Die Quadratur des Kreises – Silberbasierte Schichtsysteme für thermisch und mechanisch hochbeanspruchte elektrische Stecksysteme

Oberflächen 08. 05. 2024

Vera Lipp, Dr. Stefan Henne, Dr.-Ing. Mark-Daniel Gerngroß, Dr.-Ing. Max Schlötter GmbH & Co. KG, Geislingen

Durch das steigende Interesse an der Elektromobilität sowie die zunehmende Nutzung von elektrischen Kontakten für Sensoren und elektrische Bauelementen, steigt der Bedarf an zuverlässigen elektrischen Steckkontakten. Diese unterliegen Beanspruchungen durch Reibung und Temperaturlasten bei gleichzeitiger Anforderung an einen geringen Übergangswiderstand. Als Werkstoff mit den besten Basiseigenschaften bietet sich dafür Silber an, das durch Legieren beziehungsweise den Einsatz von Dispersionsstoffen in seinen Anwendungs-relevanten Eigenschaften deutlich verbessert werden kann. Mit dem neuen Schichtsystem bestehend aus Hartsilber mit Antimon als Legierungselement sowie Graphit als Dispersionsstoff, kann eine Langzeitstabilität bei Temperaturen bis 200°C sichergestellt werden. Zudem weist es hervorragende Reibwerte und einen niedrigen Übergangswiderstand auf. Diese Merkmale wurden sowohl in Prüfständen als auch in fahrzeugnahen Testumgebungen belegt.

Der Anteil an batterieelektrischen Fahrzeugen hat auch im Jahr 2023 neue Rekordzahlen erreicht, insbesondere getrieben durch den Rekordabsatz in China [1]. Dies wird sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch in 2024 und den Folgejahren weiter ­fortsetzen. Diese schnell voranschreitende Marktdurchdringung in weiten Teilen der Welt und dem damit einhergehenden rasanten technischen Fortschritt im Bereich der Elektromobilität und des automatisierten Fahrens führen zu stark ansteigenden Anforderungen an elektronische Komponenten im Fahrzeug. Diese manifestieren sich im Bereich der silberbasierten, elektrischen Steckverbundsysteme in steigenden mechanischen Belastungen in Form hoher Steckzyklenanzahl sowie in einer Verschiebung der Temperatur-­Lastkollektive – einzeln beziehungsweise auch in Kombination miteinander – bei gleichzeitiger Forderung nach einem geringen elektrischen Kontaktwiderstand. Je nach Einsatzgebiet können die konkreten Anforderungen an die Silberschicht variieren: So sind auch in Fahrzeugen mit Verbrennerantrieb Anwendungen für spezifische Steckverbinder im Motorraum vorstellbar, die bis zu 50 Steckzyklen bei einer derzeit angestrebten Temperaturlast von bis zu 180 °C erreichen können müssten. Im Bereich der Ladebuchse hingegen bewegt sich die Anforderung in Richtung bis zu etwa 10 000 Steckzyklen bei einer maximalen Temperaturlast von 150 °C [2]. Darüber hinaus sind auch hier höhere Temperaturlasten in der Zukunft erwartbar.

Physikalisch bedingt sind galvanische Feinsilberbeschichtungen allein nicht in der Lage, diese Vielzahl an unterschiedlichen Bedingungen gleichzeitig erfüllen zu können. Der Grund dafür liegt darin, dass Feinsilber eine ausgeprägte Eigenschaft für Kaltverschweißen aufweist [3]. Dies kann für einige Anwendungsfälle, wie zum Beispiel ­Pressfits, eine willkommene Eigenschaft sein, für ­lösbare Steckverbindungen mit einer hohen Anzahl an Steckzyklen ist es jedoch komplett unerwünscht.

