Festkörperschmierung für Hochdruckanwendungen

Werkstoffe 07. 12. 2022
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Öl als Schmiermittel ist altbekannt – weniger alltäglich dagegen ist der Festkörperschmierstoff Graphit. Zwar kommt er bei niedrigen Anpressdrücken zum Einsatz, jedoch waren die auftretenden Effekte bisher nur bedingt verstanden. Insbesondere war unklar, ob sich dieses Schmiermittel auch bei hohen Anpressdrücken, etwa in Wälzlagern, einsetzen lässt. Forschende konnten das gängige Reibungsmodell zur Erklärung der Wirkungsweise nun erweitern. Im Journal Nature Communications veröffentlichten sie ihre Ergebnisse und erklären, wieso diese der Graphitschmierung künftig einen Weg in die Hochdruckanwendungen eröffnen.

Sei es der Motor im Auto, sei es die Fahrradkette: Viele Getriebe, Lager, Ketten und Co. werden mittels Öl geschmiert, damit Reibung und Verschleiß möglichst gering sind. Doch nicht überall ist Öl das Mittel der Wahl: Harsche Umgebungsbedingungen, hohe Temperaturen und mitunter auch die Lebensmittel­verarbeitung erfordern Festschmierstoffe. Eine bereits recht lange bekannte Möglichkeit dazu bietet die Graphitschmierung. Mag sich der Schlüssel im Schloss nicht mehr drehen, wird Graphit ebenso eingesetzt wie in Generatoren und Flugzeugen. Eines jedoch ist all den Anwendungen gemein: Es handelt sich um Reibvorgänge, bei denen nur niedrige Anpressdrücke herrschen.

Hohen Drücken auf der Spur…

Die Frage ist daher, wie sich die Graphitschmierung bei hohen Anpressdrücken von mehreren Gigapascal, wie sie etwa im Wälzlager auftreten, verhält. Diese Frage stellten sich Forscher des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg gemeinsam mit dem ­Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Zudem untersuchten sie, welche Rolle die Luftfeuchtigkeit bei der Graphitschmierung spielt: Denn bei zu geringer Luftfeuchte funktioniert die Schmierung nicht, stattdessen kommt es zu einer Kaltverschweißung der beiden Reibpartner. Das physikalische Adsorptionsmodell von Savage lieferte bislang eine grobe Erklärung – ihm zufolge wird die oberste Graphitlage mit Wasser gesättigt und somit passiviert. Der eigentlich reaktionsfreudige Graphit wird reaktionsträge.

… per Experiment

Das Adsorptionsmodell von Savage war zwar allgemein anerkannt, sagt Carina Morstein, Wissenschaftlerin in der AG Angewandte Nanotribologie am Institut für Angewandte Materialien (IAM) des KIT. Doch wurde es vor allem unter sehr niedrigen Flächenpressungen getestet. Die Forschenden haben daher Experimente bei sehr hohen als auch bei sehr niedrigen Flächenpressungen durchgeführt.

Carina Morstein setzte die Graphitschichten auf den Reibpartnern verschiedenen Drücken aus, fertigte Querschnitte an und untersuchte diese mit dem Transmissionsmikroskop. Bevor die Schichten dem Druck der Reibung ausgesetzt würden, erkenne man lange Lamellen in der Graphitschicht, erklärt Morstein. Nach dem Druck und dem Gleiten jedoch seien diese verschwunden, stattdessen sei eine Art Verwirbelung von Graphit zu erkennen. Durch die Scherung im Reibkontakt tritt also eine Strukturänderung vom polykristallinen System hin zu turbostratischem Kohlenstoff auf, die bisher noch in keinem Modell berücksichtigt wurde, sagt Prof. Dr. Martin Dienwiebel vom IAM.

… und per quantenchemischer Simulation

Die Forschenden am Fraunhofer IWM erhärteten diese Beobachtung durch quantenchemische Simulationen: Auch hier bleiben die Graphitkristalle unter Druck nicht stabil, sondern bilden stattdessen gebogene Ketten. Wie vom Savage-Modell vorhergesagt, werden die obersten Schichten jedoch mit Wasser abgesättigt. Das Savage-Bild ist nach den Worten von Prof. Dr. Michael Moseler, Leiter der Gruppe Multiskalenmodellierung und Tribosimulation am Fraunhofer IWM, nicht schlecht, es fehle jedoch die Umordnung im Graphit. Es sei nicht mehr Graphit, der auf Graphit reibt, sondern turbostratischer Kohlenstoff reibe über turbostratischen Kohlenstoff, sagt Prof. Moseler. Selbst bei niedrigen Drücken bildet sich diese turbostratische Schicht: Je mehr Druck, desto mehr Graphit wandelt sich um – und desto dicker wird die verwirbelte Schicht. Wir haben das gängige Modell der Graphitschmierung also erweitert und somit eine bessere Basis zum Verständnis der Graphitschmierung gelegt, freut sich Morstein. Dies eröffne zahlreiche neue Anwendungen. Die Ergebnisse veröffentlichte das Team kürzlich im Journal Nature Communications. Sie zeigen, dass die Schmierung trotz der Umwandlung der schmierenden Graphitschicht auf den Reibpartnern funktioniert. Die Schmierung funktioniert sowohl bei niedrigen als auch bei hohen Drücken, sagt Prof. Moseler. Wir konnten somit erstmals nachweisen, dass sich die Graphitschmierung beispielsweise auch im Axiallager einsetzen lässt. Wie das genau aussehen kann, wollen die Forschenden in einem Folgeprojekt untersuchen: An dessen Ende soll ein graphitgeschmiertes Axialwälzlager stehen.

Originalpublikation:

C.E. Morstein, A. Klemenz, M. Dienwiebel, M. Moseler: Humidity-dependent lubrication of highly loaded contacts by graphite and a structural transition to turbostratic carbon; Nature Communications 13 (2022) Art. 5958, https://doi.org/10.1038/s41467-022-33481-9

Kontakt:

Prof. Dr. Michael Moseler,
E-Mail: michael.moseler@iwm.fraunhofer.de

Prof. Dr. Martin Dienwiebel,
E-Mail: martin.dienwiebel@iwm.fraunhofer.de

Die Struktur der Graphitschicht vor (a) und nach (b) dem Gleitexperiment und bei hohen Drücken (c) (© Fraunhofer IWM/KIT)

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