Wegbereiter für neue Anwendungen von Ultradünnglas

Werkstoffe 01. 09. 2023
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Einzigartige Prozesskette für die Prozessierung von ultradünnem flexiblem Glas verfügbar

Die Prozessierung von Ultradünnglas erfordert dediziertes Handling zur Vermeidung von Glasbrüchen in der Produk­tion. Dies stellt bisher eine hohe Hürde für den Einzug des innovativen Materials in neue Anwendungen dar. Innerhalb des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Projekts CUSTOM (FKZ: AiF 21708 BR) und des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts Glass4Flex (FKZ: 13N14615) entwickelten die Projektpartner gemeinsam am Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP eine bisher einzigartige Prozesskette zur Beschichtung von Ultradünnglas: angefangen bei adaptierten Reinigungsprozessen bis hin zur finalen Inspektion. Besonderes Augenmerk lag hierbei auf der Evaluation des Einflusses der Prozesse auf die Festigkeit und Zuverlässigkeit des Schicht-Glasverbundes. Die Prozesskette und Ergebnisse der Projekte werden auf der Konferenz V2023, vom 18. – 21. September 2023, in Dresden präsentiert.

Durch die Markteinführung faltbarer Displays hielten flexible Gläser erstmalig Einzug in die Massenfertigung. Ansonsten wird Ultradünnglas mit Dicken kleiner 0,1 mm in der Optik oder Mikroelektronik, aber auch in der Consumer- und Automobilbranche, zum Beispiel für Touch-Oberflächen genutzt. Hier kann das Glas aufgrund seiner exzellenten Oberflächen­eigenschaften wie geringer Rauheit, hoher Transparenz und Kratzfestigkeit in Kombination mit seiner Flexibilität vorteilhaft sein.

Um Ultradünnglas als Alternative zu Polymerfolien für Anwendungen jenseits falt­barer Displays fest zu etablieren, müssen angepasste Produktionsprozesse entwickelt werden. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Vermeidung kostenintensiver Produktionsausfälle aufgrund des mechanischen Versagens der Gläser. Bisher wird der Einsatz dieses innovativen Substratmaterials durch die hohen Anforderungen an die Prozesse limi­tiert. Darüber hinaus ist das Wissen über Handling und Funktionalisierung nicht allgemein zugänglich.

Durchgängige Prozessstrecke zur Prozessierung von Ultradünnglas

Das Fraunhofer FEP beschäftigt sich bereits seit mehr als zehn Jahren mit der Prozessierung von Ultradünnglas, insbesondere dem Handling und der Entwicklung von Beschichtungen. Neben der Beschichtung sind die Reinigung und Handhabung sowie die Feststellung von Defekten im unbeschichteten und beschichteten Glas von großer Bedeutung für die spätere Verwendbarkeit des flexiblen Glases. Eine öffentlich zugängliche Technologieplattform, mit der diese Prozessschritte durchgängig umgesetzt werden können, existierte nach Angaben des Fraunhofer FEP bisher noch nicht.

Hier setzt das Gemeinschaftsprojekt Glass4Flex an. Im Verbundvorhaben wurden neue Prozesstechnologien als Wegbereiter für flexible Glasanwendungen für optische und/oder elektrische Anwendungen der nächsten Generation entwickelt. Entwickler von solchen Systemen können nun auf die Plattform am Fraunhofer FEP zugreifen.

Beispiel eines elektrostatischen Chucks zur Halterung des Ultradünnglases während der Beschichtung (© Fraunhofer FEP, Finn Hoyer)

 

Projektleiterin Kerstin Täschner vom Fraunhofer FEP erläutert den kurz vor Projektende (Herbst 2023) erreichten Stand: Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir inzwischen eine Prozesskette am Fraunhofer FEP aufgebaut, die in dieser Form unter Reinraumbedingungen einzigartig ist. Wir verfügen über eine Handlingstrecke für flexibles Glas bis zu einer minimalen Dicke von 30 µm auf einer Fläche von 600 × 1200 mm2. Die Prozesskette komplettiere die vertikale Inline-Beschichtungsanlage ILA 900. Damit können die Forschenden am FEP ihre langjährige Erfahrung in der Beschichtung von Dünnglas und das gewonnene Know-how aus der Zusammenarbeit mit allen wichtigen Glasherstellern sowie aus Projekten wie CUSTOM durchgehend im Pilotmaßstab nutzen und zur Verfügung stellen.

