Substitution von chrom(VI)basierten, funktionalen Beschichtungsprozessen

Oberflächen 07. 11. 2021

– Gemeinsame Entwicklung von Strategien und Lösungen

Von Dr. Uwe König, Berthold Seßler, Ernst-Udo Sievers (eiffo); Matthias Enseling, Marita Voss-Hageleit (VECCO);
Christian Herzog (AOT), Arjan de Bruin, Egbert Stremmelaar (V.ION)

Am 1. Juli 2021 ist das Netzwerk vecco:net mit 35 teilnehmenden Unternehmen und Forschungseinrichtungen sowie einer maßgeblichen Förderung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie an den Start gegangen. Das Unternehmensnetzwerk bietet eine Plattform für betroffene Unternehmen, um Strategien und Lösungen zur Substitution von Prozessen auf der Basis von Chrom(VI)verbindungen in der Hartverchromung und anderen funktionalen Beschichtungen im Verbund zu entwickeln und zur Anwendungsreife zu bringen. Gegründet wurde vecco:net als eine Initiative des Vecco e.V. und der eiffo eG zusammen mit dem Verband der niederländischen Oberflächentechnik Vereniging ION und der österreichischen AOT. Den Aufbau und das Management des Netzwerks sowie die Unterstützung der Unternehmen bei der Umsetzung von Maßnahmen hat eiffo gemeinsam mit Innovat.ION übernommen.

1 Motivation und Entwicklungskonzept

In einer gemeinsamen Initiative wollen die Verbände AOT [1], ION [2] und VECCO [3] zusammen mit der eiffo eG und Innovat.ION unter dem Namen vecco:net eine europäischen Innovationsplattform für nachhaltige Beschichtungstechnologien aufbauen. Damit soll eine Basis geschaffen werden, um insbesondere die Mitgliedsunternehmen der drei Verbände bei der Entwicklung und Umsetzung von Substitutionsmaßnahmen für Chrom(VI) und andere SVHC-Stoffe gemäß der europäischen Chemikalienverordnung (REACh) nachhaltig zu unterstützen. Die gemeinsame Innovationsplattform soll dabei auch für weitere Unternehmen und Verbände offen sein.

Das Konzept von vecco:net sieht vor, Forschung und Entwicklung für sichere Beschichtungstechnologien, die ohne den Einsatz gesundheits- und umweltschädlicher Chemikalien auskommen, mit der Anwendung moderner Informations- und Datentechnologien entsprechend dem Konzept der Industrie 4.0 zu kombinieren. Dahinter steht die Vision, die notwendige Entwicklung zur Vermeidung schädlicher Stoffe mit einer Weiterentwicklung der Produktqualität, Prozesseffizienz und Nachhaltigkeit für langfristig wettbewerbs-
fähige Lieferketten zu verknüpfen.

Das Konzept orientiert sich dabei an der Strategie des European Green Deal, mit der die Europäische Union bis zum Jahr 2050 eine nachhaltige, klimaneutrale Kreislaufwirtschaft schaffen will. Das Konzept adressiert gleichermaßen die wichtigen Marktanforderungen und Entwicklungstrends, welche auf die stark mittelständisch geprägte Branche der industriellen Oberflächentechnik massiv einwirken. Die stetige Verschärfung der Umweltgesetzgebung, die Dringlichkeit, die Ressourceneffizienz angesichts des Klimawandels und der Knappheit kritischer Materialien zu erhöhen, sowie die stetig wachsenden Forderungen der Kunden nach kostengünstigeren und gleichzeitig auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnittenen Beschichtungslösungen stellen insgesamt einen sehr komplexen Innovationsdruck für die Unternehmen dar. Die Lösung dieses Knotens erfordert auf breiter Front neue, intelligentere und flexiblere Fertigungslösungen für die metallische Funktionsbeschichtung, die insgesamt zu einem erheblichen technologischen Umbruch führen werden und deren Entwicklung nur in einem gemeinsamen Vorgehen der Unternehmen realisierbar ist.

Mit der Umsetzung der europäischen REACh-Richtlinie in der Oberflächentechnik ist die Substitution von chrom(VI)basierten Beschichtungstechnologien – und die notwendige Forschung, Entwicklung und Innovation für eine solche Substitution – zu einer Priorität für zukünftige Maßnahmen geworden (hierüber wurde in der Fachzeitschrift WOMag regelmäßig berichtet). Mit vecco:net werden die Initiatoren nun die betroffenen Unternehmen in diesem Substitutionsprozess konkret unterstützen.

