Keine Angst vor Wasserstoffversprödung

Werkstoffe 05. 11. 2023
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Sprödbruch schnell und zuverlässig erkennen: Neue Präzisionsmesseinrichtung ermöglicht C-Körper-Prüfung in unter 180 Sekunden

Der Markt für Befestigungsteile verlangt zunehmend nach hochfesten Werkstoffen, bei deren galvanischer Beschichtung ein besonderes Augenmerk auf eine mögliche Wasserstoffversprödung gelegt werden muss. Denn mit zunehmender Festigkeit steigt auch die Gefahr eines wasserstoffinduzierten Sprödbruchs. Die bisher eingesetzten Prüfverfahren erfordern mehrtägige Prüfzyklen. Daher hat die Dr.-Ing. Max Schlötter GmbH & Co. KG zusammen mit iChemAnalytics einen Prüfstand entwickelt, der die Prüfzeit auf wenige Minuten verkürzt. Damit können nach eigenen Angaben erstmals bis zu 20 Stück C-Prüfkörper gleichzeitig getestet werden, in gerade einmal 180 Sekunden. Grundlage ist ein mechanischer Belastungstest, bei dem Kraft-Weg-Kurven aufgezeichnet werden. Den einzelnen Messzellen stehen hierbei spezifisch parametrierbare Messprogramme zur Verfügung, die parallel abgerufen werden können. Dank der hochauflösenden Kraftsensoren und sehr präzisen Messkurven, lassen sich hochwertige Kennwerte reproduzierbar generieren und als Grundlage für die Weiterentwicklung eigener Prozesse und Produkte nutzen. So konnte Schlötter den Beizentfetter SLOTOCLEAN BEF 1790 neu entwickeln.

Immer häufiger werden hochfeste Stähle in ihren Werkstoffeigenschaften optimiert, um etwa leichter und widerstandsfähiger zu werden. Um diese Stähle optimal vor Korrosion zu schützen, wird häufig galvanotechnisch aufgebrachter kathodischer Korrosionsschutz eingesetzt. Damit eine optimale Haftung der Beschichtung erreicht wird, muss bei der Vorbehandlung des Bauteils ein Beizschritt durchgeführt werden, erklärt Dr. Michael Zöllinger, einer der Geschäftsführer des traditionsreichen Familienunternehmens Dr.-Ing. Max Schlötter. Dabei werden Oxide und Zunder entfernt, sodass eine metallisch einwandfreie Oberfläche für den anschließenden Beschichtungsprozess entsteht.

Greift die beim Beizen eingesetzte Säure das Grundmaterial an, entsteht Wasserstoff auch in atomarer Form. Aufgrund physikalischer Prozesse können Teile dieses Wasserstoffs zu nicht diffusionsfähigem molekularem Wasserstoff an der Oberfläche rekombinieren, oder in den Werkstoff diffundieren. Durch die Einlagerung des atomaren Wasserstoffs wird das Metallgitter geschwächt und das Bauteil kann je nach Legierung schließlich verspröden und im schlimmsten Fall kann es im verspannten Zustand zum sogenannten Sprödbruch kommen. Daher stellen die Vorbehandlung und die nachfolgende Beschichtung höherfester Stahlbauteile mit einer Zugfestigkeit von > 800 MPa sowohl Fachfirmen als auch Anwender nach Aussage von Zöllinger immer wieder vor die Frage, wie hoch die Wasserstoffkonzentration im Bauteil maximal sein darf, um eine ­Materialschädigung zu vermeiden. Bis heute haben sich für den Anwender in der Praxis trotz zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten keine anwenderfreundlichen prozessbegleitenden Prüfmethoden durchgesetzt oder sie sind zeitaufwändig und kompliziert, so Zöllinger.

Daher hat die Dr.-Ing. Max Schlötter GmbH & Co. KG gemeinsam mit der iChemAnalytics einen praxisnahen Prüfstand entwickelt, der eine vielseitige C-Körper-Prüfung in Anlehnung an die aktuellsten Normen im Bruchteil der sonst notwendigen Zeit ermöglicht. Die Präzisionsmesseinrichtung WSRME TWIN detektiert anhand von C-Ring-Proben Veränderungen im Werkstoffzustand, die zum Beispiel durch flüssigkeitsmetallinduzierte-, Härte-, Anlass-, oder Wasserstoffversprödung auftreten können. Vergleichbare Prüfungen dauerten bislang mehrere Tage. Dank des speziellen Aufbaus und präzisen Prüfkonzepts sind nun lediglich zwei bis drei Minuten notwendig. Dadurch werden Verfahrenshersteller und Lohnbeschichter in die Lage versetzt, selbstständig normgerechtes Arbeiten sowie eine echte Prozessüberwachung und Qualitätssicherung in die eigene Fertigung zu integrieren, ohne auf externe Prüfdienstleister angewiesen zu sein.

