Forschen, entwickeln, messen – 

Werkstoffe 05. 09. 2022

100 Jahre innovative Arbeit in den Bereichen Materialwissenschaft und Oberflächen

Das vor 100 Jahren gegründete Forschungsinstitut Edelmetalle und Metallchemie (fem) in Schwäbisch Gmünd vereint Tradition und Innovation

Aus der Erkenntnis heraus geboren, dass eine erfolgreiche Industrie und ein erfolgreiches Handwerk auf einer aktiven Forschungsarbeit mit starkem Praxisbezug beruhen, wurde 1922 in Schwäbisch Gmünd das Forschungsinstitut und Probieramt für Edelmetalle gegründet. Die Gründung fiel in eine Zeit, als die Edelmetallindustrie in Schwäbisch Gmünd mit großen materiellen und finanziellen Belastungen zu kämpfen hatte und dringend auf Unterstützung seitens der Wissenschaft angewiesen war. Dass die Gründungsväter mit ihren Ansichten goldrichtig gelegen haben, bestätigt die lange Erfolgsgeschichte des heutigen fem Forschungsinstitut Edelmetalle + Metallchemie, das in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiern kann.

Die überaus positive Entwicklung als weltweit einziges, unabhängiges Institut für Edelmetallforschung beruht nicht zuletzt auch auf den namhaften Persönlichkeiten, die das Institut über die Jahrzehnte führten, wie Prof. Dr. Ernst Raub und sein Sohn, Prof. Dr. Christoph J. Raub. 1995 übernahm Dr. Andreas Zielonka gemeinsam mit Dr. Hermann Jehn die Leitung, seit 2001 ist Zielonka alleiniger Institutsleiter. Im Gespräch mit der Redak­tion der WOMag gab er einen Einblick in die Arbeit des fem, schilderte den Wandel bei den Arbeitsschwerpunkten und skizzierte die nahe Zukunft des Instituts.

Entwicklungen für die Industrie

Ziel der am fem betriebenen Forschung auf den Gebieten der Materialwissenschaft und Oberflächentechnik war und ist es, zukunftsweisende Lösungen für die Industrie zu entwickeln. Zu diesem Zweck werden sämtliche Fragestellungen der Material- und Oberflächentechnik rund um den Werkstoff Metall bearbeitet.

Die Gründer des fem sahen die Aufgabe des Instituts in der Unterstützung der ­örtlichen Industrie in allen Fragen der Untersuchung und Bearbeitung von edlen und unedlen Metallen. 1926 wurde das Institut um die Abteilung Galvanotechnik und Metallfärbung erweitert. Rückblickend eine richtungsweisende Entscheidung, gehört doch die Galva­notechnik bis heute zu den zentralen Forschungsgebieten des fem und verleiht ihm damit nahezu ein weltweites Alleinstellungsmerkmal; Spezialgebiete des Instituts sind Edelmetalle und die galvanische Oberflächenveredlung. Weitere Schwerpunkte bilden die Bereiche Korrosion, Analytik, Leichtmetalle und Lackbeschichtungen, physikalische Beschichtungsverfahren und Materialphysik sowie Material- und Schichtcharakterisierung.

Über viele Jahre hinweg standen die Verfahren der klassischen Galvanotechnik im Vordergrund der Arbeiten, insbesondere Schichten für den Korrosionsschutz auf Basis von Zink und Zinklegierungen oder Kombinationsschichten mit Nickel und Chrom. Anwendung finden die Schichten vor allem im Automobilbereich sowie dem Anlagen- und Maschinenbau. Des Weiteren nahm der Bedarf an Schichten für die Elektrotechnik und Elektronik zu, für die nach wie vor hauptsächlich Kupfer und Edelmetalle eingesetzt werden und bei denen die Schichtdicken, nicht zuletzt aus Kostengründen, stetig geringer wurden. Dabei mussten und müssen diese Schichten neben den elektrischen Eigenschaften auch eine gute Verschleißbeständigkeit aufweisen.

 

Strategien für die Zukunft

Wie Dr. Zielonka ausführt, rücken aktuell Werkstoffe und Beschichtungen für den Einsatz in der Katalyse, der Wasserstofftechnologie sowie für Brennstoffzellen in den Vordergrund. Bereits 2017 war für die Leitung des Forschungsinstituts ersichtlich, dass sich ein erheblicher Wandel der Arbeitsfelder vollzieht. Daraus folgend wurden im Rahmen von institutsinternen Workshops Strategien für die kommenden Jahre erarbeitet.

