Ob Gehäuse, Elektronik oder Elektrodenmaterial – auch in der Medizintechnik werden Kunststoffe durch galvanische Beschichtung aufgewertet

Medizintechnik 08. 03. 2020

Von Dr. Jürgen Hofinger, Radeberg

Die Beschichtung von Kunststoffen ermöglicht es, auch hochwertigen Spezialkunststoffen beispielsweise neben deren gutem mechanischem oder thermischem Verhalten zusätzliche Eigenschaften zu verleihen. Dazu zählen zum Beispiel eine erhöhte Kratzbeständigkeit, ein hohes Reflexionsvermögen, eine gute elektrische Leitfähigkeit oder Kontaktierung und nicht zuletzt ein ansprechendes dekoratives Aussehen. Diese Möglichkeiten wurden bisher noch nicht in vollem Umfang ausgeschöpft. Ein umweltfreundliches Vorbehandlungsverfahren ebnet den Weg für den Einsatz von galvanisch beschichteten Kunststoffen in der Medizintechnik.

Kunststoffe werden in der Medizintechnik sehr häufig eingesetzt. Der größte Anteil entfällt dabei auf Einwegartikel, was gerade in dieser Branche eine enorme Arbeitserleichterung und Kosteneinsparung ermöglicht. Während vor einigen Jahrzehnten Kanülen, Spritzen oder Infusionsbestecke häufig auch vor dem ersten Gebrauch aufwändig sterilisiert werden mussten, gelangen diese heute sterilverpackt aus Kunststoff in die Kliniken und tragen dort nicht zuletzt auch zu einer Verringerung des Infektionsrisikos bei. Für diese Einwegartikel werden vor allem einfache und billige Massenkunststoffe wie PP, PE, PVC, PUR oder PET eingesetzt. Beschichtungen werden für diese Artikel selten benötigt. Eine der wenigen Ausnahmen stellen Elek­troden für das Monitoring der Herzmuskel­aktivität (EKG) sowie der Gehirnaktivität (EEG) dar.

Einwegelektroden in der ­Medizintechnik – eine Nische mit Milliardenstückzahlen

Auch heute noch verwenden viele Haus- und Fachärzte wiederverwendbare Elektroden für die Elektrokardiographie. Kliniken greifen dagegen für diese Anwendung fast ausschließlich auf Einwegprodukte zurück. Weltweit wird der Verbrauch an Einmalelektroden für Elektrokardiogramme auf mehrere Milliarden Stück pro Jahr geschätzt. Vor allem die niedrigen Kosten von etwa 20 Cent pro ­Elektrode machen dieses Einwegprodukt so ­attraktiv für Kliniken, die ihre Gesamtkosten unter Kontrolle halten müssen.

Das Herzstück einer Einwegelektrode ist ein kleines zylindrisches, druckknopfähnliches Bauteil aus ABS-Kunststoff, das in einem nasschemischen Prozess mit einer Silberschicht überzogen wird und die Verbindung zwischen einem leitfähigen Klebepad und einem Steckkontakt herstellt (Abb. 1). Silber ist als edles Metall auch bei längerem Kontakt hervorragend hautverträglich und verfügt von allen Metallen bei Raumtemperatur über die höchste Leitfähigkeit. Um eine gute Haftfestigkeit zwischen Silberschicht und Kunststoffsubstrat herzustellen, wird die ABS-Oberfläche chemisch vorbehandelt. Dieses Verfahren unterscheidet sich nach dem Stand der Technik nicht von der Beize für dekorative Bauteile, wie sie für die Automobilindustrie in Form von Blenden, Schaltern und Zierelementen für den Fahrzeug­innenraum, Verchromungen im Außenbereich oder in der Sanitärindustrie beispielsweise für Duschköpfe verwendet wird.