Die Substitution von chrom(VI)basierten Beschichtungstechnologien wird dabei nicht durch einen einfachen Austausch einer Fertigungstechnik durch eine andere möglich sein, wie etwa der Austausch einer mechanischen Bohrmaschine durch ein Laserbohrsystem. Stattdessen werden oft zum Teil erhebliche Innovationen auch in der jeweils betroffenen Lieferkette erforderlich.

Grund dafür ist, dass für das Erreichen der geforderten Qualitätsziele die produktseitigen Spezifikationen, Materialparameter des Grundmaterials (z.B. Stahl) und Prozessparameter der Oberflächenveredelung (z.B. Hartverchromung) meist kritisch voneinander abhängig sind. So können mikroskopische Veränderungen der Materialqualitäten von Grundmetallen, die beispielsweise durch eine Änderung der Produktionstechniken des Grundmetalls induziert werden, die Haftung und Korrosionsbeständigkeit der Beschichtung erheblich reduzieren und zu kritischem Produktversagen führen. Im Umgang mit solchen Abhängigkeiten entwickeln Partner einer Lieferkette meist umfangreiches implizites Wissen, um alle erforderlichen Spezifikationen zu erfüllen und die Gesamteffizienz zu optimieren.

Deshalb ist ein wichtiger Grundsatz im Konzept von vecco:net, Substitutionsmaßnahmen nach Möglichkeit so zu entwickeln und zu gestalten, dass etablierte Lieferkettenstrukturen, Geschäftsprozesse und Partner in der Lieferkette so weit wie möglich beibehalten werden können. Dies trägt wesentlich zur Reduzierung von Komplexität und Kosten der Technologiesubstitution bei.

2 Umsetzung der Initiative

Die Umsetzung dieses Konzepts erfolgt in dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Rahmen des ZIM-Programms [4] geförderten Innovationsnetzwerk unter der Bezeichnung vecco:net [5]. Aktuell gefördert wird zunächst eine 18-monatige Anlaufphase (Phase 1); eine Fortsetzung der Förderung um bis zu drei weitere Jahre (Phase 2) ist geplant (Abb. 1).

Abb. 1: vecco:net im Überblick

 

25 Unternehmen und 10 Forschungseinrichtungen haben sich vecco:net zumeist vom Start weg angeschlossen. Das Management hat federführend die eiffo eG übernommen, zusammen mit Stichting Innovat.ION, der Innovationsagentur des niederländischen Branchenverbands ION.

Die Kernelemente der gemeinsamen Arbeit im vecco:net sind die Evaluation vorhandener Technologien und Lösungen, die Entwicklung von innovativen Technologien bis zur Anwendungsreife und die Überführung in die industrielle Nutzung, woran wiederum die Evaluation dieser Anwendung anschließt. Dieser Prozess ist in Abbildung 2 dargestellt.

Abb. 2: Umsetzung der anstehenden Aufgaben im Netzwerk (Bild: Vecco e.V.)

 

Die Aufgaben von vecco:net umfassen dabei:

  • Erstellen einer gemeinsamen Roadmap für die Entwicklung und Implementierung von Substitutionstechnologien, basierend auf Anforderungen, die von den Mitgliedern und/oder ihren Kunden benannt wurden.
  • Initiieren und Ausarbeiten gemeinsamer FuE-Projekte und weiterer geeigneter Maßnahmen zur Umsetzung der Substitution.
  • Einbeziehen von Kunden und Endnutzern in die Netzwerkinitiative im Hinblick auf mögliche gemeinsame technologische Entwicklungen.
  • Einsetzen eines internationalen Sachverständigenausschusses, der über das Fachwissen verfügt, um die Substitutionen, die in den nächsten Jahren entstehen werden, neutral und professionell zu bewerten, und dessen Fachwissen von den wichtigen Stakeholdern (Behörden, Marktführer, Kunden) anerkannt wird.
  • Abstimmen einer Methodik zur Bewertung von Technologien und Risiken unter Nutzung datenbasierter Analyseverfahren und Softwaretools.

Für die 18-monatige Anlaufphase ist ein detailliert ausgearbeiteter Arbeitsplan zur Umsetzung dieser Aufgaben erstellt worden (Tab. 1).

