Modifizierungen der Oberfläche von Polyethylen und Polypropylen

Werkstoffe 08. 05. 2020

Von Konstantin Siegmann, Labor für Polymere Beschichtungen des Institute of Materials and Process Engineering, IMPE, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, ZHAW, Winterthur

Niederenergetische Kunststoffe, wie die Polyolefine Polyethylen oder Polypropylen, sind nur schwer zu kleben oder zu bedrucken. Die Herausforderung kann gelöst werden mit einer Methode, die ursprünglich aus der Biochemie stammt und mit der sich die Oberflächen von solchen Kunststoffen chemisch verändern lassen. Am Beispiel von photoreaktivem Skiwachs, einer hydrophoben Modifikation von Polyethylen, wird das Verfahren veranschaulicht.

1 Ein oberflächliches Problem

Im Jahr 2005 wurden weltweit 230 Millionen Tonnen Kunststoffe verbraucht; über 50 % davon entfielen auf die Polyolefine Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP). Polyethylen und Polypropylen sind ausgesprochen niederenergetische Kunststoffe, das heißt, dass ihre Oberfläche wenig reaktiv ist. Wasser und Öl perlen ab und sie lassen sich kaum lackieren, bedrucken oder kleben. Die Reaktionsträgheit der Polyolefine beruht auf ihrem molekularen Aufbau. Polyolefine bestehen ausschließlich aus Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen, die durch äußerst starke, unpolare Bindungen zusammengehalten werden; nur Teflon, das von der Anwendung als haftmindernde Bratpfannenbeschichtung bekannt ist, ist noch unreaktiver. Trotzdem besteht das Bedürfnis, die Oberflächen von Polyethylen und Polypropylen zu modifizieren, zu kleben oder zu bedrucken.

Oftmals muss die Oberfläche mit drastischen Methoden behandelt werden, bevor sie weiterverarbeitet werden kann. Weitverbreitet sind die Plasma-, Corona- oder Flammenaktivierung. Bei den drei genannten Verfahren wird die Oberfläche des Polyolefinwerkstücks sozusagen dosiert verbrannt, so dass sich reaktive Stellen bilden. Wird dieser Prozess auf der molekularen Ebene betrachtet, handelt es sich um das Einbringen von Sauerstoff­atomen in den Kohlenstoff-Wasserstoff-Verband. Diese sind polar und erhöhen die Oberflächenenergie. Danach kann beispielsweise ein Lack haften oder die Werkstücke können verklebt werden.

Die genannten oxidativen Verfahren ­haben aber gewichtige Nachteile. ­Beispielsweise schwächt das dosierte Verbrennen den Kunststoff, so dass die anschließende Verklebung in der Verbindungszone mechanisch geschwächt ist. Auch ist die oxidative Aktivierung nicht dauerhaft, sie verschwindet mit der Zeit. Es besteht also eine große Nachfrage nach schonender und dauerhafter Oberflächenmodifizierung von Polyethylen und Polypropylen.

2 Die Zähmung explosiver Chemie

Ein Ansatz zur Erzielung einer entsprechenden Oberflächenmodifikation wurde aus der Biochemie übernommen. Dort wurden Methoden entwickelt, um Enzyme an unreaktiven Stellen zu markieren. Diese ­Methoden bedienen sich spezieller Moleküle, die durch ultraviolettes Licht angeregt werden und in hochreaktive Bruchstücke zerfallen; ­diese Bruchstücke können in unreaktive Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindungen eindringen. Eigentlich für die Biologie entwickelt, wurde diese Methode auf Kunststoffe wie Polyolefine angewandt. Abbildung 1 zeigt das Prinzip.

Abb. 1: Eine labile Substanz absorbiert ultraviolettes Licht (A), zerfällt in ein reaktives Bruchstück (B), welches mit der Kunststoffoberfläche reagiert (C)

 

Die reaktive Gruppe in Molekül A ist ein Azid, welches aus drei Stickstoffatomen besteht. Azide sind instabil, sie werden beispielsweise zum explosionsartigen Aufblasen von Airbags oder als Initialsprengstoffe eingesetzt. Hier ist das Azid an einen aromatischen Ring gebunden, der als Antenne wirkt. Sobald die Antenne ultraviolettes Licht absorbiert hat, gibt sie dessen Energie an das Azid weiter, das sofort molekularen Stickstoff abspaltet. Zurück bleibt eine Stickstoffspezies, die sich einen neuen Reaktionspartner sucht. ­Dieser kann die Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindung der Oberfläche eines Kunststoffs sein, in die es sich einschiebt und sich damit mitsamt dem aromatischen Ring fest auf der Oberfläche verankert. Am aromatischen Ring kann eine beliebige Gruppe (R in Abb. 1) angebracht sein. Diese Gruppe ist nun mit der Kunststoffoberfläche chemisch verbunden. So gelingt es, fast beliebige Gruppen R auf die – sonst unreaktive – Kunststoffoberfläche aufzupfropfen.