Unter dem Schwerpunkt einer digitalisierten Prozesstechnik wurden vor allem die weitreichenden Vorteile der additiven Fertigung gesehen. Hier spielt unter anderem das selektive Laserschmelzen eine wichtige Rolle. Durch die Investition in einen sogenannten Atomizer für kleine Materialmengen lassen sich neue Werkstoffkombinationen als Pulver gewinnen, die wiederum die Basis zur Qualifi­zierung neuer Materialien darstellen. Ein hoher Bedarf wird den Überlegungen der Arbeitsgruppen am fem zufolge zum Beispiel bei Materialien mit hohem Kupferanteil gesehen. Aus den neuen Werkstoffen hergestellte 3D-Bauteile werden sowohl mechanischen Belastungen unterzogen als auch durch mechanische Bearbeitung oder Beschichtung bezüglich Eigenschaften und Erscheinungs­bild verbessert. Hierfür stehen neben den Laseranlagen für das Schmelzen auch Untersuchungsapparaturen wie der Hochtemperaturtribometer zur Verfügung.

Zu den derzeit wichtigsten Entwicklungs­bereichen zählt die Batterieforschung, genauer gesagt die Entwicklung von wiederaufladbaren Akkumulatoren. Besonders erfreut zeigt sich Dr. Zielonka, dass seit der Erarbeitung des internen Strategiepapiers hier unter der Leitung von Dr. Seniz Sörgel eine sehr kompetente und aktive neue Abteilung Elektrochemische Energiesysteme (EES) aufgebaut werden konnte. Mit Dr. Seniz Sörgel und ihrem Stellvertreter Dr. Reinhard Böck arbeiten sieben Forscherinnen und Forscher an neuen Materialien, Beschichtungen und Prozessen für die Schlüsseltechnologien Batterien und Wasserstoff. Im Vordergrund stehen aktuell Systeme auf Lithiumbasis (z. B. Lithium-Schwefel) unter Verwendung unterschiedlicher Elektrolytsysteme. Unterstützt werden diese Arbeiten durch neuartige elektrochemische Abscheideverfahren, um die notwendigen großen Elektrodenflächen bei gleichzeitig guten elektrischen Eigenschaften erzeugen zu können. Die ebenfalls erheblich erweiterte Abteilung Elektrochemie unter Leitung von Dr. Heidi Willig leistet die notwendigen Entwicklungsarbeiten. Für diese beiden Bereiche erfolgten in den letzten Jahren umfangreiche Investitionen in Herstellungs- und Prüfeinrichtungen. So bietet eine hundertjährige Erfahrung im Bereich Elek­trochemie, erweitert durch eine hervorragende Labor- und Geräteausstattung sowie viel Know-how im Team beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeit auch in der Zukunft.

Ein weiterer Bereich, dessen Aktualität stetig zunimmt, ist die Rohstoff- und Ressourceneffizienz. Wie Dr. Zielonka erläutert, ist ein Ansatz zur Verbesserung der Rohstoff- und Ressourceneffizienz die Verfeinerung der bestehenden Verwertungsstrukturen, beispielsweise durch eine genaue Betrachtung der Prozesskette und die Erfassung von Stoffen, die bisher aufgrund geringer Konzentrationen unbeachtet geblieben sind. Hierzu zählen aktuell vor allem die Seltenen Erden. Ein weiterer Ansatz zielt auf die Substitution von Legierungselementen, um so hochwertige und seltene Metalle nur dort einzusetzen, wo diese unabdingbar sind.

Der beim fem schon seit vielen Jahren aktive Bereich des Leichtbaus, insbesondere im Hinblick auf den Werkstoff Aluminium, legt seinen Schwerpunkt auf neue Prüfkonzepte für einen optimalen Einsatz von Leichtbauwerkstoffen sowie auf die Entwicklung von optimierten und intelligenten Oberflächen. Als intelligente Oberflächen werden in diesem Zusammenhang beispielsweise Oberflächen mit photokatalytischen Eigenschaften zum Abbau von Stickoxiden oder solche mit erhöhten Verschleißeigenschaften verstanden. Dazu eignen sich zum Beispiel Nanopartikel, die in die poröse Oberfläche von anodisch erzeugtem Aluminiumoxid eingelagert werden.

