Antimikrobielle Oberflächen zur Infektionsprävention

Medizintechnik 08. 05. 2020
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VDI veröffentlicht Statusreport über Werk- und Wirkstoffe, Prüfverfahren sowie rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen

Im April 2020 ist unter Federführung des VDI-Fachausschusses Management hygienisch relevanter Flächen in medizinischen Einrichtungen ein Statusreport erschienen, der den aktuellen Stand mikrobiologischer, biotechnologischer und werkstoffbasierter Verfahren für das Management von hygienisch relevanten Oberflächen erfasst, diese hinsichtlich der Praxisrelevanz bewertet und Empfehlungen für Anwender und Hersteller gibt.

Als Einstieg in das Thema bietet der Statusreport einen Überblick zu Technologien und Prüfverfahren für Hygienemaßnahmen, bei denen antimikrobielle Materialien beziehungsweise Substanzen, massive Oberflächen und Oberflächenbeschichtungen eingesetzt werden. Der Statusreport ermöglicht in Abhängigkeit von der Anwendung, dem Werk- und Wirkstoff eine weitgehend praxis­nahe Leistungsbeurteilung der antimikro­biellen Oberfläche zur Infektionsprävention. Auf Basis neuer Prüfansätze werden ­erste Handlungsempfehlungen für Hersteller und Betreiber abgeleitet, damit diese unter Berücksichtigung von gestiegenen rechtlichen und regulatorischen Anforderungen sowie der Nutzen-Risiko-Abwägung geeignete praxisrelevante Prüfverfahren auswählen können.

Der Einsatz von antimikrobiellen Oberflächentechnologien sowie ihre Wirksamkeits­prüfung sind durchaus kontroverse Themen, zu denen weltweit geforscht wird und neue Erkenntnisse entstehen. Der Statusreport spiegelt den aktuellen Arbeits- und Kenntnisstand einer Arbeitsgruppe im VDI-Fachausschuss Management hygienisch relevanter Flächen in medizinischen Einrichtungen wider (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Um dem dynamischen Wissenszuwachs Rechnung zu tragen, sollen neue Erkenntnisse künftig als Fortschreibung in den Statusreport mit aufgenommen werden.

Nachfolgend werden einige Abschnitte des Reports auszugsweise wiedergegeben. Die gesamte Ausgabe kann in gedruckter und elektronischer Form (als pdf-Datei) beim VDI bezogen werden. Aufgrund der aktuellen Pandemiesituation erfahren sicher einige Inhalte der Schrift eine besondere Aufmerksamkeit, da hier auch Anhaltspunkte zur Reduzierung der Gefahr einer Übertragung von Keimen zu finden sind. Die etablierten Verfahren der Oberflächentechnik und Beschichtungstechnik sollten eine hilfreiche Basis darstellen, um neue Schutzmaßnahmen im Bereich der Medizintechnik, aber auch der allgemeinen Abwehr gegen risikobehaftete Krankheitsträger zu unterstützen.

Ein Blick auf die ­Inhalte des VDI-Statusreports

Um das Risiko der Verbreitung von pathogenen Erregern über Berührungsoberflächen zu verringern, werden – neben Maßnahmen zur Standardhygiene – antimikrobielle Technologien und Werkstoffe genutzt. In Abhängigkeit von der angewandten Technologie und den chemisch-physikalischen Möglichkeiten der beteiligten Komponenten (Material, Wirkstoff, Imprägnierungsverfahren) kann eine Wirksamkeit der Oberflächen gegen diverse Mikroorganismen entweder durch die Nutzung von massiven Materialien mit intrinsischer antimikrobieller Eigenschaft oder durch ­Beschichtung wie auch Imprägnierung mit antimikrobiellen oder antiadhäsiven Stoffen erzielt werden.