Abb. 1: Das druckknopfähnliche Element einer Einwegelektrode stellt die elektrische Verbindung zwischen leitfähigem Klebepad und Anschlussstecker her

 

Wie in der Kunststoffgalvanik üblich ­wurde in der Vergangenheit auch für die ­Herstellung der versilberten Elektroden Chromsäure in Kombination mit Schwefelsäure für die Vorbehandlung eingesetzt. Im Gegensatz zu den großen dekorativen Anwendungen gibt es jedoch keine Autorisierung, die für den Einsatz von chrom(VI)haltigen Lösungen für einzelne Anwendungen in Europa erforderlich wäre. Eine Alternative ist daher ein von der Biconex GmbH entwickeltes Verfahren zur Silberbeschichtung von ABS-Elektroden speziell für die Medizintechnik, das vollständig ohne Chrom(VI) auskommt und hohe Schichthaftfestigkeit, hervorragende Leitfähigkeit mit niedrigen Kosten kombiniert.

Elektromagnetische Abschirmungen

Beschichtungen von ­Kunststoffgehäusen zur Abschirmung elektromagnetischer Wellen werden meist mittels PVD-Verfahren hergestellt (Physical Vapour Deposition). Die Beschichtung erfolgt chargenweise im Hochvakuum. Besonders beliebt ist für diese Anwendung das thermische Bedampfen, wobei Metalle wie Kupfer bei hohen Temperaturen und niedrigem Druck in den gasförmigen Zustand gebracht und anschließend auf den Bauteiloberflächen abgeschieden werden. Mit dieser Spielart der PVD-Beschichtung lassen sich vergleichsweise hohe Schichtdicken im Mikrometerbereich in relativ kurzer Zeit von einigen Minuten erzeugen. Den größten Teil der Prozesszeit nimmt somit das Ein- und Ausschleusen ins Hochvakuum in Anspruch. Die so erzeugten Schichten sind jedoch nicht sehr kompakt; es kommt zu einem Stengelwachstum, das die elektrischen und mechanischen Eigenschaften der Schicht mindert. Für viele Anforderungen zur elektromagnetischen Schirmung ist dies jedoch ausreichend.

Grenzen hat das Verfahren vor allem bei verdeckten Geometrien, wie zum Beispiel den Innenflächen von Zylindern mit Längen, die den Durchmesser deutlich übersteigen. Da der Metalldampf bei PVD-Verfahren gerichtet auf das Bauteil trifft, sorgen Abschattungseffekte für eine deutliche Abnahme der Schichtdicke in schwer zugänglichen Bereichen. Auch galvanische Beschichtungsverfahren zeigen einen ähnlichen, wenn auch nicht so ausgeprägten Effekt. In Vertiefungen wird das elektrische Feld stark abgeschwächt und sorgt für eine verringerte Abscheidegeschwindigkeit. Gute Elektrolyte können diesen Effekt zwar durch die Erzeugung einer höheren Streufähigkeit reduzieren. Dennoch eignen sich für derartige Geometrien am besten nasschemische (außen-)stromlose Verfahren wie chemisch abscheidende Nickelprozesse.

Anwendungen für EMV-Schutzschichten, bei denen sowohl besonders hohe Anforderungen an die Abschirmung gestellt werden als auch komplexe Innengeometrien auftreten, sind Komponenten für Steckverbindungen in der Medizintechnik. Der Einsatz von Kunststoffen hat hier vor allem drei Vorteile:

  • Mit selektiven Beschichtungen lassen sich leitende und isolierende Bereiche in einem Bauteil kombinieren
  • Verschiedene Qualitäten von Steckverbindungen hinsichtlich der Abschirmung lassen sich ohne Geomtrieänderungen über die Beschichtung realisieren
  • Im Vergleich zu Vollmetallausführungen wird das Gewicht der Stecksysteme reduziert