Der Arbeitsplan wird vom Netzwerkmanagement in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern umgesetzt. Dabei sind zwei unterschiedliche Arbeitsebenen zu unterscheiden:

  • Netzwerkebene oder Strategieebene
    Auf der Netzwerkebene tragen die Netzwerkmitglieder zunächst ihre technischen Anforderungen und ihre Markt- und Technologiekenntnisse bei. Darauf aufbauend wird die Netzwerkstrategie mit dem Kernelement der gemeinsamen F&E-Roadmap entwickelt
  • Projektebene oder praktische Ebene
    Auf der Projektebene wirken die Mitglieder in der Umsetzung der F&E-Roadmap je nach ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten aktiv in konkreten Entwicklungsprojekten mit. Die Projektplanung und die Durchführung der Projekte werden dabei vom Netzwerkmanagement maßgeblich unterstützt. Falls zusätzliche technologische Kompetenzen erforderlich sind, werden externe Partner wie Forschungseinrichtungen, Technologielieferanten etc. eingebunden.

    3 Technologiefokus

Die im vecco:net geplante Technologieentwicklung gliedert sich in drei wesentliche Handlungsfelder Prozesse, Werkstoffe und Digitalisierung.

3.1 Handlungsfeld 1 - Prozesse

Kernpunkt des Handlungsfeldes Prozesse sind die Entwicklung neuer Beschichtungstechnologien und -anlagen im Bereich der elektrochemischen Abscheidung sowie deren Kombination mit physikalischen Verfahren. Im Fokus stehen besonders folgende Maßnahmen:

  • Entwicklung chrom(III)basierter funktioneller Verchromungsprozesse zur Anwendungsreife, zum Beispiel ausgehend von einem besseren Verständnis der Prozesskinetik der elektrochemischen Abscheidung und des Schichtaufbaus.
  • Weiterentwicklung physikalischer Beschichtungsverfahren als Ersatz für Hartchrom, zum Beispiel das Laserauftragsschweißen mit Ausweitung der Anwendungen und Einsatzwerkstoffe.
  • Kombination von elektrochemischer Beschichtung mit physikalischen Verfahren wie zum Beispiel PVD/CVD.

Ein breiter Entwicklungsansatz ist erforderlich, weil keine einzelne Alternativtechnologie das breite Eigenschaftsprofil der funktionellen Verchromung aus sechswertigen Elektrolyten 1:1 zu ersetzen vermag [6, 7]. Daher sind ausgehend von den jeweils geforderten Produkteigenschaften jeweils spezifische Lösungen zu entwickeln, die für eine bestimmte Produktklasse mit ähnlichen Eigenschaften alle technischen und wirtschaftlichen Anforderungen erfüllen.

3.2 Handlungsfeld 2 - Werkstoffe

Im Fokus stehen neue und weiterentwickelte Werkstoffe für Beschichtungen. Jedoch spielen bei der Entwicklung von Lösungen auch die verwendeten Substratwerkstoffe eine besondere Rolle; kritisch ist hier vor allem das Zusammenspiel zwischen Substratwerkstoff und Schichtmaterial. Weiterentwicklungen der Beschichtungen, wie zum Beispiel eine Dispersionsabscheidung mit der Integration von Nanopartikeln in die Schicht erfordern ein hohes Verständnis der Grenzflächenphänomene im Zusammenwirken von Grundmaterial, Vorbehandlung und Beschichtungen. Die Absicherung der Prozesse erfordert zudem analytische Verfahren für die Bestimmung der Werkstoffeigenschaften, insbesondere der Mikrostruktur der Schichten, sowie zur prozessbegleitenden Bestimmung der Verfahrenskomponenten in den Lösungen.

