Sedus hat (es) sich getraut!

Oberflächen 03. 09. 2019
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Inhouse-Galvanik auf Chrom(III)verfahren umgestellt

Ein Praxisbericht nach dem ersten halben Jahr von Dr.-Ing. Jens Bohnet (Leiter Fertigung Sedus Stoll AG)

Ob Drehstuhl oder Schreibtisch, jedes dritte Fußgestell wird von Kunden der Sedus Stoll AG in der Ausführung verchromt bestellt. Das hat nicht nur ästhetische Gründe, sondern auch qualitative, denn verchromte Oberflächen sind kratzfester und unempfindlicher als die Alternativen mit Pulverbeschichtung, aus poliertem Aluminium oder auch Holz.

Status und ­Motivation für Chromoberflächen

Die Vor- und Nachteile von dekorativen Verchromungen auf Basis von Chrom(VI)elek­trolyten sind in der Praxis hinlänglich bekannt und in zahlreichen Publikationen dargelegt [z. B. 1–5]. Der vorliegende Bericht aus der Praxis setzt sich mit dem Weg von der ersten Idee für eine Umstellung auf ein Chrom(III)system, der Planung, dem Umbau und den Erfahrungen aus den ersten sechs Monaten Betrieb auseinander.

Dazu sollen in einem kurzen Abriss auch der traditionelle Hintergrund des Unternehmens Sedus Stoll AG sowie die Leitlinien angesprochen werden. Sedus Stoll ist seit 148 Jahren als Unternehmen im Bereich Möbel erfolgreich. Bis in die späten 1990er-Jahre war es ein familiengeführtes Unternehmen – welches sich immer stark den Werten Ökologie und Umweltschutz verschrieben hatte. Mittlerweile gehört die Sedus Stoll AG mehrheitlich zwei Stiftungen (Stoll VITA & Karl-Bröcker-Stiftung), die ökologische und karitative Ziele verfolgen. Ihnen fließt der überwiegende Anteil aller Gewinne des Unternehmens zu. Nachhaltiger Umgang mit Umwelt, Tier und Mensch ist für Sedus Stoll damit nicht nur ein Marketinginstrument, sondern durch die Unternehmensleitlinien vorgegeben.

In den 1960er-Jahren entschloss sich der damalige Unternehmenseigner Christof Stoll, eine Inhouse-Galvanik am Standort Dogern zu bauen, um verchromte Oberflächen aus eigener Hand anbieten zu können. Ziel war es – neben einer verbesserten Flexibilität – auch den Umgang mit Ressourcen im eigenen Haus unter Kontrolle zu halten. Die zweite, hochmoderne Neuanlage folgte im Jahr 2010 und zählt mit einer ­Investitionssumme von 7,5 Millionen Euro zu den größten Inhouse-Chromanlagen (Abb. 1) im süddeutschen Raum.

Abb. 1: Inhouse-Anlage bei der Sedus Stoll AG in Dogern

 

Forderung an die ­Eigenschaften der Oberfläche

Mit der aufkommenden Diskussion über die Toxizität von Chrom(VI)prozessen und den damit verbundenen Unsicherheiten bezüglich Registrierung, Autorisierung und Akzeptanz im Markt, begannen im Hause Sedus Stoll die Überlegungen, ob der Einsatz von Chrom(VI)systemen als Prozesschemikalie weiterhin vertretbar ist. Es wurde geprüft, ob die Chrombeschichtung durch Pulverlackoberflächen mit neuartigen Lacksystemen ersetzt werden kann, da das Unternehmen neben einer eigenen Galvanikabteilung auch über eigene Pulverlackanlagen verfügt. Dabei wurde schnell klar, dass Sedus Stoll innerhalb seines Produktsortiments nicht auf die Vorteile verchromter Oberflächen verzichten möchte. Im Jahr 2017 begann dann die Bewertung unterschiedlicher Chrom(III)verfahren. Im Fokus standen dabei vor allem die folgenden Kriterien:

  • Chromfarbe
  • Haftfestigkeit
  • Prozesssicherheit
  • Abriebbeständigkeit

Abweichungen in der Chromfarbe zwischen Chrom(VI)- und Chrom(III)verfahren und damit verbundenes, mögliches Nachdunkeln ist für Produkte von Sedus Stoll nicht akzeptabel. Das Unternehmen realisiert für seine Produkte eine Nachliefergarantie von mindestens fünf Jahren und eine Reparatur­garantie von bis zu zehn Jahren. Sollten Kunden bereits einige mit Chrom(VI)elektrolyten verchromte Produkte gekauft haben und später nochmals Produkte nachkaufen, die mittels Chrom(III)verfahren behandelt wurden, darf kein Unterschied erkennbar sein. Damit ist stellt sich die Situation so dar, wie sie auch für die vieldiskutierten Bauteile im Automobilbereich gilt [z. B. 3–4].

