Vorausschauende Wartung, technische Infrastruktur und Schnittstellen zu betrieblichen Systemen und zur Mitarbeiterführung – 

Oberflächen 04. 04. 2023

Anwendung in der Praxis

Von Frank Benner, Dipl.-Ing. (FH) Norbert Kaufmann, Dipl.-Ing (FH) Edgar Kaufmann, Fabian Herbst und Sigrid Frey

Die Digitalisierung verschafft einem Unternehmen Vorteile, wenn daraus vor allem Arbeitserleichterungen für die betroffenen Mitarbeiter sowie eine höhere Effizienz bei der Nutzung von Energie und Rohstoffe erreicht wird. Dazu ist es notwendig, einen Produktionsbetrieb umfangreich mit geeigneten Sensoren auszustatten und die gewonnenen Daten sinnvoll zu analysieren und zu nutzen. Am Beispiel der vorausschauenden Wartung wird ein erfolgreicher Lösungsweg aufgezeigt.

1 Einordnung im Gesamtprojekt

Sieben Unternehmen und Forschungsinstitute haben sich im Projekt SmARtPlaS (Smart Augmented Reality Plating Services) gemeinsam der Herausforderung gestellt, das Konzept Industrie 4.0 in der Galvanotechnik umzusetzen und innovative Methoden für die vorausschauende Wartung und effiziente Anlagenbedienung zu erarbeiten. Hierin enthalten war das Teilprojekt vorausschauende Wartung, technische Infrastruktur und Schnittstellen zu betrieblichen Systemen sowie Mitarbeiterführung. Die B+T Unternehmensgruppe in Hüttenberg stellte die industrielle Entwicklungsumgebung sowie die notwendigen, umfangreichen Prozessdaten bereit. Im Nachgang wurde das entwickelte Konzept einschließlich Aufbau eines vollständigen digitalen Anlagenzwillings in der Produktion (Abb. 1) an den Standorten Wetzlar und Hüttenberg umgesetzt.

Abb. 1: Digitaler Zwilling einer Prozessanlage mit virtuellem Mitarbeiter (© B+T Oberflächentechnik GmbH)

 

2 Ausgangslage

In produzierenden Industriebetrieben und insbesondere in Galvanikbetrieben sind Maschinen und Anlagen im Dreischichtbetrieb 24/7 ausgelastet. Eine hohe Anlagenverfügbarkeit und Mitarbeiter, die gezielt ihre Aufgaben erfüllen, sind die Schlüssel für eine wirtschaftliche Produktion. Angesichts von steigenden Energiekosten, Rohstoffpreisen, Lieferkettengesetz, immer strengeren Umweltverordnungen und dem Fachkräftemangel ist der effektive und effiziente Umgang mit sämtlichen Ressourcen dringend geboten.

Im Gegensatz zur B+T Oberflächentechnik weisen die meisten kleinen und mittelständischen Betriebe in der Branche einen geringen Digitalisierungsgrad in ihrem Produktionsprozess auf. Aktuell werden die analogen Material- und Warenflüsse noch überwiegend analog begleitet und dokumentiert. Auf dem Weg zur stärkeren Digitalisierung gilt es, sämtliche Prozesse digital abzubilden, transparent zu machen und zu verfolgen, sodass Informationen für Entscheidungen zur Optimierung zeitnah gewonnen werden können, ohne die beteiligten Akteure dabei aus dem Blick zu verlieren: die Menschen.

Im Rahmen des SmARtPlaS-Projekts ­wurde eine Mitarbeiterumfrage in der ­Produktion von B+T durchgeführt. Zu den befragten Personen gehörten 55 Mitarbeiter, davon ein großer Teil langjährig Beschäftigter, aber auch einige Personen mit einer Betriebszugehörigkeit von weniger als einem Jahr. Die Befragung umfasste Fragen in den Themenbereichen emotionale Erschöpfung, Monotonie, psychische Ermüdung sowie psychische Sättigung und Stress.

Das Ergebnis: Als höchste psychische Belastung wurden fehlende Informationen bezüglich der aktuellen Aufgabenstellung und dem zugehörenden Arbeitsumfeld sowie der Komplexität genannt. Funktionierende unterstützende IT-Systeme werden durch den Mitarbeiter als nutzbringende Hilfestellung bei der Ausübung der Tätigkeiten und der Entscheidungsfindung angesehen.

Das zu erarbeiten, war Hauptziel im Projekt: Den Mitarbeitern die richtigen Informationen im benötigten Umfang zur rechten Zeit am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen – und das zielgruppenkonform.

