Schulwissen ­hinaus betrieben?

Es gibt viele Dinge und Zusammenhänge, die von der breiten Gesellschaft nicht mehr verstanden werden. Zusammen mit dringenden Warnungen über angebliche unmittelbare Gefahren entstehen Ängste. Und Ängste führen zu irrationalen Entscheidungen.

Dem Autor hilft in solchen Situationen oft, sich von den allgemein anerkannten oder von Experten erhobenen Behauptungen ­aktiv zu distanzieren und ein wenig Plausibilität ­walten zu lassen. Einfache Fragen können da helfen:

  • Ist es sinnvoll, persistente Substanzen grundsätzlich als schädlich zu ­betrachten? Wäre vor Jahrmillionen die Bildung von Erdöl und Kohle – beide offensichtlich hoch-persistent – unterbunden worden, hätte sich unsere moderne Gesellschaft nicht entwickeln können.
  • Ist es sinnvoll, Kohlenstoffdioxid als Schadgas einzustufen, wo doch die gesamte Flora daraus den von uns benötigten Sauerstoff herstellt?
  • Ist es sinnvoll, das uns in allen Farben begegnende Titandioxid als krebserregend zu brandmarken, obwohl noch niemand eine stoffbezogene negative Folge davon beobachten konnte?
  • Ist es sinnvoll, Quarzstaub als ­schädlich einzustufen, sich dann aber auf weiße Strände zu legen?
  • War es sinnvoll, das Millenium als bedrohlich zu empfinden, obwohl das Datum eine rein von Menschen geschaffene künstliche Einrichtung ist?
  • Ist es sinnvoll, Feinstaub zu fürchten, obwohl die in jedem Frühjahr auftretende Pollenflut nichts anderes darstellt?
  • Ist es sinnvoll, das auch heute schwankende Klima allein den menschlichen Einflüssen zuzuschreiben, obwohl es seit Jahrmillionen vielfach Warmzeiten und Eiszeiten gegeben hat?
  • Ist es sinnvoll anzunehmen, toxikologische Versuche, bei denen Tiere extremen Überdosierungen ausgesetzt werden, ließen sich auf die menschlichen Alltagsbedingungen übertragen?

Wenn wir uns nicht von Angst blenden lassen, führt uns die aufkommende Gelassenheit möglichweise zu neuen Einsichten. Und wir sind nicht länger Spielball derer, denen die Angst wirtschaftlich nutzt. Ohne die Beeinträchtigung durch die beschriebene Angststörung könnten auch Regulierer rational und mit Augenmaß handeln.

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