Die antimikrobielle Ausstattung von Oberflächen erfolgt insbesondere in hygienesensiblen Bereichen. Anwendungsbereiche sind vor allem Oberflächen von medizintechnischen Geräten und Bedarfsgegenstände in Krankenhäusern sowie in Einrichtungen des ambulanten Gesundheits- und Sozialwesens. Hinzu kommen Oberflächen im öffentlichen Raum, im Lebensmittelsektor und in der Tierhaltung. Die Betrachtung von Berührungsoberflächen über das Gesundheitswesen ­hinaus entspricht dem sektorübergreifenden, interdisziplinären One-Health-Ansatz, der die enge Zusammenarbeit zwischen der Human- und Veterinärmedizin als Voraussetzung für die Erhaltung und Förderung der Gesundheit von Mensch und Tier, für die Einsparung von Ressourcen und den Erhalt einer intakten Umwelt verfolgt.

Der Statusreport ermöglicht in Abhängigkeit von der Anwendung, dem Werk- und Wirkstoff eine weitgehend praxisnahe Leistungsbeurteilung der antimikrobiellen Oberfläche zur Infektionsprävention.

Generell gilt für antimikrobielle Oberflächen: Sie dienen zur Ergänzung der Flächenhygiene und ersetzen die im einrichtungsspezifischen Hygieneplan ausgewiesenen Hygienemaßnahmen (Reinigung, Desinfektion) nicht. Daher sind sowohl Reinigungs- als auch Desinfektionsmaßnahmen zur Basishygiene weiterhin entsprechend der einrichtungsindividuellen Hygienepläne durchzuführen und die Vorgaben der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) zu berücksichtigen. Rechtliche und regulatorische Anforderungen sehen einen produkt- und anwendungsspezifischen Nachweis der Wirksamkeit vor, zum Teil bis hin zur Bewertung einer spezifischen Infektionsprävention.

Auf der Laborebene kommen zur Wirkungsbeurteilung von antimikrobiell wirksamen Oberflächen daher unterschiedliche, für den jeweiligen Anwendungsfall ausgewählte Methoden zur Anwendung. Die Wirkmechanis­men antimikrobieller Substanzen werden, soweit bekannt, im Report vorgestellt. Die derzeit existierenden normativen Vorgaben werden jedoch den vielfältigen Fragestellungen, Anforderungen beziehungsweise Anwendungsfällen vor allem aus der klinisch infektiologisch relevanten Sicht nicht voll gerecht: Es ist mit normativen Methoden bisher nicht möglich, den Beitrag von antimikrobiell wirksamen Produkten zur Unterbrechung von Infektionsketten zu bewerten oder eine Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen, da ihr Prüfaufbau die Praxisanwendung nicht berücksichtigt. Dies betrifft zum Beispiel verschmutze Oberflächen, Austrocknung, Mischpopulationen, Umweltorganismen sowie die Ausbildung von Überdauerungsformen (z. B. viable but not culturable, VBNC). Häufig ist daher unklar, wie eine praxisnahe Prüfung antimikrobieller Oberflächen aussehen kann.

Demgegenüber finden sich weltweit in Forschungs- und Entwicklungslaboren eine Vielzahl von experimentellen Prüfansätzen, die neue Möglichkeiten der Bewertung von antimikrobiellen Oberflächen eröffnen: ­Diese benötigen jedoch zunächst eine technologische Bewertung, um ihre Grenzen und Einsatz­gebiete wissenschaftlich zu erfassen und sie den interessierten Industriezweigen zur Verfügung zu stellen. Es ist zu beachten, dass passende Prüfmethoden immer in Abhängigkeit von dem postulierten Wirkmechanismus auszuwählen sind. Auch sollten Prüfmethoden gewählt werden, die deutlich mehr Anwendungsbezug zeigen, als die derzeitigen normierten Verfahren. Die bekannten praxisrelevanten Prüfverfahren für Hygienemaßnahmen werden im Statusreport vorgestellt und bewertet. Die bisher noch experimentellen Methoden sollten alsbald standardisiert und etabliert werden, um dem Entwickler, Hersteller und Anwender gleichermaßen die notwendige, praxistaugliche, hygienische ­Sicherheit zu bieten.