Daneben zeigen Silber und Kupfer ein sehr ausgeprägtes Diffusionsverhalten ineinander, sodass bei elektrischen Kontakten eine Diffusionsbarriere erforderlich ist [3]. Diese wird typischerweise durch eine dünne Zwischenschicht in Form von Nickel realisiert. Damit entsteht jedoch ein weiteres Problem: die Delamination der Silberschicht von der Nickel-
Diffusionsbarriere im Temperaturbereich von über 150 °C aufgrund der Bildung von Nickel­oxid an der Silber-Nickel-Grenzschicht. Dies ist bedingt durch das ausgeprägte Diffusionsverhalten von Sauerstoff in Silber bei Temperaturen oberhalb von 160 °C [3]. Hervorgerufen durch die hohen ­Anforderungen an elektrische Steckverbindungen und die physikalischen Eigenschaften von Silber besteht daher ein großer entwicklungsseitiger Bedarf, konkrete, kosteneffiziente Lösungen für diese beschriebenen ­Problemstellungen anbieten zu können, um damit zum Beispiel auf kostentreibende weitere Edelmetalle wie Palladium verzichten zu können.

In diesem Zuge wurden bereits seit ­vielen Jahrzehnten Silber-Graphit-Dispersionsschichten für Gleitkontakte in der Mittel- und Hochspannung entwickelt und über die Jahre an neue technische Anforderungen angepasst und optimiert [4–7]. Die in die Silberschicht eingebauten Graphitpartikel sorgen aufgrund ihrer schmierenden Eigenschaft für eine deutliche Reduzierung des Reibkoeffizienten der Schicht und verhindern damit auch die von Feinsilber bekannte Neigung des Kaltverschweißens. Auf diese Weise kann die Anforderung in Bezug auf eine hohe Steckzyklenzahl erreicht werden bei gleichzeitig geringem Übergangswiderstand und hoher elektrischer Leitfähigkeit.

Ungelöst bleibt bei Silber-Graphit-Dispersionsschichten jedoch die Erfüllung der Anforderung an das Schichtsystem in Bezug auf die Stabilität bei hohen Temperaturlasten. Dies wird durch die Einführung einer Diffusionsbarriere zwischen der Nickel- und Silber-Graphitschicht gelöst. Diese Diffusions­barriere besteht aus einer funktionellen, antimonhaltigen Hartsilberschicht. Prinzipiell sind hierfür auch andere Legierungselemente wie Selen, Indium, Tellur, Bismut (oder ähnliche Elemente) beziehungsweise Kombinationen daraus geeignet, um Diffusionspfade für Sauerstoff in Silber effektiv zu reduzieren beziehungsweise diese sehr stark zu behindern.

Im Folgenden werden die Ergebnisse ­einer solchen Schichtfolge mit ­antimonhaltigem Hartsilber als Zwischenschicht und Silber-
Graphit als Endschicht (SLOTOCONNECT HT 4200 CF) beziehungsweise mit ODT passi­viertem Feinsilber als Endschicht (SLOTO­CONNECT HT 4200) präsentiert sowie ohne antimonhaltige Hartsilberzwischenschicht und Silber-Graphit als Endschicht (SLOTOSIL SG1910). Als Serien-Referenz wird ODT-
passiviertes Feinsilber verwendet. Für die entsprechenden Untersuchungen zur Charakterisierung der Schichtfolge wurden auf ver­nickelte Testbleche aus Kupfer die entsprechenden Schichtfolgen galvanisch appliziert. Die Prüfkörper erhielten eine Beschichtung aus etwa 4 µm antimonhaltigem Hartsilber und etwa 4 µm Silber-Graphit beziehungsweise etwa 4 µm Feinsilber als Endschicht oder nur Silber-Graphit mit einer Schichtdicke von etwa 8 µm. Als Referenz wurden vernickelte Kupferbleche ­verwendet mit etwa 8 µm Feinsilber als Endschicht. Die Silberendschichten wurden zusätzlich ODT-passiviert. Die gewählten Schichtdicken sind exemplarisch und können je nach technischer Anforderung auch höher oder niedriger gewählt werden. Die Musterteile sowie die Schichtfolgen sind in Abbildung 1 dargestellt.

