Oberflächentechnik als Innovationstreiber für die Mikrosystemtechnik

Oberflächen 08. 04. 2021

Fachgruppe Oberflächentechnik als Expertennetzwerk der microTEC Südwest befasst sich mit den Messtechniken zur Stärkung der Innovationskraft

Der 2005 gegründete gemeinnützige Verein microTEC Südwest e. V. agiert als Kompetenz- und Kooperationsnetzwerk für intel­ligente Mikrosystemtechniklösungen. Der thematische Fokus liegt auf Gesundheit (Smart Health) und Produktion (Smart Production). Weitere Aktivitäten betreffen Themen wie Smart Home, Smart Energy oder das Internet der Dinge.

Die Mitglieder profitieren vor allem von ideellen Vorteilen: dem fachlichen Austausch im vertraulichen Kreis der Mitglieder, fundierten Informationen über aktuelle Themen und Trends, den entstehenden Kontakten und Kooperationen, Einblicken in Forschung, Entwicklung und Fertigung der Mitglieder sowie Sichtbarkeit für die Organisation und ihre Themen. Hinzu kommen Exklusivität bei der Mitwirkung an den Fachgruppen, verbunden mit dem Zugang zum geschützten Bereich der Fachgruppen im Internet mit Vorträgen und Informationen sowie der Einstellung eines Profils im Kompetenzatlas.

Eine dieser Fachgruppen, geleitet von Prof. Dr. Volker Bucher (Hochschule Furtwangen) und Dr. Günther Schmauz (acp systems AG) beschäftigt sich mit Oberflächenthemen in der Mikrosystemtechnik. In den regelmäßigen Treffen, derzeit Pandemie-bedingt auch online, werden unterschiedliche Messverfahren vorgestellt und über deren Einsatz diskutiert. Neben den Messtechniken wird das Augenmerk der Teilnehmer auf Bereiche wie Analytik/funktionale Eigenschaften/Werkstoffkunde, Funktionalisierung durch Modifikation, Beschichtungsverfahren sowie die Strukturierung mit Bezug zur Mikrosystemtechnik gerichtet.

In den unter der Leitung von Dr. Christine Neuy, Geschäftsführerin der microTEC Südwest, stehenden Veranstaltungen im November 2020 und im Februar 2021 wurden den Teilnehmern die Verfahren TOF-SIMS, SNMS, Weißlichtinterferometrie sowie die Reinigung von Oberflächen mittels CO2-Schnee näher gebracht; auch die Herstellung und die Eigenschaften von sogenannten programmierbaren Oberflächen standen auf der Agenda der informativen Veranstaltungen.

TOF-SIMS

Beim Cross-Beam TOF-SIMS, vorgestellt von Dr. Antonio Casares von der Carl Zeiss Microscopy GmbH handelt es sich um eine Kombination aus Elektronenmikroskop und Focus Ion Beam (FIB). Die Analyse der Elemente erfolgt bei TOF-SIMS aufgrund der Flugzeit zwischen Beschleunigungsquelle und Detektor; diese Flugzeit ist massenabhängig. Damit wird zum einen eine hohe Auflösung im Nano­meterbereich erzielt und zum anderen durch die Technologie des Focused Ion Beam ein Querschnitt in die Tiefe der Materialoberfläche von bis zu 1 mm erreicht. Ergänzend zu Standardaussagen wie der Materialzusammensetzung und der Materialverteilung innerhalb des untersuchten Werkstoffbereichs lassen sich zusätzlich Aussagen über die Elementverteilung oder den Reaktionszustand der untersuchten Materialien gewinnen. In Verbindung mit der hohen Präzision des Verfahrens ergeben sich hiermit deutlich mehr Informationen als bei sonst üblichen Ober­flächenanalysen.

TOF-SIMS erlaubt es, die Anreicherung von Chlor im Bereich der Korngrenze nachzuweisen (Bild: Zeiss)

 

Die Technologie wurde bei einer neuen Gerätefamilie durch die Sekundär-Ionen-Massen-Spektrometrie (SIMS) erweitert, wodurch auch Isotopenanalysen erfolgen können, wiederum auch als Mapping-Darstellung. Die laterale Auflösung erreicht Werte von etwa 50 nm. Die Gerätetechnik erlaubt beispielsweise, eine Fläche von 100 x 100 µm2 in einigen Minuten auf die chemische Zusammensetzung hin zu analysieren. Die Tiefenauflösung ist mit Lagen im Bereich von 30 nm sehr gut. Damit lassen sich beispielsweise Elementverteilungen in Korngrenzen ermitteln.

Analyse mittels SNMS

Karin Gerlach vom NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen stellte die SNMS als Methode zur Charakterisierung von Oberflächen vor. SNMS steht für Sekundärneutralteilchen-Massenspektrometrie; mit diesem Analyseverfahren lassen sich chemische Zusammensetzungen von Materialien, vorzugsweise Oberflächen, bestimmen. Die Tiefenauflösung liegt im Bereich weniger Atomlagen bei lateraler Auflösung im mm-Bereich. Die Ergebnisse lassen sich als Konzentrationsangaben darstellen. Bei der Analyse entstehen bis zu 90 % neutrale Teilchen, die für die weitere Analyse in unterschiedlicher Art bei Bedarf auch ionisiert werden können. Untersuchen lassen sich Materialien, die vakuumbeständig und temperaturbeständig bis 100 °C sind. Neben festen Proben können auch pulver­förmige Stoffe (in eingebettetem Zustand) analysiert werden.