Eine zukunftsfähige optimierte Hygiene im Gesundheitswesen benötigt Labor-, Feld-,
und Benchmarktests, die dabei helfen, die Wirksamkeit von antimikrobiellen Werk- und Wirkstoffen, auch im Zusammenspiel mit neuen Reinigungsprozessen, exakt zu bewerten. Mit Blick auf das drängende ­Problem steigender Resistenzen ist die Politik gefordert, notwendige Forschungsprojekte zu ergänzenden Hygienemaßnahmen zu ­fördern und zu finanzieren. Dabei sollten auch das Mikrobiom betreffende Fragen verbindlich aufgenommen werden. Gleiches gilt für Untersuchungen, die klären, inwiefern antimikrobielle Oberflächen die Resistenzentwicklung beschleunigen und/oder verstärken sowie zur Verringerung der Organismenvielfalt beitragen können.

Werkstoffe für ­antimikrobielle Oberflächen

Unter dem Begriff der antimikrobiellen Oberflächen sind Materialien und Substanzen zusammengefasst, die das Wachstum und die Vermehrung von Mikroorganismen begrenzen oder verhindern. Im Bereich von Forschung und Entwicklung wie auch in der derzeitigen industriellen Fertigung stehen antimikrobielle Oberflächen aufgrund eines breiten Wirkungsspektrums im Fokus. Diese Flächen unterscheiden sich zum Teil stark in ihrer Wirksamkeit aufgrund des zugrunde liegenden Wirkmechanismus. Die Mehrheit der aktuell eingesetzten antimikrobiell wirkenden Substanzen basiert auf Hydrogelen, Poly­ethylenglykol (PEG), anorganischen und organischen (Nano-)Partikeln, antimikrobiellen Peptiden (AMP) und quaternären Ammoniumverbindungen (QAC) [1]. Durch chemische Modifikationen und Kombinationen der einzelnen Wirkstoffe erweitert sich das Feld der antimikrobiellen Substanzen noch einmal.

Eine im Rahmen des EU-COST-Netzwerks AMiCI (Anti Microbial Coating Innovations) durchgeführte Literaturrecherche in ­Bezug auf antimikrobielle Substanzen und Beschichtungen und die zugrunde liegende antimi­krobielle Strategie hat gezeigt, dass sich rund 30 % der Publikationen auf silberbasierte Systeme, 17 % auf Chitosan und 14 % auf ­Titan fokussieren. Kupfer- und zinkbasierte Beschichtungen spielen im Forschungsumfeld aktuell eher eine untergeordnete Rolle (5 % und 4 %) [2]. Von Beschichtungen abzugrenzen sind Oberflächen monolithischer Materialien, beispielsweise reines Kupfer und Kupferlegierungen in Form von Werkstoffen [67]. Die breite Forschung zu dieser Material­klasse fand bei der genannten Auswertung durch AMiCI keine Berücksichtigung.

Grundsätzlich werden antimikrobielle Materialien nach ihrem zugrunde liegenden Wirkmechanismus nach aktiv (Wirkstoff freisetzend sowie kontaktaktiv) und passiv klassifiziert. Das Oberflächendesign (chemische oder strukturelle Modifikation der Oberfläche) ist hierbei von großer Bedeutung. Die Struktur beziehungsweise Topografie können beispielsweise den hygienischen Zustand der Oberfläche in vorteilhafter Weise beeinflussen, zum Beispiel durch eine Verringerung der mikrobiellen Beladung. Dabei liegt auf der Verschleißeigenschaft der Oberflächen ein besonderes Augenmerk, da diese erheblich die Anschmutzung und Reinigbarkeit ­beeinflusst [3, 4].

Es ist daher essenziell, dass multidisziplinäres Fachwissen in den Entwicklungsprozess einfließt. Nur so können aus mikrobiologischer und werkstoffwissenschaftlicher Perspektive

  • mögliche Wechselwirkungen zwischen der Oberfläche und den in der jeweiligen Umgebung am wahrscheinlichsten vorkommenden Mikroorganismen bewertet,
  • Verschleißmechanismen charakterisiert und
  • für die Aufbereitung geeignete Reinigungs- und Desinfektionsmittel festgelegt werden.