Abb. 1: Schemazeichnung der untersuchten Schichtsysteme (l.) und Foto der beschichteten Prüfkörper in der im Schema gezeigten Reihenfolge (r.)

 

Die beschichteten Bauteile wurden auf einem in Kooperation mit iChemAnalytics entwickelten physikalischen Prüfstand (WECO-X) untersucht. Die Besonderheit dieses Prüfstands liegt unter anderem darin, dass während der zyklischen Messung der Reibzahl in-situ auch der Kontaktwiderstand gemessen werden kann, sodass eine zyklen- beziehungsweise eine zeitaufgelöste direkte Korrelation zwischen Reibzahl und elektrischem Kontaktwiderstand der jeweiligen untersuchten Oberfläche möglich ist. Derartige Messungen sind an vier Prüfkörpern gleichzeitig möglich. Den entsprechenden Prüfstand zeigt Abbildung 2.

Abb. 2: Prüfstand zur Messung der tribologischen und elektrischen Eigenschaften von unterschiedlichen Schichtaufbauten

 

Für die Beurteilung der Steckzyklenbeständigkeit werden die in Abbildung 1, links dargestellten Schichtsysteme auf plattenförmigen Prüfkörpern (Abb. 1, rechts) verwendet. Als Prüfgegenkörper fungieren Silberkugeln mit einem Durchmesser von 3 mm. Die Prüfkörper wurden bei 23 °C für jeweils 1000 Zyklen bei einer Normalkraft von 1,5 N, einer Testfrequenz von 1 Hz, einer Auslenkungsamplitude von 500 µm und einem Prüfstrom von 100 mA im tribologischen Prüfstand getestet. Die entsprechenden zyklenaufgelösten Messdaten des Reibwerts sowie des elektrischen Kontaktwiderstands sind in Abbildung 3 dargestellt.

Der initiale Reibwert der beiden mit Silber-Graphit als Endschicht beschichteten Prüfkörper liegt initial zwischen 0,1 und 0,2 (Abb. 3, links). Mit fortschreitender Anzahl an Testzyklen steigt die Reibzahl linear auf etwa 0,26 nach 1000 Testzyklen. Die Schichtsysteme mit ODT-passiviertem Feinsilber zeigen mit etwa 1,1 initial eine deutlich höhere Reibzahl, die innerhalb der ersten Zyklen auf etwa 1,3 ansteigt, nach etwa 30 Zyklen anfängt zu fallen und nach 400 Zyklen etwa 0,9 (antimonhaltiges Hartsilber/Feinsilber-
Schichtsystem) beziehungsweise 1,1 (Feinsilber-Schichtsystem) erreicht, damit aber sehr deutlich oberhalb der Silber-Graphit-Systeme liegen. Die mit Silber-Graphit beschichteten Prüfkörper lassen aufgrund der Schmierung durch Graphit nach 1000 Testzyklen keinen Hinweis auf Verschleiß erkennen.

Abb. 3: Von den Steckzyklen abhängiger Verlauf der Reibwerte (links) und elektrischen Kontaktwiderstände (rechts) der untersuchten silberbasierten Schichtsysteme

 

Dies zeigt sich auch in den in-situ durchgeführten, zyklenaufgelösten Messungen des Kontaktwiderstands. Bei den beiden mit Silber-Graphit als Endschicht beschichteten Prüfkörpern liegt der initial gemessene Kontaktwiderstand bei etwa 1,1 mW; mit fortschreitender Zyklenanzahl fällt er linear ab, bis er nach 1000 Zyklen bei etwa 0,9 mW liegt – analog zum Reibwert. Auch in Bezug auf den elektrischen Kontaktwiderstand ergibt sich somit für die Schichtsysteme mit Silber-Graphit als Endschicht kein Hinweis auf wesentlichen Verschleiß. Bei dem Silber-Referenzsystem verhält sich der Kontaktwiderstand ähnlich. Der initiale Kontaktwiderstand sinkt von 0,9 mW auf etwa 0,8 mW.