Die Haftung der Chromschicht auf den Produkten muss unter allen Umständen sichergestellt sein. Wichtig dabei ist es zu wissen, dass Sedus Stoll alle seine Freischwinger und Vierbeingestelle ohne Bohrungen in Traversen und Bögen anfertigt. Gleiter werden an den Stühlen durch umformende Prägungen befestigt, Sitze mittels Clips mit den Traversen verbunden (Abb. 2). Diese Prägungen werden typischerweise erst nach der Oberflächenbehandlung in die Rohre eingebracht; eine schon applizierte Oberfläche muss dabei auch nach der Umformung fehlerfrei bleiben.

Abb. 2: Nach dem Verchromen geprägtes Rohr, Gleiter montiert und Gleiter mit Halte­nasen

 

Die Prozesssicherheit spielt für das gesamte Produktionsprinzip eine tragende ­Rolle. Sedus Stoll verfügt über drei produzierende Werke (Dogern, Geseke und Owingen) in Deutschland. Alle drei Werke werden aus Dogern zentral mit Metallteilen und Oberflächenverfahren beliefert. Die Sedusgruppe ist ein 100%iger Auftragsfertiger und produziert ausschließlich kundenspezifische Produkte. Die Durchlaufzeit durch die Werke beträgt aktuell vier Werktage vom Start der Metallfertigung bis zur Übergabe in den Versand. Für die Oberflächenbehandlung ist in der Regel nur einen Werktag Durchlaufzeit eingeplant. Jeder ungeplante Produktionsstopp (selbst für wenige Stunden) bringt die Produktionskette in Verzug und verursacht Kundenterminverzögerungen. Da Sedus Stoll maßgeblich komplette Gebäude ausstattet und Gebäude mit mehreren hundert Arbeitsplätzen die Regel sind, führt jeder Verzug zu Schwierigkeiten mit Transportunternehmen, Aufbauteams und der Terminierung von ­Eröffnungen von Gebäuden.

Die Abriebbeständigkeit muss sichergestellt werden, da stapelbare Stühle auch nach mehreren Jahren Einsatz in Kantinen oder Veranstaltungshallen fehlerfreie Beschichtungen haben müssen. Sedus Stoll gibt generell fünf Jahre Garantie für derartige Merkmale seiner Produkte.

Anforderungen an den Prozess

Im Herbst 2017 begannen die ersten Gespräche mit unterschiedlichen Verfahrenslieferanten, um den Chrom(VI)prozess durch einen Chrom(III)prozess zu ersetzen. Dabei wurden Labormuster bewertet und der Einsatz in einem Produktivbetrieb ­begutachtet. Neben den Anforderungen an die Schicht selbst mussten auch unterschiedliche Anforderungen an die Anlagentechnik bei der Umstellung sichergestellt werden. Diese waren unter anderem:

  • Keine Komplexbildner im Abwasser
  • Brandschutzkonzept der Anlage muss sichergestellt bleiben
  • Umbau innerhalb der Platzverhältnisse der bestehenden Anlage
  • Umstellung des Prozesses innerhalb von maximal zehn Werktagen

Besonders kritisch beobachtet wurde die Umstellung hinsichtlich der sich ändernden Prozesse in der Abwasserbehandlung. Das Produktionswerk Dogern mit seiner Galvanikanlage (Warenträgerfenster 2,2 m x 1,6 m x 0,8 m) steht in unmittelbarer Nähe zum Rhein. Der Betrieb muss deshalb nachweislich sicher für Umwelt und Mensch sein. Da externe Abwassertransporte nicht möglich sind und eine Gefahr darstellen, war es Bedingung, dass das anfallende Abwasser vor Ort behandelbar ist. Daher musste der neue Prozess ohne Komplexbildner auskommen.

Im Brandfall darf kein Löschwasser in den unmittelbar benachbarten Rhein gelangen. Die gesamte, 2010 errichtete Galvanikanlage zur Verchromung wurde aus diesem Grund in ein eigens errichtetes, mit einem wasserdichten Keller ausgestatteten Gebäude geplant und gebaut. Alle neuen, für Chrom(III)verfahren benötigten Prozesse müssen innerhalb des bestehenden Gebäudes und der lösch­wasserdichten Auffangwanne der Anlage Platz finden.