Darüber hinaus spielen Realisierbarkeit, Produktionskosten und Verträglichkeit mit herkömmlichen Beschichtungssystemen und deren Eigenschaften eine große Rolle. Damit hat auch der gesamte Herstellungs- und Fertigungsprozess einen erheblichen Einfluss auf die Wirksamkeit der antimikrobiellen Oberflächen (z. B. thermische Vernetzungsprozesse, Einbettung partikulärer Stoffsysteme in, sowie deren Partikelverteilung an der Oberfläche, ionische Wechselwirkung).

Für die Anwendung von hygienisch relevanten Oberflächen in der Infektions- und Kontaminationsprävention müssen bestimmte Anforderungen an die antimikrobiellen Eigenschaften erfüllt werden, die praxisnahe Prüfungen berücksichtigen sollten:

  • mechanische und chemische Beständigkeit
  • breites Wirkungsspektrum gegenüber Viren, Bakterien und Pilzen
  • schneller antimikrobieller Wirkungseintritt innerhalb von 5 min bis 60 min mit hoher Reduktion mit mindestens drei Log10-­Stufen
  • Wirksamkeit an der Grenzfläche fest/gasförmig
  • Langzeiteffekt über die Lebensdauer einer Beschichtung beziehungsweise Wirkverlust bei schadhafter Beschichtung
  • Wirksamkeit auch bei organisch und anorganisch verschmutzter Oberfläche (z. B. Fett, Blut, Schweiß, Partikel)
  • keine Förderung der Ausbildung von Resistenzen
  • kein Allergisierungspotenzial
  • keine adversen Effekte auf Mensch und Umwelt (auch nach dem Lebenszyklus)

Ebenfalls zu beachten ist, dass die verwendeten antimikrobiellen Substanzen auch bei Langzeitwirkung grundsätzlich für Mensch (einschließlich besonders anfälliger Patientengruppen wie Neonaten und Immunsupprimierte) und Umwelt toxikologisch unbedenklich sein müssen. Außerdem müssen – außer bei massiven Werkstoffen (die mit dem Wirkstoff gleichzusetzen sind) – die Wirkstoffe so in das behandelte Material eingebunden sein, dass sie nicht undefiniert freigesetzt werden (z. B. ausgasen) und über den Lebens­zyklus permanent zur Verfügung stehen. ­Letztlich muss gewährleistet werden, dass bei der Entsorgung der behandelten Materia­lien, zum Beispiel in Müllverbrennungsanlagen, keine Schadstoffreste entstehen.

Der Fokus des VDI-Statusreports liegt auf den antimikrobiellen Materialen und deren chemischen Modifikationen, die derzeit in der Praxis bereits genutzt werden beziehungsweise am weitesten wissenschaftlich untersucht sind. Der zugrunde liegende Wirkmechanismus beziehungsweise die Wirkung auf Mikroorganismen sowie etablierter Prüfmethoden zur antimikrobiellen Wirksamkeit stehen dabei im Vordergrund. Wo erforderlich, wird auf Beschichtungstechnologien aus Gründen der Vollständigkeit eingegangen. Die nachfolgenden Angaben bezüglich der Wirksamkeit können nur als orientierend angesehen werden, da eine valide realitäts­nahe Prüfmethode bislang nicht zur Verfügung steht.

Beschichtungen

Die Oberflächeneigenschaften wie Rauheit, Oberflächenenergie (z. B. Benetzbarkeit) und der Gehalt an Nährstoffen wie auch an toxischen Substanzen (z. B. Restmonomere) beeinflussen zum Teil sehr stark die Anhaftung (Adhäsion) der Bakterien und die damit mögliche einhergehende Ausbildung eines Biofilms (Abb. 1).