Die Präzisionsmesseinrichtung WSRME TWIN detektiert anhand von C-Ring-Proben Veränderungen im Werkstoffzustand, die zum Beispiel durch Anlass-, Wasserstoff- oder flüssigkeitsmetallinduzierte Versprödung auftreten können (Bild: Dr.-Ing. Max Schlötter)

Dank der integrierten Auswertealgorithmen, die von einem leistungsstarken Mikroprozessor gesteuert werden, ist die Messeinrichtung dabei in der Lage, eine Vielzahl materialspezifischer Kennwerte zu messen beziehungsweise zu berechnen (Bild: Dr.-Ing. Max Schlötter)

 

Prozessbegleitende Prüfung von bis zu 20 C-Ringen mit frei wählbaren Messverfahren

In dem unscheinbaren Aufbau befinden sich zwei Prüffeld-Öffnungen sowie mehrere elektrische Antriebe mit einstellbarem Vorschub, um die gewünschten Belastungsstufen der Prüfvorgänge präzise umzusetzen. Bis zu zehn Messzellen lassen sich je nach Variante mit maximal 20 C-Ringen bestücken, die parallel und unabhängig voneinander messbar sind. Je nach Anforderung können zusätzlich auch individuell auf Bauteile oder Prozesse zugeschnittene Prüfkörper angefertigt und eingesetzt werden. Dem Bediener stehen dabei gleichzeitig verschiedene Last- und Positionieroptionen zur Verfügung – von kraft- beziehungsweise distanzgesteuerter stufenweiser Belastung bis hin zu definierten Haltezeiten mit anschließendem Aufzug bei konstanter Dehnrate. Dadurch wird sehr viel Zeit gespart, die sonst bei einer Prüfung in Reihe benötigt würde. Im Zuge dessen werden automatisch bestimmte Kennwerte ermittelt und überwacht, die sich aus den frei wählbaren Messverfahren ergeben. Gleichzeitig sorgen hochauflösende Kraft­sensoren sowie die präzise Wegmessung für eine optimale Datenqualität. Die Auswahl und Überwachung der Prüfvorgänge gestal­tet sich dabei denkbar einfach: Über das integrierte Multi-Touch-Display lassen sich alle Einstellungen vornehmen und ausführen, so Zöllinger.

Dank der integrierten Auswertealgorithmen, die von einem leistungsstarken Mikroprozessor gesteuert werden, ist die Messeinrichtung dabei in der Lage, eine Vielzahl von materialspezifischen Kennwerten wie den Übergang von elastischem und plastischem Werkstoffverhalten, die wasserstoffinduzierte Materialentfestigung sowie einen materialspezifischen Deformationsindex (DI) zum Prozess zu messen beziehungsweise zu berechnen. Die dabei generierten Mess- und Kennwerte werden automatisch mit den weiteren Meta­daten wie Vorbehandlungen und Werkstoffzuständen verknüpft und gespeichert. Es entsteht eine hohe statistische Aussagefähigkeit durch Parallelprüfung auf mehreren Messplätzen gleichzeitig, erklärt Thomas Haberfellner, Leiter des Geschäftsbereichs Chemie und Entwicklung neuer Märkte bei Max Schlötter. Diese lasse wertvolle Rückschlüsse darauf zu, wie sich die Bauteilqualität oder die Beschaffenheit des Ausgangsstahls allein schon für die Bearbeitung verbessern lasse.

Der Markt für Befestigungsteile verlangt zunehmend nach hochfesten Werkstoffen, bei deren galvanischer Beschichtung besonderes Augenmerk auf eine mögliche Wasserstoffversprödung gelegt werden muss; getestet wird dies an C-Ring-Prüfkörper (Bild: Dr.-Ing. Max Schlötter)

 

Prüfstand liefert ­Datengrundlage für Prozessentwicklung

Alle Messwerte werden in einer Datenbank gespeichert und lassen sich unter anderem in Microsoft Excel importieren. Mithilfe dieser Ergebnisse können kundenspezifische Produkte entwickelt oder das bestehende Portfolio optimiert werden, wie etwa die Zugaben zu Beschichtungsbädern (z. B. für das galvanische Verzinken) oder neue ­Badzusätze (z. B. Beizinhibitoren).

Max Schlötter setzt den Prüfstand bereits erfolgreich in der eigenen Forschung und Entwicklung zu diesem Zweck ein. Dank der mit der neuen Messtechnik schnell zugänglichen Ergebnisse war es möglich, den ­hauseigenen Beizentfetter SLOTOCLEAN BEF 1790 zu entwickeln, der über eine neue Generation von Inhibitoren verfügt. Mit diesen wird nicht nur der Hemmwert maximiert, sondern auch die prozessbedingte Neigung zur Wasserstoffversprödung minimiert; gleichzeitig wird die Standzeit der Beize, verglichen zu den Systemen der ersten Generation, mehr als verdreifacht. Somit wird ein aktiver Beitrag zur Ressourcenschonung geleistet und der CO2-Fussabdruck in der Lohngalvanik reduziert.

Mit der Präzisionsmesseinrichtung WSRME TWIN werde nicht nur die prozessbegleitende Prüfung auf Wasserstoffversprödung für jeden Hersteller und Lohnbeschichter einfach zugänglich gemacht, betont Zöllinger. Die vielseitige Parametererfassung und auto­matisierte Auswertung helfen auch langfristig dabei, die Prozesskosten durch eine gezielte Werkstoffauswahl, die Optimierung der Wärmebehandlungsparameter und einen bedarfsgerechten Chemikalieneinsatz zu senken, resümiert Zöllinger.

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