Bei der Durchführung von Tiefenprofilen können bis zu 16 Massen gleichzeitig erfasst werden. Die Werte können in eine Konzentration über die Materialtiefe umgerechnet werden. Hierzu wird nach der Analyse der entstandene Krater vermessen und mit einer Abtragsrate verrechnet. Zu berücksichtigen ist, dass die Abtragsraten während der Analyse schwanken können. Neben den reinen Werkstoffen, zum Beispiel Wolfram in einem Schnellarbeitsstahl, sind auch Verbindungen wie Wolframcarbid detektierbar. Besonders interessant ist die Möglichkeit, Reaktionen aus einer Oberflächenbearbeitung, zum Beispiel eines Schleif- und Polierprozesses oder die Passivierung von Metallen, zu bestimmen.

Technologien zum Elementnachweis und der Ermittlung der Tiefenverteilung von Elementen (Bild: NMI)

 

Bei einem rostfreien Stahl nach einer Passivierung ist die Oxidschicht und die mit Chrom angereicherte Schicht erkennbar, woraus sich Informationen über die Qualität der Passivierung ableiten lassen (Bild: NMI)

 

Verfahren in der Produktionsumgebung

Optische Messverfahren eignen sich nach Aussage von Dr.-Ing. Özgür Tan, Polytec, sehr gut als Basis für die Steuerung der unterschiedlichsten Prozessverfahren, da mit diesen Verfahren Aussagen über Oberflächen erfasst werden und diese zu den wichtigen Eigenschaften der hergestellten Produkte zählen. Darüber hinaus lassen sich je nach Art der Messtechnik zusätzliche Kennwerte aus der Materialtiefe oder weiteren Produkt­eigenschaften wie Verschleiß indirekt erfassen. Zur Anwendung kommen beispielsweise Techniken wie Fokusvariation, Konfokale Messung oder die Weißlichtinterferometrie.

Grundprinzipien von optischen Messverfahren (Bild: VDI-Wissensforum/Polytec)

 

Die Weißlichtinterferometrie bietet den besonderen Vorteil einer sehr hohen Höhenauflösung bei gleichzeitig großer Messfläche. Als Kennwerte lassen sich unter anderem Form­abweichung, Ebenheit, Welligkeit, Parallelität, Stufenhöhe, Rauheit oder Verschleiß bestimmen, und dabei stets mit relativ hohen late­ralen Werten. Dies wurde am Beispiel der Rauheit mit Werten unter Ra 1 µm in der flächenhaften Darstellung aufgezeigt.

Dr. Tan zufolge ist es wichtig, sich der zahlreichen Einflussgrößen, wie Umwelt, Messmittel, Aufnahmevorrichtung, Mensch oder Mess­objekt, auf das Mess­ergebnis bewusst zu sein. Dies gilt besonders für das Messen in der Fertigung, das deutlich von den Bedingungen im Labor abweicht. Deshalb ist es erforderlich, ein Messsystem sorgfältig an die Integration in die Fertigungslinien anzupassen, sowohl in Bezug auf das Design eines Geräts als auch auf die Software oder die Bedienbarkeit. Schließlich sollte die Messtechnik so ­ausgestattet sein, dass flexibel auf Abweichungen bezüglich der zu vermessenden Werkstücke oder einer Variation der Prozessbedingungen reagiert werden kann. Hilfreich ist zudem die Möglichkeit eines bidirektionalen Austauschs der Daten eines Messgeräts mit anderen Messgeräten oder Produktionsanlagen.

An Beispielen zeigte Dr. Tan, welche unterschiedlichen Kennwerte an verschiedenen Bauteilen bestimmt werden können, beispielsweise die Formabweichung zusammen mit der Rauheit. Neu ist die Bestimmung der Fertigungsumgebung, wie Lärm, Vibration oder unkontrollierte Bewegungen, um ­diese, die Messung beeinflussenden, Kennwerte zu kompensieren und so die Vermessung der Oberfläche genauer gestalten zu können.

Vermessung von Oberflächenstrukturen am Beispiel einer diamantgedrehten Linsen-Array-Form (Bild: Polytec)

 

Programmierbare Oberflächen

In der Technik wird in der Regel mit Materialien gearbeitet, die bestehende Eigenschaften über eine lange Zeit ohne wesentliche Ände­rung behalten. In der Natur dagegen sind viele Werkstoffe und Oberflächen durch eine kurzfristige Änderung charakterisiert. Mit derartigen Fragestellungen befasst sich das neue livMatS (Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg beziehungsweise dem Cluster IPROM (Interaktive und Programmierbare Materialien), vorgestellt von Prof. Dr. Jürgen Rühe, IMTEK Institut für Mikrosystemtechnik. Werkstoffe und Werkstoffoberflächen benötigen für eine Änderung beziehungsweise Anpassung zunächst eine Stimulation; diese sollte unterschiedlich sein und unterschiedliche Reaktionen ermöglichen. Anwendungen für entsprechend stimulierte Werkstoffe werden zum Beispiel in der Architektur, der Medizin- oder Robotertechnik gesehen.