Sedus Stoll produziert kein Fertigprodukt auf Lager. Die Flächen um Fertigteile zwischen­lagern zu können, sind stark begrenzt und das Produktspektrum umfasst viele hundert Artikel. Damit ist eine Vorproduktion über mehrere Wochen nicht möglich. Da Sedus Stoll aufgrund des Umbaus keine Kundenaufträge verlieren wollte, musste der Umbau innerhalb von maximal zehn Werktagen abgeschlossen werden.

Mitte Dezember 2017 erfolgte nach ersten vielversprechenden Gesprächen der Beschluss, den Umbau der Galvanikanlage auf einen Chrom(III)prozess für das Jahr 2018 zu budgetieren und die Planungen voranzubringen. Nach den ersten Besprechungen hatte sich auch herauskristallisiert, dass Sedus Stoll bei der Umstellung auf ein Chrom(III)verfahren auf den Verfahrenslieferanten der Nickel­elektrolyte, die Kiesow Dr. Brinkmann GmbH & Co. KG (Detmold), zurückgreifen wird. Gründe dafür waren das schlüssige Gesamtkonzept seitens des Elektrolytlieferanten sowie der Nachweis, dass der von Sedus Stoll später eingesetzte Prozess bereits bei zwei Kunden von Kiesow in einem etwas kleineren Maßstab industriell umgesetzt wurde.

Damit unterstützte Kiesow das Umstellungsprojekt bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt. Ein weiterer wesentlicher Partner bei der Umstellung war der ursprüngliche Anlagenbauer der Chromanlage – die Driesch Anlagentechnik GmbH (Menden). Neben Eingriffen in die Chemie war auch eine Änderung bei den Prozessabfolgen und bei den Verweilzeiten in den Elektrolyten notwendig.

Ein weiterer wichtiger Partner bei der Veränderung des Prozesses war das Regierungspräsidium Freiburg. Da es sich um einen wesentlichen Eingriff in das gesamte Anlagenkonzept handelte, war dies anzeigepflichtig. Auch hier wurden früh erste Gespräche mit der zuständigen Behörde geführt. Dadurch war es möglich, wichtige Randbedingungen schon vorab zu klären.

Insgesamt mussten an der Chromanlage ­unterschiedlichste Änderungen vorgenommen werden.

  • Veränderung des Produktionsablaufs
  • Umbau der Abluftanlage
  • Anpassung der Taktzeiten
  • Austausch der Chromwannen
  • Umbau der Anoden auf Titan-­Mischoxid-Anoden
  • Einbau Filtrationsanlage für den Chrom­elektrolyten
  • Definition der Entsorgung des bisherigen Chrom(VI)elektrolyten und verunreinigter Bauteile
  • Neue Verrohrung der Spültechnik
  • Bewertung der neuen Anlage in Kooperation mit den zuständigen Behörden

Insgesamt konnten alle diese Umbaumaßnahmen knapp innerhalb der vorgegebenen Zeit durchgeführt werden – benötigt wurden insgesamt elf Werktage (Abb. 3 bis 7). Die Umbaukosten beliefen sich insgesamt auf circa 250 000 Euro.

Der Neustart der Anlage mit Chrom(III) hat nahezu reibungslos zum 10. Dezember 2018 funktioniert. Mittlerweile ist der neue Chrom(III)prozess bei Sedus Stoll seit acht Monaten produktiv, bislang ohne technische oder qualitative Probleme (Abb. 2).

Abb. 3: Einbringen der neuen Chromwanne

Abb. 4: Ausstattung des Behälters mit Misch­oxidanoden (links) und neue Verrohrung der Anlage

Abb. 5: Filtration für den Chrom(III)elektro­lyten

Abb. 6: Dosierung und Ionentauscher des Chrom(III)prozesses

Abb. 7: Befüllen des neuen Behälters für den Chrom(III)elektrolyten

 

Erste Erfahrungen

Von Kundenseite gab es keinerlei Reklamationen, allenfalls positive Rückmeldung. Und auch nach mittlerweile sechs Monaten im Zwei-Schicht-Betrieb ist keine Farbänderung zum konventionellen Prozess nachweisbar. Ein Vorteil des Chrom(III)verfahrens ist, dass es deutlich weniger sensibel für Schwankungen der Stromdichte ist. Gelbe Bereiche und Anbrennungen an den Bauteilen sind deutlich seltener. Schwieriger ist die Prozessführung selbst. Der Elektrolyt muss zwingend mittels einer automatischen Dosieranlage innerhalb der Betriebsparameter gehalten werden. Schwankungen bei der Dosage, des pH-Werts und Verunreinigungen führen sehr schnell zu Qualitätsabweichungen.

