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Wirtschaft benötigt Planungssicherheit und wettbewerbsfähige Energiepreise für eine erfolgreiche Energiewende

Prof. Dr. Georg Locher, Rainer Häring, Dr. Jan Stefan Roell, Andrea Thoma-Böck, Marina Schmid, Michael Joukov, Raimund Haser und Dr. Sönke Voss (von links; Bild: Armin Buhl/IHK Ulm)

Die Frage, die Energiewende gelingen kann und was ist aus Sicht der Wirtschaft dabei wichtig, waren unter anderem Thema beim Energiegipfel Süd in Ulm am vergangenen Montag. Eingeladen hatten die Industrie- und Handelskammern (IHKs) Bodensee-Oberschwaben, Ostwürttemberg, Schwaben und Ulm. Zahlreiche Teilnehmer aus der ganzen Region nutzten die Chance, um – mit Impulsen aus Wissenschaft und Wirtschaft – darüber zu sprechen, wie eine wirtschaftliche und finanzierbare Energietransformation aussehen könnte.

Die Region der vier Kammern zähle zu einem der wirtschafts- und innovationsstärksten länderübergreifenden Wirtschaftsräume im Süden Deutschlands, betonte IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Sönke Voss (Bodensee-Oberschwaben) eingangs, der mit IHK-Präsident Dr. Jan Stefan Roell (Ulm) die Kooperationsveranstaltung moderierte.

Derzeit machen wir uns jedoch Sorgen um unseren grenzüberschreitenden Industriestandort, so Dr. Roell. Die Energiepolitik sorgt in der Wirtschaft für große Unsicherheit. Immer mehr Betriebe investieren im Ausland, während die Inlandsinvestitionen stagnieren. Es muss endlich ein Umdenken in der Politik stattfinden. Die Wirtschaft benötigt dringend stabile Rahmenbedingungen mit einer verlässlichen Energieversorgung und wettbewerbsfähigen Preisen“, so Roell weiter.

Voss nannte in diesem Zusammenhang die fünf Kernbotschaften der Kammern für ein Gelingen der Energiewende: unternehmerische Verantwortung durch weniger Bürokratie (mehr Gestaltungsspielräume), Versorgungssicherheit durch kluge Kraftwerksstrategie (flexible wasserstofffähige Kraftwerke), dringender Ausbau der Infrastruktur für Energie und den Umgang mit Kohlenstoffdioxid (technische Lösungen für Abtransport, Speicherung und Weiterverarbeitung von CO2), Vor-Ort-Lösungen für Flächenkonflikte (einfache Entscheidungen und schnelle Wege) sowie Schaffung eines zukunftsfähigen Energiemarkts (technologische Lösungen, mehr Energieangebote, stabile Übertragungskapazitäten).

Impulsvorträge

Eine sichere und preisgünstige Energieversorgung bei gleichzeitiger Erreichung der Klimaziele in Deutschland bis 2045 ist kein Selbstläufer, wie Professor Dr. Andreas Löschel, Lehrstuhl Umwelt- / Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum, in seinem Impulsvortrag über Videoschaltung verwies. Er ist Vorsitzender der Expertenkommission der Bundesregierung zum Monitoring-Prozess Energie der Zukunft und sieht weiteren Handlungsbedarf in vielen Bereichen der Energiewende. Insbesondere beim Auf- und Ausbau der Netze sowie bei der Schaffung passender Rahmenbedingungen sind nach seiner Überzeugung weitere Anstrengungen erforderlich. Vor allem der Ausbau einer geeigneten Infrastruktur (Strom, Wasserstoff, CO2) ist zur Nutzung neuer Technologien und für Sektorenkopplung notwendig, und dies sofort, um Resilienz zu sichern, so Löschel. In diesem Zusammenhang verwies er auf einen dringend notwendigen Bürokratieabbau. Dem Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland bescheinigte Löschel eine positive Entwicklung. Im Jahr 2023 stammt nach seiner Aussage etwas mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Quellen. Bis 2030 sollen mehr als 80 % sein. Der starke Zuwachs der Erneuerbaren Energien ist Professor Lösch zufolge gut und wichtig. Es ist dann aber auch zwingend notwendig, die Nachfrage nach Strom noch mehr zu flexibilisieren und die Anreize dafür richtig zu setzen. Gerade die finanzielle Unterstützung des Ausbaus kleiner PV-Anlagen ist teuer und zunehmend eine Herausforderung für die Systemsicherheit. Die Kraftwerkstrategie der Bundesregierung geht nach Ansicht von Professor Lösch in die richtige Richtung, bildet aber nur eine – sehr knapp dimensionierte – Brücke. Den Prozess zur Entwicklung einer gemeinsamen langfristigen Systementwicklungsstrategie zur Vereinheitlichung der Netzplanungsprozesse für Strom, Gas und Wasserstoff begrüßte Professor Löschel. Dabei muss jedoch auch das benötigte Netz für Kohlenstoffdioxid in die Überlegungen dringend mit einbezogen werden. Angesichts des hohen künftigen Bedarfs an Wasserstoff sollten zudem die Wasserstoffbeschaffung und der Aufbau globaler Handelsplattformen vorangetrieben werden.