Aufgrund der Tatsache, dass ein Stimulus gezielt ausgeführt werden kann, wird von einem programmierbaren Material beziehungsweise einer programmierbaren Oberfläche gesprochen. Eigenschaften, die modifiziert werden können, sind beispielsweise Reibung, Elastizität oder Reflexion.

Startprojekte für den Einsatz von programmierbaren Werkstoffen (Bild: IMTEK)

 

Oberflächenstrukturen zur Veränderung der Benetzungseigenschaften (Bild: IMTEK)

 

Für die Entwicklung derartiger Stoffe wird die Arbeitsweise der Natur untersucht und geprüft, wie die Funktionen der Natur auf die Anwendung in der Technik übertragen werden können. Für Farben verwendet die Natur kaum Farbstoffe, sondern greift auf Interferenz zurück. Haftung wird in der Natur durch die Erzeugung von speziellen 3D-Strukturen erzielt, und kaum durch Erzeugung von speziellen Materialien. Für die technischen Umsetzung wird zum Beispiel die Beschichtung mittels SAM-Technologie genutzt.

Anpassungen finden dahingehend statt, dass unterschiedliche Werkstoffe ­unterschiedliche Oberflächenausführungen erforderlich machen. Vielversprechend für die ­Herstellung von verschiedensten Eigenschaften sind Multischichten unter Einsatz der ­neuartigen CHic-Chemie (C,H-insertion based crosslinking), die sich in nahezu alle denk­baren Arten verändern lassen. Eine mögliche Anwendung in der Praxis könnten Oberflächen mit Anti-ice-Beschichtung sein.

Trockene Feinstreinigung

Eine sehr effiziente und zugleich umweltfreundliche Reinigungsmethode für Oberflächen unterschiedlicher Art ist das Strahlen mit Kohlenstoffdioxidschnee, wie es von Dr. Günther Schmauz, acp Systems AG, präsentiert wurde. Die Funktion der Schneestrahlreinigung basiert auf folgenden Effekten: Impulsübertragung, schnelle Abkühlung, Lösemitteleffekt, Mikroexplosion.

Neben den besonderen Vorzügen beim Arbeits- und Umweltschutz überzeugt die Technologie aufgrund der rückstandsfreien Reinigung, einfachen Handhabung und ihrer guten Automatisierbarkeit.

Eingesetzt wird diese Technologie für das Reinigen von Kamerachips der Rückfahrkamera für Fahrzeuge, bei Leiterplatten nach dem Löten oder Bondpads vor dem Kontaktieren, wobei Partikel bis 1 µm zuverlässig entfernt werden. Die Verschmutzungen gelangen beim Abreinigen in die Umgebungsluft, die anschließend gereinigt wird. Die Technologie kann in verschiedensten Stufen automatisiert werden. Wichtig ist bei der Reinigung von größeren Teilen das Vermeiden der Kondensation von Luftfeuchtigkeit; erzielt wird dies durch nachträgliches Abblasen mit trockener, warmer Luft.

Optische Oberflächenmesstechnik

Das Institut für Lasertechnologien in der Medizin und Meßtechnik an der ­Universität Ulm (ILM) forscht in ausgewählten Bereichen der Photonik/Optik und transferiert die erarbeiteten Technologien in die ­industrielle und medizinische Praxis. Dabei befasst es sich unter anderem mit der Anwendungsentwick­lung von optischen Oberflächenmesstechniken. Eines dieser Messverfahren ist die chromatische konfokale Messung mittels Punktsensor, die Dr. Daniel Claus näher erläuterte. Hierbei wird der Messbereich variiert, je nach Farblängsfehler. Zur Anwendung kommt diese Technologie zum Beispiel bei der Rauheitsmessung von Blechbändern, die sich bei der Messung mit 30 km/h bewegen. Die Auflösung liegt hier bei unter 1 µm. Eine weitere Anwendung ist die Topographievermessung einer asphaltierten Straßenoberfläche bei einer Fahrgeschwindigkeit von bis zu 60 km/h.

Mittels der sogenannten Snap-shot Multi­punkt chromatisch-konfokalen Messung werden zum Beispiel Oberflächen von Zähnen zur Zahnrestauration oder zur Behebung von Zahnfehlstellungen vermessen. Die Technologie zeichnet sich durch eine hohe Messgeschwindigkeit aus. So wird innerhalb von etwa 100 s ein Gebiss mit 32 Zähnen bei einer Präzision von etwa 4 µm vollständig vermessen. Eine weitere Anwendung ist die Bestimmung von Schweißnähnten in kleinen Kavitäten. In einem Projekt mit BMW und Zeiss wurde ein Roboter entwickelt, der sich selbstständig ausrichtet, um beispielsweise die Oberflächen von gesamten Fahrzeugen zu vermessen.

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