Institutserweiterung und neue Leitung

Die aktuellen Entwicklungen in Politik und Wirtschaft bestätigen, dass das Forschungsinstitut mit seinen Schwerpunkten die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Darüber hinaus ist es der Leitung des fem gelungen, die notwendigen Mittel zu einer deutlichen Erweiterung des Standorts in Schwäbisch Gmünd zu erhalten. Mit dem Neubauvorhaben Innovationslabor K15 auf einem angrenzenden Grundstück werden dem Institut neben den aktuell etwa 8000 Quadratmetern weitere etwa 4500 Quadratmeter nutzbare Fläche für Labors, einen großzügigen Konferenzraum sowie Catering und Sozialeinrichtungen zur Verfügung stehen. Verbunden mit der räumlichen Vergrößerung ist die Erweiterung der Fachbereiche und die Aufstockung des Personals um etwa 50 ­Arbeitsplätze. Im Innovationslabor K15 werden künftig die Forschungsaktivitäten im Bereich der Wasserstofftechnologie (Elektrolyse, Brennstoffzellen und Speichersysteme) sowie der Post-Lithiumionenbatterien intensiviert und die Grundlagen und praktischen Anwendungsmöglichkeiten der digitalen Prozesstechnik erforscht und weiterentwickelt. Der Spatenstich für das Projekt mit einem Umfang von 14 Millionen Euro, finanziert aus Mitteln der EU, war am 9. Mai 2022. Die Fertigstellung wird bis zur Jahresmitte 2023 erwartet, wie Dr. Zielonka mitteilt.

Erweiterungsbau des fem, wie er aktuelle im Entstehen und bis Ende 2023 fertiggestellt ist

 

Eine weitere Neuerung ist der Wechsel der Institutsleitung: Nach 28 Jahren als Leiter des Instituts beendet Dr. Andreas Zielonka seine berufliche Tätigkeit zum 31. Dezember 2022. Nachfolger wird Prof. Dr. Holger Kaßner von der Hochschule Aschaffenburg, der mit Wirkung zum 1. Juni 2022 bereits stellvertretender Institutsleiter ist. Dr. Zielonka übergibt das Institut gut aufgestellt, insbesondere im Hinblick auf die Auslastung durch öffentlich geförderte Projekte; hier sieht Zielonka allerdings das Aussetzen der ZIM-Projekte als besonders nachteilig für die Forschungslandschaft. Herausforderungen ergeben sich ihm zufolge auch bei der Gewinnung von technischem Personal für die anfallenden Arbeiten eines Instituts, wogegen bei der Besetzung der Stellen für den wissenschaftlichen Bereich aktuell keine Schwierigkeiten herrschten. In diesem Zusammenhang weist er auch darauf hin, dass nach seiner Ansicht bei den Nachwuchskräften mehr Wert auf eine allgemeine Ausbildung gelegt werden sollte und dafür die heute vorherrschenden Spezialisierungen und die damit verbundene Unterteilung bei den wissenschaftlichen Ausbildungen zurückgenommen werden sollte.

Dr. Andreas Zielonka (r.) und Prof. Dr. Holger Kaßner

 

Nach den renommierten und über viele Jahre tätigen wissenschaftlichen Koryphäen Prof. Dr. Ernst Raub, Prof. Dr. Christoph Raub und Dr. Hermann Jehn hat Dr. Andreas Zielonka das Ansehen und Renommee des fem Forschungsinstitut Edelmetalle + Metallchemie bestens erhalten und durch richtungsweisende Investitionen noch weiter ausgebaut. Für die Fachwelt und die Industrie ist es wünschenswert und wichtig, diese Arbeit auch in den nächsten Jahren in gleichem Maße fortzusetzen – die Voraussetzungen dafür sind gegeben.

Die Redaktion der WOMag bedankt sich an dieser Stelle für das ausführliche Gespräch und wünscht der bisherigen und der neuen Institutsleitung alles Gute.

(Bilder: fem, Schwäbisch Gmünd)

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