Insgesamt war die Umstellung ein ­großer technischer und kundenorientierter Erfolg. Durch die Umstellung erhält Sedus Stoll auch weiterhin das Umweltzeichen ­Blauer Engel. Des Weiteren kann das Unternehmen bei Ausschreibungen und Nachfragen seitens der Kunden sicher angeben, keine SVHC-Substanzen innerhalb seiner Produktionsprozesse zu verwenden. Es gilt als sicher, dass dies für alle umweltorientierten Kunden eine der Voraussetzungen ist, um auch weiterhin mit Sedus Stoll als Partner zusammenarbeiten zu können.

Wie Fertigungsleiter Dr.-Ing. Jens Bohnet betont, stand die Sedus Stoll vor der Entscheidung, entweder eine Genehmigung für den weiteren Betrieb zu erwirken (unter dem Aspekt der Herausforderungen für eine Autorisierung [z. B. 1, 6]) oder die Chemikalie Chrom(VI) durch die weniger kritische Chrom(III)verbindung zu ersetzen. Da nach seiner Erfahrung Chrom(VI) schon heute sehr stark unter Überwachung steht und seiner Meinung nach auch für eine dekorative Anwendung nicht mehr zwingend notwendig ist, hat sich Sedus Stoll für den umweltfreundlicheren, arbeits- und zukunftssicheren Weg entschieden und auf den Betrieb mit Chrom(III) umgerüstet. Die Galvanikanlage im Werk Dogern ist nach Kenntnis von Dr.-Ing. Bohnet eine der bundesweit größten und ersten, die diesen doch deutlich komplizierteren Prozess erfolgreich für Serienprodukte anwendet.

Der Dank von Dr.-Ing. Bohnet im Namen von Sedus Stoll gilt dabei auch den Partnern bei der Umstellung des Prozesses und bei den für das Unternehmen zuständigen Behörden für die sehr zielführende und konstruktive Zusammenarbeit. Ein ganz besonderer Dank gilt natürlich auch den eigenen Mitarbeitern, die diese sehr stressige Umbauphase intensiv unterstützt haben.

Zur Sedus Stoll AG

Die Sedus Stoll AG praktiziert bereits seit den 1950er-Jahren aktiven Umweltschutz, zu einer Zeit, als es den Begriff noch gar nicht gab. Auf diesen Fundamenten stehend, kam für Sedus Stoll die in den 1970er-Jahren beginnende ökologische Diskussion ebenso wenig überraschend wie das gegenwärtige ­Thema der Nachhaltigkeit. Im Gegenteil: Die Vorreiterrolle von Sedus Stoll innerhalb der europäischen Möbelbranche lässt sich aus der Chronologie der letzten 30 Jahre unmittelbar herauslesen. Die Zahl der Auszeichnungen reicht von der Wahl von Christof Stoll zum Ökomanager des Jahres 1993 über das Öko-Audit nach EU-Norm 1995 als erster deutscher Möbelhersteller bis hin zur EMAS-III-Zertifizierung, die Sedus 2010 als weltweit erster Büromöbelhersteller erhielt.

Literatur

[1] Heermann: Chromtrioxid und das Sunset Date: Und was kommt dann? Stand der Zulassung unter REACh; Galvanotechnik 6/2017, S. 1154-1161, Leuze Verlag

[2] H. Käszmann: Auf der Zielgeraden - ­dekorative Chromoberflächen im Einklang mit REACh (Bericht über eine Veranstaltung des FGK); WOMag 8/2017; www.wotech-technical-media.de/womag/ausgabe/2017/08/30_chrom_2020_08j2017/30_chrom_2020_08j2017.php

[3] M. Jordan: Chromabscheidung aus Chrom(III)elektrolyten; WOMag 12/2013; www.wotech-technical-
media.de/womag/ausgabe/2013/12/18_jordan_chrom_12j2013/18_jordan_chrom_12j2013.php

[4] F. A. Heinzler: Chrom(III) bringt Farbe ins Spiel; ­WOMag 05/2019; https://www.wotech-technical-
media.de/womag/ausgabe/2019/05/22_heinzler_chrom_05j2019/22_heinzler_chrom_05j2019.php

[5] H. Käszmann: Chrom 2030 - Die Zukunft galvanisierter Kunststoffe im Automobilbau (­Bericht über eine FKG-Tagung); WOMag 12/2018; www.wotech-technical-media.de/womag/ausgabe/
2018/12/23_fgk_chrom2030_12j2018/23_fgk_chrom2030_12j2018.php

[6] M. Voss-Hageleit: REACh-Zulassung Chrom(VI) - Herausforderung für die gesamte Lieferkette; WOMag 7-8/2019; www.wotech-technical-media.de/womag/ausgabe/2019/07-08/21_voss-hageleit_­reach_08j2019/21_voss-hageleit_reach_08j2019.php

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