Abb. 1: Schematische Darstellung der Phasen während der Ausbildung eines Biofilms auf einer Substratoberfläche [5] (Bildquelle: VDI-Statusreport)

 

Bei passiven Beschichtungen wird unter ­anderem die Strategie verfolgt, durch eine maßgeschneiderte Oberflächenstrukturierung oder Funktionalisierung die Kontaktkraft zwischen Mikroorganismen und der ­Beschichtung zu reduzieren (Anti-­Adhäsion). Dadurch können Bakterien leicht von der Oberfläche entfernt werden, noch bevor sich ein Biofilm ausbilden kann. Darüber hinaus werden verschiedene Technologien gezielt miteinander kombiniert. So können beispielsweise in eine antiadhäsive Oberfläche Wirkstoff freisetzende Materialien eingebettet oder gezielt die Oberflächenenergie erniedrigt und die Polarität einer Oberfläche erhöht werden. Dadurch ist es möglich, die Benetzbarkeit und somit die Anhaftung von Bakterien deutlich zu reduzieren. Beispielsweise sind die bakteriellen Adhäsionskräfte auf ­einer nanostrukturierten, hydrophilen Aluminiumoberfläche um den Faktor 4 geringer, als im Vergleich zur elektropolierten Oberfläche desselben Materials [6].

Die Nanostrukturierung und Hydrophilierung von Oberflächen mittels Polystyrol-Nanofasern in Kombination mit einer Plasma­behandlung zur Aktivierung der Oberfläche resultiert in einer geringeren Anhaftung von Mikroorganismen [1].

Polymere Hydrogele (z. B. ­Polyacrylsäure (PAA), Polyethylenglykol (PEG)) bilden die Basis für eine Vielzahl an unterschiedlichen Modifikationen. Von Hydrogelen ­abgeleitete und mit Metall-Nanopartikeln, Metalloxid-
Nanopartikeln, Chitosan-Partikeln oder AMPs funktionalisierte Beschichtungen oder Materialverbünde weisen antimikrobielle Eigenschaften auf [7]. Die Einordnung in die Kategorie der passiven antimikrobiellen Wirkstoffe hängt von den intrinsischen Materialeigenschaften ab. Technisch werden funktionalisierte Hydrogele bereits als Membranen, Wirkstofftransportsysteme oder als Wundauflagen eingesetzt [7].

Zu den aktiven Materialien zählt jene Gruppe an Substanzen, bei denen der Wirkstoff an der Oberfläche der Substanz freigesetzt wird und dadurch an die Umgebung abgegeben werden kann. Die bekannteste Technologie basiert auf der Verwendung von metallbasierten (Nano-)Partikeln, die durch geeignete Beschichtungsverfahren auf einer Oberfläche appliziert oder in eine Oberfläche integriert werden. Freigesetzte Metall­ionen (z. B. Silber-, Kupfer- oder Zinkionen (Ag+, Cu2+, Zn2+)) stellen in diesem Fall den Wirkstoff dar. Bei partikulären Wirksubstanzen wird die ­antimikrobielle Aktivität maßgeblich von der Synthesemethode der Pulver und der daraus resultierenden Eigenschaften wie Partikelgröße, Form oder Partikelmorphologie sowie der von der Verarbeitungstechnologie abhängigen Einbringung der Partikel in die Oberfläche beeinflusst. Weiterführende Informationen zur Nutzung von Nanopartikeln finden sich unter anderem im VDI-Status­report zur Keimreduzierung im klinischen Umfeld [8].

Metallbasierte, partikuläre Stoffsysteme unterscheiden sich von monolithischen Metall­oberflächen. Der zugrunde liegende Wirkmechanismus ist zwar der gleiche wie bei den entsprechenden Metallpartikeln, jedoch verbraucht sich der Wirkstoff nicht über die Einsatzdauer. Für Metalloxide wie Titanoxid (TiO2), Zinkoxid (ZnO), Magnesiumoxid (MgO) oder den frühen Übergangsmetalloxiden wie Molybdänoxid (MoO3), Wolframoxid (WoO3) oder Zinkmolybdat (ZnMoO4) wird ebenfalls eine breite antimikrobielle Wirksamkeit berichtet [9]. Die Wirkmechanismen sind dabei jedoch zum Teil unterschiedlich und können beispielsweise auf eine fotokatalytische ­Aktivität der eingesetzten Substanzen und der daraus resultierenden Bildung von freien Radikalen oder der Erzeugung energiereicher Oberflächen zurückgeführt werden.