3.3 Handlungsfeld 3 - Digitaliserung

Sowohl die Entwicklung selbst als auch die neuen Fertigungsprozesse für metallische Funktionsbeschichtungen bedürfen neuer, intelligenter und datenbasierter Methoden und Verfahren, um die Komplexität der Anforderungen beherrschen zu können. Folgende Aspekte sind dabei wichtig:

  • Digitalisierung der Materialdaten und datengetriebene Werkstoffentwicklung als grundlegendes Werkzeug zur Weiterentwicklung von Werkstoffen und Prozessen
  • Datenbasierte analytische Verfahren (Big-data-Ansatz) zur Bestimmung von Werkstoffeigenschaften und für die Onlineanalytik zur Überwachung der Fertigungsprozesse
  • Datentechnische Vernetzung der Betriebs- und Produktionsprozesse innerbetrieblich und in der Lieferkette zur Erhöhung von Prozesseffizienz, Flexibilität und Transparenz
  • Abbildung der Produktionsprozesse als
    digitaler Zwilling zur Simulation gestützten Prozesssteuerung und Prozessüberwachung einschl. Risikoüberwachung
  • Methoden zur Bewertung der innovativen Prozesse im Hinblick auf Life-Cycle-Performanz und Risikobewertung

    3.4 Technische Arbeitsgruppen

Die Ausarbeitung der konkreten Themen und Entwicklungsprojekte, die in der F&E-Roadmap festgeschrieben werden, erfolgt in technischen Arbeitsgruppen (T.AG). Auf Basis der in den T.AG-Sitzungen geführten Diskussionen werden in Abstimmung und mit Beiträgen der beteiligten F&E-Institute, Technologielieferanten und -anwendern die Themen der Roadmap technisch ausgearbeitet und der individuelle Entwicklungsbedarf der erforderlichen Maßnahmen festgelegt. Dies kann zum Beispiel Technologiebewertungen, Machbarkeitsstudien, Durchführung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten, Technologie- und Anwendungsentwicklung oder die industrielle Erprobung einer entwickelten Technologie umfassen.

Das Netzwerkmanagement moderiert die T.AG, bereitet die Arbeitssitzungen vor und koordiniert die Arbeitsgruppen untereinander. In den ersten vier Monaten seit Beginn der Netzwerkarbeit haben sich drei Technische Arbeitsgruppen konstituiert zu den Themen

  • T.AG 1
    Entwicklung chrom(III)basierter funktioneller Verchromungsprozesse zur Anwendungsreife
  • T.AG 2
    Anwendungspotenzial von PVD/CVD-Verfahren in der metallischen Funktionsbeschichtung
  • T.AG 3
    Anwendungspotenzial für das Laserauftragsschweißen in der metallischen Funktionsbeschichtung

In Webinaren wurden detaillierte Anforderungen erhoben sowie erste Ansätze für Technologieentwicklungen präsentiert und diskutiert.

 

3.5 Offene Plattform

Wie eingangs bereits erwähnt, ist vecco:net als eine offene und wachsende Innovationsplattform konzipiert, der sich weitere interessierte Unternehmen der Oberflächentechnik, Forschungsinstitute und auch Verbände anschließen können. Die Teilnahme erfordert den Abschluss einer Kooperations- und Vertraulichkeitsvereinbarung und für Unternehmen und andere wirtschaftlich tätige Organisationen einen Mitgliedsbeitrag.

Interessenten können sich für weitere Informationen an das Netzwerkmanagement der eiffo eG, Innovat.ION oder an einen der mitwirkenden Verbände wenden.

Qellen

[1] Arbeitsgemeinschaft Oberflächentechnik (AOT) in der Wirtschaftskammer Österreich; Branchenvertretung für die österreichische Oberflächentechnik, Wien; www.arge-ot.at

[2] Vereniging Industrieel Oppervlaktebehandelend Nederland (Vereniging ION), Branchenvertretung der niederländischen Oberflächentechnik; https://vereniging-ion.nl/

[3] VECCO Verein zur Wahrung von Einsatz und Nutzung von Chromtrioxid und anderen Chemikalien in der Oberflächentechnik e.V.; Arnsberg-Hüsten; www.vecco.de

[4] ZIM Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand

[5] Netzwerk „Neue Technologien für metallische Funktionsbeschichtungen [vecco:net]“

[6] Dr. Andreas Müller et. al.: Survey on technical and economic feasibility of the available alternatives for chromium trioxide on the market ...; Studie im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführt von chromgruen Planungs- und Beratungs- GmbH & Co. KG und VDI Technologiezentrum; Dortmund 2020

[7] M. Hekli, M. Mader: Grenzen der Alternativtechnologien zur Hartverchromung aus sechswertigen Elektrolyten; WOMag 06/2020; https://www.wotech-technical-media.de/womag/ausgabe/2020/06/11_hekli_reach_06j2020/11_hekli_reach_06j2020.php

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