3 Datenerfassung, Datenaufbereitung, Datenvisualisierung

B+T hat bereits vor Jahren begonnen, über Messaufnehmer Daten an kritischen Schnittstellen für die Überwachung von Verbräuchen zu erfassen und zu speichern. Die positiven Effekte waren Anlass, nach und nach sämtliche Anlagen, inklusive der Peripherie, mit Messaufnehmern auszustatten und zu vernetzen. Dabei müssen Daten aus verschiedenen Anwendungen ­beziehungsweise Anlagensteuerungen und technischen Gebäudeausrüstungen verschiedener Hersteller zusammengeführt werden. Mittels SQL-Abfragen (engl.: SQL – Structured Query Language, strukturiere Abfragesprache) werden die Rohdaten in definierten Intervallen aus den verschiedenen Datenbanken extrahiert, im nächsten Schritt durch zusätzliche Software aufbereitet, um dann im Nachgang in smart visualisierter Form dem jeweiligen Personenkreis zur Verfügung gestellt zu werden (Abb. 2).

Abb. 2: Rohdaten aus verschiedenen Anwendungen unterschiedlicher Hersteller (roter Bereich) werden aufbereitet (grüner Bereich) und für die Informationsaufnahme auf verschiedenen Endgeräten visualisiert (© B+T Oberflächentechnik GmbH)

 

Die Aufbereitung der Daten erfolgt über eine spezielle Report-Software, die über einen gesonderten Report-Server die Berichte in konfigurierten Abständen (täglich, wöchentlich oder monatlich) erstellt und wahlweise per Mail an den definierten Personenkreis versendet oder aber auf Monitoren darstellt.

4 Umsetzung des Konzeptes vorausschauende Wartung bei B+T

In der Praxis hat B+T folgende automatisierte Informationsflüsse im Rahmen des Projekts etabliert, die aus dem täglichen Arbeitsprozess (bei B+T) nicht mehr wegzudenken sind:

  • Den Mitarbeitern in der Fertigung werden auf den Werksmonitoren neben Produktionsplanungslisten, Alarmen, Checklisten, Anlagenstatus und anstehenden Wartungsaufträgen auch die Ausbringungsmengen angezeigt, in Form von Listen oder Charts.
  • Die Betriebsleitung ist an weitergehenden Kennzahlen interessiert, wie zum Beispiel Auftragsplanung, Produktivität, Stillstandszeiten, Energie-, Material- und sonstige Verbräuche. Diese können als Webanwendung an jedem PC im Betrieb – natürlich nur mit dem individuellen Passwort zugänglich – eingesehen und bearbeitet werden. Die Darstellung auf Dashboards ist individuell konfigurierbar, der Informationsgehalt übersichtlich und schnell zu erfassen.
  • Das Management erhält im automatisierten täglichen (oder sonstigen periodischen) Reporting eine Zusammenfassung aller relevanten Kennzahlen per E-Mail grafisch aufbereitet. In der betriebseigenen Kollaborationssoftware werden die Daten auch für das Qualitätsmanagement festgehalten und dokumentiert.
  • Im frei zugänglichen Info-Center können sich alle Mitarbeiter jederzeit einen Überblick über weitere KPI (engl.: KPI – Key Performance Indicators, Leistungskennzahlen) verschaffen (Abb. 3). Diese werden außerdem regelmäßig abteilungsübergreifend gesichtet und bewertet.
  • Schlussendlich kann der Kunde in Web­interfaces Informationen, die für ihn von Interesse sind, wie zum Beispiel den Status seines Auftrags, direkt und selbstständig in Erfahrung bringen oder auch Lieferscheine von bereits abgeschlossenen Aufträgen digital abrufen. Dafür benötigt er lediglich die Zugangsdaten und die entsprechende Berechtigung.

Abb. 3: Die Menge und Komplexität der Informationen wird zielgruppenkonform aufbereitet und visualisiert (© B+T Oberflächentechnik GmbH)

 

Als ein wichtiges Instrument in diesem Prozess hat sich das Monitoring von Energie beziehungsweise Energieverbräuchen herausgestellt. Speziell beim Stromverbrauch der Vielzahl an eingesetzten sogenannten Querschnittstechnologien, wie Motoren, Pumpen, Ventilatoren, Drucklufterzeugern, Wärmeübertragern bei der Abwärmenutzung, sind enorme Einsparpotenziale vorhanden – denn wo Prozesse laufen, lässt sich Strom sparen.

Die aufgezeichneten Daten sind nicht nur für die Dokumentation oder historische Betrachtung von höchstem Nutzen, sondern auch für das vorausschauende Energiemanagement mittlerweile unverzichtbar. Mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse über Verbräuche in Relation zur beschichteten Oberfläche, lässt sich vorausschauend bei der Auftragsplanung der Energieeinsatz recht genau einschätzen und bewusster einplanen (Abb. 4). Damit lassen sich Stromspitzen vermeiden, die Versorgungssicherheit wird gewährleistet; denkbar ist auch eine Reduktion der Netzanschlussleistung. Bevor es zu einem erhöhten Verbrauch kommt, können Alarmgrenzen eingerichtet werden, die helfen, Ausfälle oder Mehrkosten zu vermeiden.