Die Prozessstrecke umfasst eine Ultraschall-Nassreinigungsstrecke der SCHMID Group, in der Glassheets inline gereinigt werden können. Zur Überwachung der Reinigungs- und Beschichtungsqualität der Gläser verfügen die Forschenden außerdem über ein Weißlichtinterferometer der Gesellschaft für Bild- und Signalverarbeitung (GBS) mbH. Zum weiteren Handling der Dünnglassub­strate des Projektpartners SCHOTT AG wurde außerdem ein neues Transfersystem der Adenso GmbH installiert. Unter Reinraumbedingungen kann das Substrat damit berüh­rungslos auf einem Luftkissen (air cushion floating) auf einen fahrbaren Wagen transportiert werden. Auf diesem Wagen ist bereits der elektrostatische Halter (sog. E-Chuck) der ProTec® Carrier Systems GmbH installiert. Der E-Chuck fixiert das Dünnglas während des Transportvorgangs und im nachfolgenden vertikalen Beschichtungs- und Plasmabehandlungsprozess sicher und vollflächig mittels elektrostatischer Klemmkräfte. Dies garantiert homogene thermische Bedingungen bei minimierter mechanischer Belastung und ohne jegliche Abschattung.

YUASA U-Shape-Biegetestgerät der Firma Bayflex Solutions, angepasst an Ultradünnglassubstrate (© Fraunhofer FEP, Timotheus Liebau)

 

Nach der Beschichtung können mit verschiedenen Testgeräten Zuverlässigkeitstests mit den Ultradünnglas-Sheets durchgeführt werden. Die Firma Bayflex Solutions stellte hierfür im Rahmen des Projekts CUSTOM Biegetestgeräte zur Verfügung (YUASA U-Shape Folding und Clamshell Folding).

Mithilfe der bereitgestellten Geräte wurden im Projekt tiefergehende Erkenntnisse über die Kantenfestigkeit und das Ermüdungsverhalten von Dünnglas gewonnen. Das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS hat gemeinsam mit dem Fraunhofer FEP dazu umfangreiche Versuche durchgeführt. Dabei wurde der Einfluss von ausgewählten Beschichtungs- und Trennverfahren auf diese Eigenschaften betrachtet. Mit den Ergebnissen können nun Parameterfelder für die zuverlässige Handhabung von flexiblem Glas besser abgeschätzt werden, etwa minimale Wickelradien vor und nach der Beschichtung. So kann auf sich verändernde Festigkeiten im Rahmen der Prozessierung Rücksicht genommen werden. Das erhöht die Wirtschaftlichkeit der Produktion, weil Produktionsausfälle vermieden werden.

Die Zukunft der Dünnglasprozessierung

Mit der einzigartigen Prozessstrecke des Projekts Glass4Flex und den Ergebnissen aus dem Projekt CUSTOM sind die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen am Fraunhofer FEP in der Lage, ultradünnes Glas unter Berücksichtigung von Schichtspannungen und Glasfestigkeit sicher zu handhaben und zuverlässig zu verarbeiten. Die Forschenden am Institut bieten ab jetzt die neuen Prozessmöglichkeiten für kundenspezifische Projekte – von der Beschichtung und Schichtstapelentwicklung bis zur Prozessanpassung für spezielle Kundenanforderungen – an. Zudem steht die Handlingstrecke als Technologieplattform zur Verfügung, beispielsweise für Machbarkeitsstudien und die Entwicklung von innovativen Anwendungen. Auch die Integration von zum Beispiel Laminierungsprozessen und der Prozesstransfer bis hin zur Pilotproduktion ist nun in individuellen Projekten möglich.

Text zum Titelbild: Ultraschall-Nassreinigungsstrecke für Ultradünnglas vor der Beschichtung(© Fraunhofer FEP, Finn Hoyer)

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