3 Ein Beispiel: ­photoreaktives Skiwachs

Moderne Skiwachse sind effizient im Verringern des Gleitwiderstands von Ski auf Schnee. Sie erreichen dies, indem sie den Wasserfilm, der sich durch die Reibung zwischen Ski und Schnee bildet, stark abweisen. Allerdings werden konventionelle Skiwachse schnell abgerieben, sie haften nicht einmal lang genug für die Dauer eines Rennens. Ein ideales Skiwachs wäre darum einerseits stark wasserabweisend (hydrophob) und würde andererseits gut am Skibelag haften.

Skibeläge bestehen aus Ultra-High-Molecular-Weight Polyethylen (UHMWPE), einem Polyethylen mit besonders langen Ketten, das sich in seiner Reaktivität kaum von normalem Polyethylen unterscheidet. Die Aufgabe besteht also darin, hydrophobe Gruppen auf UHMWPE zu pfropfen. Am stärksten hydrophob sind perfluorierte Kohlenstoffketten, also teflonartige Verbindungen. Die Gruppe R aus Abbildung 1 sollte demnach eine lange, perfluorierte Kette sein. Abbildung 2 zeigt den molekularen Aufbau von photoreaktivem Skiwachs. Zu erkennen sind in Abbildung 2 folgende drei Segmente:

  • Azid (-N3) als reaktive Gruppe
  • ein aromatischer Ring als Antenne für ultra­violettes Licht
  • die stark hydrophobe lange, perfluorierte Kette (-C8F17)

Mit diesem Stoff läuft das Wachsen von Ski so ab, dass das photoreaktive Skiwachs im ersten Schritt als hochverdünnte Lösung auf den Belag aufgesprüht wird und anschließend trocknen kann. Dann wird der Ski mit ultraviolettem Licht aus einer Quecksilberdampflampe bestrahlt, das Skiwachs bindet chemisch an den Belag an. Der Ski ist nun dauerhaft stark hydrophob ausgerüstet. Abbildung 3 zeigt die handgehaltene Quecksilberdampflampe und einen behandelten Ski.

Abb. 2: Molekularer Aufbau und Anwendung von photoreaktivem Skiwachs

 

Abb. 3: Das Wachsen eines Skis mit Hilfe einer Quecksilberdampflampe

 

4 Erfolg und Ausklang

Photoreaktives Skiwachs erwies sich in Labortests im Vergleich mit konventionellen Hochleistungsskiwachsen als über doppelt so lange haftend. Ausgedehnte Feldtests mit professionellen Skifahrern ergaben eine Leistungssteigerung von etwa 1 % gegenüber konventionellen Skiwachsen – ein enormer Wert, wenn bedacht wird, dass es im Skisport um Hundertstelsekunden geht. Darum wurde photoreaktives Skiwachs an der Winterolympiade 2018 in Südkorea erstmals angewandt. Welche Mannschaften das photoreaktive Skiwachs erhielten, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis, es ist jedoch davon auszugehen, dass damit Medaillen gewonnen wurden.

Per- und polyfluorierte Kohlenstoffverbindungen stehen allerdings seit längerer Zeit in Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein. Darüber hinaus werden sie kaum abgebaut und reichern sich in Umwelt und Biosphäre an. Aus diesen Gründen werden alle fluorierten Skiwachse (und damit leider auch photoreaktives Skiwachs) ab der Wintersaison 2020/21 verboten – das Ende einer Erfolgsgeschichte.

5 Viele Anwendungsgebiete

Das absehbare Ende von photoreaktivem Skiwachs ist jedoch nicht das Ende der Oberflächenmodifikationen mittels organischer Azide. Da die funktionellen Gruppen (R in Abb. 1), die durch die beschriebene Technologie auf Polyolefine gepfropft werden ­können, beinahe unbegrenzt sind, öffnen sich andere Anwendungsgebiete. Eines davon wäre zum Beispiel das Anbinden von Bioziden auf Poly­olefinoberflächen. Eine antimikrobielle Ausrüstung von Gebrauchsgegenständen wäre damit möglich. Die Oberflächenmodifikation niederenergetischer Kunststoffe durch photoaktivierte Azide steckt noch in den Anfängen und soll am IMPE weiterentwickelt werden.

Danksagung

Die Autoren danken der Kommission für Technologie und Innovation KTI für die finanzielle Unterstützung. Dem Unternehmen TOKO sei für die gute Zusammenarbeit gedankt.

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