Über die Energietransformation bei Schwenk Zement sprach Professor Dr. Georg Locher, CTO, im zweiten Impulsvortrag. Zu Beginn stand die positive Nachricht, dass Schwenk im Zementwerk Megelstetten bei Heidenheim eine CO2-Abscheideranlage für Forschungszwecke errichtet habe. Die deutsche Zementindustrie verursache etwa 7 % der weltweiten und circa 3 % der deutschen Emissionen an Kohlenstoffdioxid, liege aber bei den CO2-Fußabdrücken hinter Aluminium oder Glas, so Professor Locher. Der Austausch fossiler Brennstoffe ist nach seiner Aussage in der Zementindustrie weit vorangetrieben worden, rohstoffbedingte CO2-Emissionen sind aber praktisch nicht vermeidbar. Professor Locher nannte mit Blick auf eine klimaneutrale Zementproduktion praktische Aspekte der Umsetzungsinfrastruktur zur CO2-Nutzung und / oder Speicherung. Ein durchschnittliches deutsches Zementwerk benötigt dafür 25 Windkraftanlagen zur Deckung des Bedarfs an elektrischer Energie für den Normalbetrieb, 100 zusätzliche Windkraftanlagen zur CO2-Abscheidung, -Reinigung und -Verdichtung, zwei Güterzüge pro Tag für den Abtransport des abgeschiedenen und verflüssigten Kohlenstoffdioxids oder 300 Tonnen Wasserstoff pro Tag für die Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in chemische Produkte wie beispielsweise Methanol oder Flugbenzin. „Das entspricht nach Kenntnis von Professor Locher 600 Elektrolyseuren mit einer Leistung von je 1 Megawatt, wofür weitere 750 Windkraftanlagen oder circa 15 % der deutschen Südlink-Leistung erforderlich wären.

Podiumsdiskussion

In der von Dr. Roell moderierten Podiumsdiskussion mit den Landtagsabgeordneten Raimund Haser (CDU) und Michael Joukov (Grüne) sowie Rainer Häring (UPM GmbH), Professor Dr. Georg Locher (Schwenk Zement), Marina Schmid (TransnetBW GmbH) und Andrea Thoma-Böck (Thoma Metallveredelung GmbH) wurde deutlich, vor welchen Herausforderungen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bei der Energiewende stehen.

Prof. Dr. Georg Locher, Michael Joukov, Marina Schmid, Dr. Jan Stefan Roell, Andrea Thoma-Böck, Raimund Haser, Rainer Häring (von links) während der Podiumsdiskussion (Bild: Armin Buhl/IHK Ulm)

 

Die Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstandort hat nach Aussage von Rainer Häring Schaden genommen, woraus der Schluss folgt: Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Die UPM GmbH ist eine von vier verbliebenen Papierfabriken in Deutschland. Obwohl die Produktion der rückläufigen Produktnachfrage angepasst wurde, mußte eine modernste Papiermaschine abgestellt werden. Es wird jetzt dort produziert, wo die Standortkosten günstiger sind, lange Transportwege zu Lasten der Umwelt werden hierzu in Kauf genommen.

Die Umsätze in und Absätze aus Deutschland sind im Sinkflug, bestätigte Andrea Thoma-Böck von der Metallveredelung Thoma in Heimertingen. Trotz Energieeffizienzmaßnahmen macht Energie rund 25 % der Betriebskosten in der Metallveredelung aus. Einer der Gründe für die hohe Belastung ist der Umstand, dass in einer Betrieb der galvanischen Metallabscheidung die Anlagen nicht einfach abgestellt werden können.

Marina Schmid verwies auf die hohen Investitionskosten für den Netzauf- und -ausbau und auf die Diskussion, ob beim Bau von Stromleitungen Erdverkabelungen oder Freileitungen zum Zuge kommen sollen. Energieeinsparung und eine gerechte Energieverteilung bleiben ihr zufolge wichtige Ziele. Über von der Politik geplante Amortisationskonten könnten die Kosten für Investitionen und Netzausbau gleichmäßiger auf aktuelle und künftige Nutzer verteilt werden.

Die Transformation kann nach Aussage von Michael Joukov nicht allein marktgesteuert funktionieren. Infrastruktur ist weder schön noch günstig, wird aber gebraucht. Die Politik muss nach seiner Meinung mehr auf die Fachleute hören, die wissen sollten, was richtig ist. Zudem darf nicht immer alles wieder in Frage gestellt werden. Jedem muss klar sein, dass Energie nie umsonst zu haben sein wird.

Deutschland ist nach Meinung von Raimund Haser in Sachen Primärenergie immer schon Importeur – Ausnahme Kernenergie – und liegt in der Mitte eines funktionierenden europäischen Netzes. Die Bundesnetzagentur hat nach seiner Aussage eine Strategie zur Versorgungssicherheit entwickelt. Bestehende Anlagen in Deutschland dürfen nicht abgeschaltet oder kaputtgespart, sondern müssen in das europäische Netzwerk integriert werden. Sein Fazit: Alles, was wir selbst bauen, wird teurer. Importierter Strom ist billiger. Mit Blick auf das Thema Wasserstoffgewinnung brachte Haser mögliche Partner wie Nordafrika ins Spiel: Man muss dorthin gehen, wo es Fläche gibt.

www.ulm.ihk.de

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