Abb. 4: Auftragsplanung (li.) abgestimmt auf den Energieverbrauch (re.) (© B+T Oberflächentechnik GmbH)

 

Ein weiteres Mittel für den Ad-hoc-Gewinn von Informationen, sind die eingerichteten Augmented-Reality-Dienste. Um Live-­Daten des Beschichtungsprozesses angezeigt zu bekommen, muss ein an der Anlage angebrachter Ankerpunkt mit dem mobilen Gerät abgescannt werden. Daraufhin wird die rea­le Umgebung auf dem Bildschirm um ­weitere Informationen digital ergänzt (Abb. 5). Die installierten PCs am Anfang und am Ende der Beschichtungsanlage mit großem Monitor werden nicht nur dafür genutzt, sich einen Überblick über sämtliche Vorgänge und relevanten Werte zu verschaffen, sondern auch zur Steuerung.

Abb. 5: Augmented Reality: Nach Scannen des Ankerpunkts an der Anlage werden Live-Werte auf der mobilien Anwendung eingeblendet (© B+T Oberflächentechnik GmbH)

 

Das Prinzip der Augmented-Reality-­Dienste kann auch auf andere Anwendungsfälle im betrieblichen Prozess übertragen und angewendet werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, bei einem virtuellen Rundgang mit der VR-Brille die jeweiligen Live-Daten in der virtualisierten Umgebung einzusehen.

5 Wissenstransfer und ­Zukunftsaussichten

Das im Projekt initiierte Monitoring des Stromverbrauchs wurde zwischenzeitlich bei B+T in Rechtenbach um die Erfassung der Verbräuche von Gas und Wasser erweitert und ins turnusmäßige Reporting aufgenommen. Darüber hinaus erfolgte der Transfer des Konzepts von den Beschichtungsanlagen auch auf andere Produktionsbereiche und Medien, wie Wärmebehandlung, Härteofen oder die Sortierung. Die Erfassung, Aufbereitung und Bereitstellung der Produktionsdaten gekoppelt mit den Energieverbrauchsdaten hat bereits erste Energieeinsparpotentiale in Teil­bereichen der Fertigung aufgezeigt.

Um jedoch den Anforderungen des Lieferkettengesetzes gerecht zu werden oder auch vermehrten Kundenanfragen nach differenzierten Energieverbräuchen und der Bezifferung des CO2-Fußabdrucks auf Artikelebene nachzukommen, gibt es noch einiges zu tun. Daher ist geplant, weitere Daten zu erheben, wie zum Beispiel den Einsatz von Chemikalien, die aktuell in der Ökobilanz noch eine echte Blackbox sind. Zu der enormen Menge an bereits erfassten Daten, kommt nun noch eine Vielzahl weiterer hinzu, deren Handling und Verarbeitung die vorhandenen Kapazitäten aktuell übersteigt. Mittel- bis langfristig sollen selbstlernende Systeme für die Darstellung der Augmented-Reality in der Produktion integriert werden und auch Algorithmen entwickelt werden. Dafür muss zunächst die passende Infrastruktur aufgebaut oder gefunden werden.

6 Fazit zum Förderprojekt

Auch wenn im Verlauf des Projekte die Treffen Corona-bedingt meistens nicht wie geplant stattfinden konnten, so lässt sich doch festhalten, dass die Kooperation unter den Partnern sehr gut geklappt hat, und der Erkenntnisgewinn aus dem Projekt für alle Beteiligten höchsten Nutzen gestiftet hat.

B+T hat die im Projekt gesteckten Ziele nicht nur erreicht und bereits teilweise umgesetzt. Die Ergebnisse haben die Erwartungen an das Projekt bei weitem übertroffen. So zum Beispiel konnte eine digitale Dienstleistung erarbeitet werden, die in einem neuen Unternehmen, der BAG Analytics GmbH, entwickelt und vermarktet wird: ASAP (Analyzing System for Automated Processes), eine Analysensoftware für alle Betriebsprozesse. Darüber hinaus hat B+T einen großen und wichtigen Schritt zur Erreichung der Klimaziele gemacht, mit dem Hauptziel vor Augen: der CO2-neutralen Fabrik.

Hinweis und Danksagung

Die Förderung des Projekts SmARtPlaS erfolgt seit 10/2019 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung aufgrund eines Beschlusses des deutschen Bundestages mit dem Förderkennzeichen 02K18D115.

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