Wie eingangs beschrieben, ist die ­Stabilität bei hohen Temperaturbelastung der beschichteten Bauteile von großer Bedeutung für die technische Anwendung. Diese wurde im Rahmen von Auslagerungsversuchen bei erhöhter Temperatur von 200 °C für 1000 h mit Zwischenentnahmen nach 200 h, 400 h, 600 h und 800 h untersucht. Hierzu wurde die Haftfestigkeit der Silberschichtsysteme mittels klassischer Biegeprüfung auf den vernickelten Kupfer-Prüfkörpern nach Temperaturauslagerung bewertet. Dabei zeigte sich, dass die Schichtsysteme ohne antimonhaltiges Hartsilber als Zwischenschicht bereits nach 600 h aufgrund von lokalen Delaminationen an der Nickelschicht versagten (Abb. 4, links). Die Prüfkörper mit Schichtaufbauten bestehend aus antimonhaltigem Hartsilber als Zwischenschicht und Silber-Graphit als Endschicht beziehungsweise antimonhaltigem Hartsilber als Zwischenschicht und Feinsilber hingegen bestanden die Haftungsprüfungen durchgängig (Abb. 4, rechts).

        

Abb. 4: Lichtmikroskopische Aufnahmen nach Haftungsprüfung der Prüfkörper mit ODT-passivierter Feinsilberschicht (links) sowie der Schichtfolge mit antimonhaltigem Hartsilber als Zwischenschicht und Silber-Graphit als Endschicht (rechts)

 

Die vorgestellten Ergebnisse konnten unabhängig auch von Zulieferern aus dem Automotivsektor reproduziert werden. Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, dass das Schichtsystem SLOTOCONNECT HT 4200 CF die technischen Anforderungen in Bezug auf die eingangs beschriebene Temperaturstabilität, Steckzyklenanzahl und elektrischen Kontaktwiderstand exzellent erfüllt und damit eine kosteneffiziente Lösung darstellt, ohne dabei weitere geforderte Ansprüche an ein silberbasiertes Serienstecksystem negativ zu beeinflussen. Sofern die Eigenschaften von Feinsilber in Bezug auf maximal mögliche Steckzyklenzahlen die gestellten Anforderungen an die Schicht erfüllen können, bietet sich das Schichtsystem SLOTOCONNECT HT 4200 als optimale graphitfreie Lösung an.

Literatur

[1] N. Carey: Global electric car sales rose 31 % in 2023 - Rho Motion, Reuters, 2024

[2] S. Berger, F. Talgner, R. Ziebart: Silber-Palladium Schichten als Kontaktoberflächen; Galvanotechnik (2021)1, S. 31–38, Leuze Verlag

[3] H. Schmid, I. Buresch: Oberflächen für Steckverbinderkontakte; in: Praxishandbuch Steckverbinder (Hrsg. H. Endres; 2021), S. 245–286, Vogel Communications Group, Würzburg

[4] G. Clarsbach Behringer, H. Laub, S. Zjilstra: Cyanidischer Silberelektrolyt und Verfahren zur galvanischen Abscheidung von Silber-Graphit-Dispersionsüberzügen und seine Anwendung, 1978

[5] P. Rehbein, V. Haas: Kontaktoberflächen für elektrische Kontakte, EP1673836B1, 2010

[6] A. Stadler, R. Sottor, R. Wagner, C. Diandl, S. Heitmüller: Silberelektrolyt zur Abscheidung von Dispersions-Silberschichten und Kontaktoberflächen mit Dispersions-Silberschichten, EP3797184B1, 2023

[7] F. Talgner: Silber-Graphit-Beschichtung als neuer Standard für Steckverbinder in Hochstromanwendungen; WOMag 10/2022; https://www.wotech-technical-media.de/womag/ausgabe/2022/10/08_umicore_ag-c_10j2022/08_umicore_ag-c_10j2022.php

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