Eine weitere Gruppe innerhalb der anorganischen Substanzen sind Siliziumpolymere, zum Beispiel Polysiloxane. Analysen an mit quaternären Ammoniumsalzen modifizierten Block-Copolymeren zeigten eine antibakterielle Aktivität. Superhydrophobe Beschichtungen auf Basis von Siloxanen und Fluoro­siloxanen zeigen eine sehr geringe Adsorption der Proteinschicht und behindern dadurch effektiv die Ausbildung eines Biofilms [10].

Beschichtungen auf Basis von Kohlenstoff-
Nanoröhrchen (CNT), Graphenoxid (GO) oder diamond like carbon (DLC) zeigen eine antibakterielle Wirkung und eine geringe Zyto­toxizität. Aktuell wird noch untersucht, ob diese Materialien als kontaktaktiv oder Wirkstoff freisetzend einzustufen sind [1]. CNTs lassen sich zwar einfach in Polymere oder polymere Oberflächen einbinden, zeigen jedoch eine geringere antimikrobielle Aktivität als vergleichsweise Beschichtungen auf Basis von Graphenoxid. Auch lässt sich durch Kombination mit anderen antimikrobiell wirksamen Substanzen wie Chitosan, einer chemischen Modifikation von CNTs oder einer Erhöhung der Länge der Nanoröhrchen zusätzlich die Aktivität steigern [1].

Im Gegensatz zu den metallischen oder metalloxidischen (Nano-)Partikeln weisen organische (Nano-)Partikel eine geringere Temperaturstabilität auf und können daher nur bei spezifischen Beschichtungstechnologien Anwendung finden. Aufgrund der antimikrobiellen Eigenschaften dieser Materialklasse ist diese ebenfalls in den Fokus von Forschung und Entwicklung gerückt.

Das aus dem Exoskelett von Krustentieren oder den Zellwänden von Pilzen synthetisierte Polysaccharid Chitosan wird häufig in Form von Nanopartikeln in Oberflächen eingebracht und zeigt auch in Kombination mit anderen antimikrobiellen Substanzen eine breite antibakterielle, antivirale und fungizide Kontaktwirkung [11].

Quaternäre Ammoniumverbindungen (QAV) wie Benzalkonium- oder Cetrimoniumchlorid sind bekannte Desinfektionsmittel. Bei kontaktaktiven Beschichtungen kommen QAVs als auf der Oberfläche immobilisierte Moleküle zum Einsatz. Kontaktaktive Substanzen oder Beschichtungen zeichnen sich dadurch aus, dass erst nach Kontakt mit dem Organismus oder Virus die antimikrobielle Wirkung entfaltet und somit der Wirkstoff nicht ständig an der Oberfläche freigesetzt wird.

Eine Umsetzungshürde für diese Technologie besteht gegenwärtig noch darin, dass organische antimikrobielle Moleküle an Aktivität verlieren, sobald diese an eine Oberfläche gebunden sind. Um zu gewährleisten, dass die Moleküle die Außenhüllen der Bakterien, Pilze oder Viren erreichen können und sich keine sterische Hinderungsprobleme ergeben, werden diese entweder an eine flexible, kovalent gebundene Polymerkette (polymer brush) angedockt (Spacer-Effekt) oder direkt an Nanofasern angebunden, zum Beispiel Cellulose, CNTs oder Silika [1].

Hyperverzweigte Polyethylenimine (PEI) und Modifikationen (z. B. N-Alkylierung, Umsetzung von primären oder sekundären Aminen in tertiäre Amine oder über Metallnanopartikel) kommen ebenfalls auf verschiedenen organischen, anorganischen, natürlichen, synthetischen, monolithischen, porösen Oberflächen einschließlich kommerzieller Kunststoffe, Textilien und Glas zum Einsatz. Darüber hinaus haben Untersuchungen an bestimmten Materialkombinationen gezeigt, dass die Inaktivierung von pathogenen und antibiotikaresistenten Stämmen ohne Resistenzbildung erfolgt [11].