Bei Steckverbindungen ist die elektrische Leitfähigkeit nicht immer ein Vorteil: So ist bei Steckbuchsen, die frei zugänglich sind, die Vermeidung von direktem Körperkontakt wünschenswert. Ein Schutz vor Berührung (Abb. 2) muss daher entweder durch zusätzliche isolierende Komponenten realisiert werden, oder aber einfacher durch Verwendung von selektiv beschichteten Kunststoffteilen. Da nicht für alle Anwendungen gleich hohe Standards gefordert werden, müssen auch nicht alle Steckverbindungen mit den gleichen Oberflächen ausgestattet werden. Damit aber nicht ein möglicher Kostenvorteil von einfacheren Ausführungen durch geringere Serienstückzahlen gleich wieder wegschmilzt, kann mit ein und derselben Geometrie für alle Komponenten nur durch die Beschichtung eine höherwertige Variante einer ansonsten in großen Mengen hergestellten einfachen Ausführung erzeugt werden.

Abb. 2: Steckerkomponente mit Berührschutz, herstellbar beispielsweise durch eine selektive Beschichtung des Polyetherimid-Bauteils durch Biconex GmbH

 

Autoklavierbare Kunststoffgehäuse

Auch Kunststoffgehäuse sind in der Medizin­technik weit verbreitet. Wenn Oberflächen steril sein müssen und es sich dennoch aus Kostengründen nicht um Einwegprodukte handelt, müssen die verwendeten Materialien neben ihrer Verträglichkeit auch sterilisierbar sein. Für den Arzt oder die Klinik vor Ort bedeutet das im Allgemeinen eine Temperaturbehandlung in einem Autoklaven; aus diesem Grund wird für die Kunststoffe daher eine ausreichende thermische und chemische Stabilität gefordert. Die meisten günstigen Massenkunststoffe wie Polypropylen, ABS oder Polyamid verformen sich bei den relevanten Temperaturen. Da die Oberflächen auch aggressiven Reinigungsmitteln ausgesetzt sind, sollte das Material außerdem eine hohe Beständigkeit aufweisen, und zwar möglichst gegenüber Säuren, Laugen, Lösungsmitteln und Oxidationsmitteln.

Für diese speziellen Anwendungen kommen daher vor allem Spezialkunststoffe wie PPS (Polyphenylensulfid), PEI (Polyetherimid), PEEK (Polyetheretherketon) sowie PVDF (Polyvenylidenfluorid) infrage. Rein optisch sind diesen Kunststoffen ihre besonderen Eigenschaften jedoch nicht anzusehen. Die eigentlich hochwertigen Werkstoffe wirken optisch und haptisch ähnlich minderwertig wie einfache Massenkunststoffe. Aufgrund der geringen Beständigkeit gegenüber Laugen sind Lacke weniger gut für die Oberflächenveredelung solcher Produkte geeignet. Das gilt natürlich dementsprechend auch für die Kombination aus PVD-Beschichtung und Klarlack.

Mit einer geeigneten chrom(VI)freien Vorbehandlung lassen sich jedoch auch Spezialkunststoffe chemisch-galvanisch beschichten (Abb. 3). Je nach Anforderung eignen sich als Metalle für die Deckschicht Chrom oder eine hochbeständige Zinn-Nickel-Legierung mit einer darunter liegenden Kombination aus Kupfer- und Nickelschichten. Bei Schicht­dicken größer 40 Mikrometer, ähnlich wie bei den dekorativen Schichten für die Automobil- und Sanitärindustrie, wird nicht nur eine hervorragende Optik, sondern auch eine metallähnliche haptische Anmutung erreicht.

Abb. 3: Zahnkronenhalter zur Bestimmung der Zahnfarbe aus Polyphenylensulfid (PPS) mit einer chemisch-galvanischen Metallisierung

 

Biconex hat chrom(VI)freie Verfahren für die Vorbehandlung der Spezialkunststoffe PPS und PEI entwickelt. Beide Verfahren kommen in der eigenen Kleinseriengalvanik zum Einsatz und ermöglichen je nach Bauteilgröße die Beschichtung kleiner und mittlerer Serien. Zudem können hiermit Bauteile für den Eignungstest mit unterschiedlichen Kunststoffen oder Schichtkombinationen hergestellt werden.

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