Hinweis

Im Weiteren werden im VDI-Statusreport die Wirkmechanismen antimikrobieller Substanzen behandelt sowie die rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen aufgeführt; in größerem Umfang wird auf die Bewertung praxisrelevanter Prüfverfahren für Hygienemaßnahmen eingegangen. Die empfehlenswerte Gesamtbroschüre kann kostenfrei (Stand: April 2020) beim VDI angefordert werden:
http://www.vdi.de/publikationen

Literatur (soweit diese im vorliegenden Auszug aus dem VDI-Statusreport genannt ist)

[1] C. Adlhart, J. Verran. N. F. Azevedo et al.: Surface modifications for antimicrobial effects in the healthcare setting: a critical overview; J Hosp Infect 2018, 99 (3): SS. 239–249, doi:10.1016/j.jhin.2018.01.018

[2] M. Ahonen, A. Kahru, A. Ivask et al.: Proactive Approach for Safe Use of Antimicrobial Coatings in Healthcare Settings: Opinion of the COST Action Network AMiCI; Int J Environ Res Public Health 2017, 14 (4), doi:10.3390/ijerph14040366

[3] I. Dreßler, X. Jin, H. Budelmann et al.: Zusammenhang von Adhäsion und Reinigung von Mikropartikeln auf strukturierten Oberflächen; Chemie Ingenieur Technik 2018; 90 (3), S. 386–392, doi:10.1002/cite.201600185

[4] C. Roth, W. Sunder, J. Holzhausen et al.: Bauliche Hygiene im Krankenhaus. Leitfaden zur baulichen Entwicklung von Krankenhäusern aus hygienischen Gesichtspunkten - vom Gebäude bis zum Detail; Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart, 2018, http://www.irbnet.de/daten/rswb/18049005621.pdf (abgerufen am 05.03.2020)

[5] Center for Biofilm Engineering, Montana State University; http://www.biofilm.montana.edu/multimedia/images/download.html?id=1093 (abgerufen am 05.03.2020)

[6] F. Hizal, N. Rungraeng, J. Lee et al.: Nanoengineered Superhydrophobic Surfaces of Aluminum with Extremely Low Bacterial Adhesivity; ACS Appl Mater Interfaces 2017, 9 (13), pp. 12118–12129, doi:10.1021/acsami.7b01322

[7] S. Li, S. Dong, W. Xu et al.: Antibacterial Hydrogels; Adv Sci (Weinh) 2018, 5 (5), 1700527, doi:10.1002/advs.201700527

[8] VDI-Statusreport: Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie; VDI-Fachausschuss 202; Düsseldorf, 2019

[9] C. Zollfrank, K. Gutbrod, P. Wechsler et al.: Antimicrobial activity of transition metal acid MoO(3) prevents microbial growth on material surfaces; Mater Sci Eng C Mater Biol Appl 2012, 32 (1), SS. 47–54, doi:10.1016/j.msec.2011.09.010

[10] C. P. Stallard, K. A. McDonnell, O. D. Onayemi et al.: Evaluation of protein adsorption on ­atmospheric plasma deposited coatings exhibiting superhydrophilic to superhydrophobic properties; Biointerphases 2012, 7 (1-4), 31, doi: 10.1007/s13758-012-0031-0

[11] N. Beyth, Y. Houri-Haddad, A. Domb, et al.: Alternative antimicrobial approach: nano-antimicrobial materials; Evid Based Complement Alternat Med 2015, 2015, 246012, doi:10.1155/2015/246012

[67] G. Grass, M. Hans, F. Mücklich et al.: Massive Kupferwerkstoffe in der Hygiene und Infektionsprävention; Hyg Med 2015, 40 (11), 458–463

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